Das neue Teilhabegesetz

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Das ab 2017 in mehreren Schritten in Kraft tretende Teilhabegesetz sollte für alle Menschen mit Behinderungen ein großer Wurf werden. Es sollte erstmalig zum Ausdruck bringen, dass Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ein Menschenrecht ist. Es sollte Schluss sein mit dem Bitten der Betroffenen um die Fürsorge des Staats und ein echter Anspruch auf Nachteilsausgleich geschaffen werden.

Leider ist dies nicht gelungen. Menschen mit Behinderungen werden im Einzelfall ihr Recht auf individuelle Lebensgestaltung weiter einklagen müssen. Besonders betroffen sind Menschen mit psychischen und seelischen Behinderungen, die besondere Hilfen bei der eigenverantwortlichen Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten und der Umsetzung ihrer individuellen Lebenswünsche benötigen. Ihnen steht weiterhin nur die unvollkommene rechtliche Betreuung als Notanker zur Verfügung, die keine Begleitung bei der Verwirklichung eines selbstbestimmten Lebens leistet.

Allerdings war der Reformwille des Gesetzgebers auch nicht ganz freiwillig. Deutschland hatte sich durch die schon vor zehn Jahren verabschiedete UN-Behindertenrechtskonvention (BRK), die in Deutschland erst im März 2009 zum unmittelbar geltenden Gesetz wurde, verpflichtet, behinderten Menschen mehr Schutz zu bieten.

Die grundlegende Aussage der BRK ist, dass die Menschenrechte ohne Einschränkung auch für Menschen mit Behinderungen gelten und der Gesetzgeber zu deren Schutz aufgefordert ist. Artikel 12 der UN-BRK formuliert hierzu ein Menschenrecht auf „Gleiche Anerkennung vor dem Recht“, Artikel 13 ein Menschenrecht auf „Zugang zur Justiz“.

Hieraus ist im Wesentlichen dreierlei zu fordern, was mit dem nun in Kraft tretenden Teilhabegesetz nur sehr unvollkommen gelungen ist.

Zum ersten müsste die Eingliederungshilfe, die derzeit in der Sozialgesetzgebung, §§ 57 ff. SGB XII, verankert ist, als echter Nachteilsausgleich gestaltet werden.

Zum zweiten müssten rechtliche Betreuungen in der bestehenden Form ultima ratio bleiben und überall dort vermieden werden, wo eine rechtliche Assistenz ausreichend und möglich ist.

Zum dritten müsste das mehr als hundert Jahre alte Verständnis von der rechtlichen Geschäftsfähigkeit in den §§ 104 ff. BGB dem Verständnis der Menschenrechte nach der UN-BRK angepasst werden, um auch seelisch und psychisch kranken Menschen eine Teilhabe am Leben zu garantieren.

Zumindest der erste Punkt war auch der klassische Ansatz für die Reform, der aber leider nicht verwirklicht worden ist. Stattdessen hat man die Eingliederungshilfe als Sozialhilfe weiterentwickelt und belässt es bei der Rolle des Behinderten als Fürsorgeempfänger. Die Änderungen im Detail, die die Höhe von Selbstbehalten und die Inanspruchnahme von Partnern betreffen, ändern hieran nichts.

Gleiches gilt für das sozialrechtliche „persönliche Budget“, da es auch nach Inkrafttreten des Teilhabegesetzes bei fehlenden Wahlmöglichkeiten für die Lebensgestaltung bleibt, da diese weiter zunächst im Ermessen der Behörden steht und im Zweifel gerichtlich erstritten werden muss.

Will der behinderte Mensch verständlicherweise z. B. nicht in einem Heim leben, sondern in einer eigenen Wohnung, sollte dieses grundsätzlich zur Verwirklichung seines Teilhaberechts immer möglich gemacht werden. Auch nach der Reform steht diese zentrale Frage weiter im Ermessen der Behörde, die ihn auch dazu verpflichten kann, einen Platz in einer Einrichtung oder einem Wohnheim in Anspruch zu nehmen. Möglich ist dies, weil es auch mit dem Teilhabegesetz bei einer sozialen Hilfeleistung bleibt und der Anspruch darauf, die Nachteile der Behinderung auszugleichen, nicht voll umgesetzt wurde.

Zu einer Weiterentwicklung des Betreuungsrechts und des bürgerlichen Rechts zu echten Teilhaberechten dient das neue Teilhabegesetz daher leider ebenfalls nicht.

Es liegt auf der Hand, dass die Ausübung eines Menschenrechts nicht allein dadurch verhindert werden darf, dass kein ausreichender Raum für eigene Entscheidungen bleibt. Zwingend erforderlich wäre daher eine stärkere Verzahnung der jetzigen Eingliederungshilfe mit neuen Möglichkeiten der unterstützten Entscheidungsfindung.

So müssten personenzentrierte rechtliche Assistenzen (PRA), wie sie in Hamburg bereits angeboten werden, zwingend zum Leistungskanon der Sozialbehörden hinzugefügt werden, damit diese etwa über ein persönliches Budget finanziert werden können. Anderenfalls stünden die PRA, die sich in der Praxis als sehr effektiv bei der Verwirklichung der Teilhabe erwiesen haben, nur den behinderten Menschen offen, die diese privat finanzieren können.

Es bleibt zu hoffen, dass die Gerichtsbarkeit das Ermessen der Behörden mit Blick auf die Menschenrechte der UN-BRK stärker einschränkt als bisher und viel öfter zugunsten der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung der Betroffenen entscheidet.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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