Blitzer und Bußgeld - Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte der Betroffenen im Bußgeldverfahren

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Schnell ist es passiert: zu zügig gefahren oder den richtigen Abstand nicht eingehalten. Bei hohen Geschwindigkeiten folgt dem Einem wie dem Anderen schnell ein hohes Bußgeld, ein oder zwei Punkte in Flensburg und Fahrverbote bis zu drei Monaten.

Der Rechtsstaat garantiert allerdings, dass jenes Vergehen nur dann sanktioniert werden darf, wenn der Beweis für die zB. Geschwindigkeitsübertretung geführt werden kann. Das ist der Grund, warum Messungen im Straßenverkehr vor dem deutschen Amtsgerichten wieder und wieder angegriffen werden.

Bußgeldbescheide sind oft falsch

Messungen und / oder Bußgeldbescheide sind regelmäßig fehlerhaft. Die Fehlerquellen sind vielfältig - falsche Daten des Betroffenen, falsches Kennzeichen oder schlechtes Blitzerfoto bringen Chancen auf eine Verteidigung gegen den Tatvorwurf. Aber selbst im Messsystem  kann der Fehler liegen: falsche Bedienung durch den Messbeamten, fehlerhaft-messendes System oder - wie in Mecklenburg Vorpommern passiert - die nachträgliche Veränderung von Beweismitteln durch die Bußgeldbehörde, um Fehler zu verwischen.

Kern der Verteidigung: das Akteneinsichtsrecht

Diese Fehler - hier sind die Fehler in der Messung gemeint - findet nur derjenige, der die Basisdaten zur Messung erhält. Diese Basisdaten sind Messdaten wie die Rohmessdaten oder vom System erstellte Begleitdaten, die in separaten Dateien abgelegt sind. Aber auch weitere Parameter wie die erforderliche Eichung oder die Lebensakte des Messgeräts geben Aufschlüsse, ob Fehler vorliegen / vorliegen können.

"Was überwiegend an den Gerichten in Deutschland funktioniert, läuft in Bayern bislang ganz und gar nicht", beklagt Rechtsanwalt Philipp Lange aus Leipzig, Fachanwalt für Verkehrsrecht. Elementare Beweismittel wurden der Verteidigung mit dem Argument vorgehalten, sie befänden sich physisch nicht bei der Akte und sind demnach im Rahmen des Akteneinsichtsrechts für den Verteidiger nicht einsehbar zu machen. Und das, obwohl die Daten vorhanden sind, nur woanders bei der Bußgeldbehörde. "Und ein gerichtlich gestellter Sachverständiger erhält sie ohne Weiteres auf Anfrage. Nur eben der Verteidiger, der für seinen Mandanten kämpft,  nicht - so jedenfalls das OLG Bamberg oder das Bayrische Oberste Landesgericht - aktuelle Rechtsbeschwerdeinstanz in Bußgeldsachen", so der Fachanwalt.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020
(Az. 2 BvR 1616/18)

Damit ist nun Schluss. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat durch Beschluss vom 12. November 2020 (Az. 2 BvR 1616/18) dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben und festgestellt, dass dem Verteidiger eines Betroffenen umfangreiche Akteneinsicht gewährt werden müsse. Mahnende Worte des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes in seinem Urteil vom 05.07.2019 (Az. Lv 7/17) fanden in Bamberg kein Gehör - im Gegenteil. Damit dürfte nun aufgrund der Entscheidung des BVerfG Schluss sein.

Recht auf faires Verfahren 

Die meisten Geschwindigkeitsmesssysteme gelten als sog. "standardisierte Messverfahren". Dass heißt, dass die Geräte in Bedienung und Ablauf einem festgelegten Muster folgen, so dass unter gleichen  Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Die Gerichte müssen jene Messungen nicht auf "Herz und Nieren" prüfen - es reichen grobe Parameter aus. 

Wenn der Betroffenen durch seinen Verteidiger nun Gehör finden will, dass Fehler in der Messung vorliegen, muss er diese Fehler konkret benennen - was er aber nur kann, wenn er die Beweismittel vollumfänglich kennt. "Übliche Fehlerquellen der einzelnen Messsysteme sind gut bekannt - aber ob jene Fehler im konkreten Fall wieder auftraten, muss man am Einzelfall prüfen", sagt der Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Leipzig, der deutschlandweit in Bußgeldverfahren verteidigt.

Deswegen entschied nun das BVerfG, dass ein Betroffener das Recht auf Zugang zu den Informationen zu erhalten habe, die im Rahmen der Ermittlung entstanden sind, aber nicht Teil der Akte wurden. Dieser Zugang sei ihm grundsätzlich zu gewähren.

Bloße Behauptung reicht nicht aus 

Die bloße Mutmaßung oder Behauptung, dass die Messung fehlerhaft sein kann oder ist, begründet seitens des Gerichts noch keine Pflicht zur weiteren Aufklärung. Deswegen sind die bislang zurückgehaltenen Daten der Verteidigung offenzulegen, damit Fehler konkret geprüft und - wenn sie vorliegen - vor Gericht eingewandt werden können. 

Fehler, die der Richter sonst gar nicht zur Kenntnis nimmt, weil er von deren Vorliegen gar nichts weiß.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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