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Der Anscheinsbeweis

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In der gerichtlichen Praxis erleichtert der sog. Anscheinsbeweis (auch „prima facie Beweis“ genannt) die Beweisführung. 

Bei diesem Beweis wird unter Zugrundelegung der allgemeinen Lebenserfahrung bei dem Vorliegen einer bestimmten Ausgangssituation auf eine bestimmte – die wahrscheinlichste – Ursache geschlossen.

Das bekannteste Beispiel ist der Auffahrunfall. Hier muss der Fahrer des vorausfahrenden Fahrzeuges zunächst nur den Unfall darlegen, also dass ihm das andere Fahrzeug von hinten aufgefahren ist und es sich hierbei um einen typischen Geschehensablauf handelte. Die Verursachung des Unfalles durch den Hintermann wird in diesem Fall dann zunächst vermutet: „Wer auffährt, hat Schuld!“. 

Die Rechtsprechung greift in diesem Fall auf den allgemeinen Erfahrungssatz zurück, dass der Auffahrende typischerweise die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt unbeachtet gelassen haben muss, also insbesondere unaufmerksam gewesen ist, den erforderlichen Abstand nicht eingehalten hat oder mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen ist. Es obliegt nun dem Auffahrenden diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern, in dem durch den Auffahrenden dargelegt und bewiesen wird, dass es sich auch um einen atypischen, also einen ungewöhnlichen, Geschehensablauf handeln kann, welcher mit der allgemeinen Lebenserfahrung des Anscheinsbeweises nicht zu lösen ist. Den Beweis des Gegenteils muss der Auffahrende indes nicht beibringen.

In einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgericht Frankfurt a.M. vom 25.01.2024 – Az.: 26 U 11/23, wendet das Gericht den Anscheinsbeweis auch für den Fall an, in dem ein betrunkener Autofahrer eine die Fahrbahn betretene Person übersehen und erfasst hat: „Ereignet sich ein Unfall in einer Verkehrslage und unter Umständen, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können, spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Trunkenheit für den Unfall ursächlich war.“ 

Das Gericht ging vorliegend davon aus, dass der Verkehrsverstoß - das Unterlassen einer Bremsung und das daraus resultierende Hineinfahren in die Fußgängergruppe - deswegen erfolgte, weil der Fahrer in dem beschriebenen Umfang alkoholisiert war.

Auch eine Berufung auf den Vertrauensgrundsatz kam vorliegend nicht in Betracht, da sich der Fahrer selbst verkehrswidrig verhalten hat; eine Berufung auf den Vertrauensgrundsatz setzt voraus, dass sich der betreffende Verkehrsteilnehmer selbst regelgerecht verhält.

Der Anscheinsbeweis ist neben den o.g. Bereichen auch noch in den Fällen des Arzthaftungsrechts (z.B. beim Unterlassen ausreichender Dokumentationen) und in den Fällen des EC-Karten-Missbrauchs (z.B. bei Abhebung von Bargeld mit einer gestohlenen EC-Karte unter Eingabe der richtigen PIN) von Bedeutung.

Foto(s): J. Weber

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