Der Anspruch des Leiharbeitnehmers gegen den Entleiher für im Entleihbetrieb erlittenen Schäden

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Anhaltend wird das Erfordernis nach dem klassischen Arbeitsverhältnis durch das wirtschaftliche Bedürfnis von Unternehmern, gewerbsmäßig Arbeitnehmerüberlassung zu betreiben, ersetzt. Seit dem Inkrafttreten des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Jahr 1972 steigen die Zahlen von Leiharbeitnehmern in Unternehmen stetig an; so hat sich die Anzahl der Leiharbeiter in Deutschland im Jahresdurchschnitt seit 2002 von 318.000 bis 2019 auf 895.000 erhöht.[1] Der Begriff der Arbeitnehmerüberlassung bezeichnet grundlegend ein Überlassungsverhältnis zwischen dem Verleiher, dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer. Ein Vorteil, der hinter einem Überlassungsvertrag für den Entleiher steht, ist primär die Wahrung der unternehmenseigenen Flexibilität. Denn gerade Unternehmen, die Arbeitsplätze für projektbezogene Aufträge besetzen wollen, sparen Zeit und Geld. Interne Vorstellungsgespräche entfallen und ein neuer Auftrag kann sofort mit Mitarbeitern besetzt werden. Entsprechende Stellen können Arbeitgeber dann aus dem Mitarbeiterpool der Leiharbeitsfirma besetzen. Dabei können sowohl unausgebildete Hilfskräfte sowie leitende Angestellte/Geschäftsführer durch den Verleiher überlassen werden.  Der Entleiher bekommt die Möglichkeit, die Arbeitskraft des Leiharbeitnehmers zur Verfolgung seiner betrieblichen Zwecke und mit eigenem Weisungsrecht – vergleichbar mit dem eines Arbeitnehmers – einzusetzen.  Dabei muss er die der Arbeitgeberstellung anhaftenden Risiken nicht tragen muss, so entfällt z.B. das Risiko des krankheits- oder schwangerschaftsbedingten Arbeitsausfalls der eigenen Mitarbeiter. Ein solches Risiko trägt in der Regel der Verleiher, der in solchen Fällen den ausfallenden Mitarbeiter im Entleihbetrieb ersetzen muss.

Die gesetzliche Grundlage der Arbeitnehmerüberlassung bildet das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Unter Überlassung zur Arbeitsleistung in Sinne des AÜG wird die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften, die von einem Verleiher (Leiharbeitsfirma) in den Betrieb eines Entleihers eingegliedert sind und ihre Tätigkeit allein nach dessen Weisungen ausführen.[2] Dahingegen liegt typischerweise keine Arbeitnehmerüberlassung bei dem Einsatz von Fremdpersonal auf Grund eines Werkvertrages vor. Vorsicht ist jedoch bei der absichtlichen ,,Flucht in den Werkvertrag‘‘ geboten. Unzulässig sind solche Konstellationen vor allem dann, wenn ein Werkvertrag geschlossen wird, um damit einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zu verdecken.[3] Ziel ist dabei insbesondere die Bestimmungen des AÜG zu umgehen. § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG stellt klar: Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers ist der Verleiher. Den Entleiher bezeichnet der Gesetzgeber hier lediglich als ,,Dritten‘‘. Der Schluss, dass zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer kein klassisches Arbeitsverhältnis besteht, liegt nahe, denn bestehende Arbeitgeberpflichten hat demnach in erster Linie der Verleiher zu tragen. Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer wird insbesondere dadurch geprägt, dass der Leiharbeitnehmer, die auf Grund des Leiharbeitsverhältnisses geschuldeten Dienste tatsächlich beim Entleiher unter dessen Weisungsrecht erbringt und hierdurch seine dem Verleiher geschuldete arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht erfüllt.[4] Ganz überwiegend wird das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer nicht als Arbeitsverhältnis qualifiziert. Vielmehr wird in der Literatur angenommen, dass der zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer geschlossene Vertrag einen Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 362 Abs. 2 BGB darstellt.[5] Der Leiharbeitnehmer wird nämlich von seiner gegenüber dem Verleiher bestehenden vertraglichen Leistungspflicht durch die Erbringung seiner Arbeitsleistung beim Entleiher befreit. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift, wonach der Entleiher durch die Arbeitnehmerüberlassung eine größtmögliche Flexibilität beibehalten soll, sprechen dafür, dass in dem Dreiecks-Verhältnis der Verleiher die Arbeitgeberstellung innehat. Nichtsdestotrotz kann der Entleiher gegenüber dem Leiharbeitnehmer sein Direktionsrecht ausüben und ist diesem damit gegenüber weisungsbefugt. Die Rechtsprechung sieht deshalb zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer zumindest eine Rechtsbeziehung mit arbeitsrechtlichem Charakter.[6] Dieser gespaltenen Arbeitgeberstellung trägt der Gesetzgeber mit § 11 Abs. 6 AÜG Rechnung, dem mehr als nur eine rein deklaratorische Bedeutung zukommt.

Im klassischen Arbeitsverhältnis trifft den Arbeitgeber die Pflicht, auf das Wohl des Arbeitnehmers zu achten und nicht entgegen seiner berechtigten Interessen zu handeln. Diesen arbeitsrechtlichen Grundsatz regelt § 618 BGB zusammen mit § 617 BGB, indem er unter anderem den Umfang der gesetzlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer bestimmt.  § 618 Abs. 1 BGB zielt dabei vorwiegend auf die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben sowie der Gesundheit des Arbeitnehmers ab. Im Verhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer findet sich eine entsprechende Vorschrift im AÜG. Gemäß § 11 Abs. 6 AÜG gelten einzuhaltende öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzvorschriften im Betrieb des Entleihers auch für den Leiharbeitnehmer. Für die Einhaltung dieser Vorschriften ist der Entleiher, ebenso wie der Verleiher, verantwortlich. Fraglich ist, ob sowohl Entleiher als auch Verleiher das gleiche Maß an Fürsorgepflicht für im Entleihbetrieb erlittene Schäden trifft.

Für eine erhöhte Pflicht des Entleihers spricht schon die rein faktische Zugriffsmöglichkeit auf die Arbeitsstätte. In der Regel wird die Einsatzstätte des Leiharbeitnehmers durch den Entleiher gestaltet; dieser regelt Einsatzort, Einsatzmaterial und plant Arbeitsabläufe. Im Gegensatz dazu, hat der Verleiher rein faktisch nur eingeschränkte Zugriffsmöglichkeiten auf die tatsächliche Arbeitsabläufe und damit auf die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften im Entleihbetrieb. Aus diesem Grund beschränkt sich die Pflicht des Verleihers deshalb vorwiegend darauf, zu überwachen, inwiefern Arbeitsschutzvorschriften im Entleihbetrieb eingehalten werden; wohingegen den Entleiher die Pflicht zur praktischen Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften trifft.[7] Arbeitgeberpflichten werden unter anderem im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), Mutterschutzgesetz (MuSchG), der Lastenhandhabungsverordnung (LasthandhabV) und Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) normiert. Der Entleiher muss also Maßnahmen am Arbeitsplatz des Leiharbeitnehmers treffen, um die oben genannten Arbeitsschutzvorschriften einzuhalten und so Gefahren für den Leiharbeitnehmer abzuwenden.

Verletzt der Entleiher jedoch eine ihm obliegende Schutzpflicht, kann dies zu einem Schadensersatzanspruch des Leiharbeitnehmers aus §§ 280 I, 241 Abs. 2 BGB führen. Voraussetzung dafür ist eine schuldhafte Pflichtverletzung des Entleihers. Hält der Entleiher also entsprechende Arbeitsschutzvorschriften nicht ein, so kann der Leiharbeitnehmer neben materiellem Schadensersatz gegen diesen auch ein angemessenes Schmerzensgeld für gegebenenfalls erlittene gesundheitliche Schäden geltend machen. Entsprechend kann der Leiharbeitnehmer gegenüber dem Entleiher auch berechtigt sein, seine Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB zurückzubehalten, bis die rechtswidrige Gefahrenlage beseitigt ist.[8]

Der oben benannte Schadensersatzanspruch kommt jedoch nur in Betracht, wenn es sich nicht um einen Arbeitsunfall oder um eine Berufskrankheit handelt. Hat der Leiharbeitnehmer nämlich einen Personenschaden auf Grund eines Arbeitsunfalls Sinne des § 8 SGB VII erlitten, so greift hier das Haftungsprivileg nach § 104 I SGB VII. Danach sind Unternehmer den versicherten Arbeitnehmern nur dann zum Ersatz des Personenschadens, den ein Unfall verursacht hat, verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben.  Nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII ist ein Unfall ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, welches zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führt. Zeitlich wird dieser von der Rechtsprechung auf eine Zeitspanne von einer Arbeitsschicht begrenzt.[9] Erstreckt sich die Schadensentstehung auf den Zeitraum mehrerer Arbeitsschichten, so liegt regelmäßig kein Arbeitsunfall vor. Vielmehr kommt dann bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 i.V.m. §§ 2, 3 oder 6 SGB VII die Anerkennung einer Berufskrankheit in Betracht. Nur wenn es sich nicht um einen Arbeitsunfall handelt oder die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht in Betracht kommt, erlangt der Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB überhaupt praktische Bedeutung.  

Der Leiharbeitnehmer hat ebenfalls einen verschuldensunabhängigen Anspruch aus § 670 BGB analog gegen den Entleiher, wenn die Rechtsgüter des Leiharbeitnehmers während der Erbringung seiner Arbeitsleitung beschädigt wurden. Zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer gilt deshalb § 670 BGB analog. Den Grundsatz des § 670 BGB bezeichnet das BAG als ,,so selbstverständlich und von der Sache notwendig“, dass er auch in vergleichbaren Interessenlagen ebenso anzuwenden sei.[10] Das Verhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer ist auf Grund seines eindeutig arbeitsrechtlich geprägten Charakter vergleichbar mit dem Zwei-Personenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auf Grund dieses starken arbeitsrechtlichen Einschlags in dem Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer muss § 670 BGB analog also auch auf dieses Verhältnis anwendbar sein. Bejaht man eine Anwendbarkeit, so setzt ein Anspruch aus § 670 BGB analog voraus, dass der Schaden nicht dem Lebensbereich des Leiharbeitnehmers, sondern dem Betätigungsbereich des Entleihers zuzurechnen ist und der Leiharbeitnehmer ihn selbst nicht tragen muss, weil er dafür keine gesonderte Vergütung erhält.[11] Daneben kann der Leiharbeitnehmer für schuldhaft verursachte Schäden an seinen Rechtsgütern, die in den Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB fallen, einen Anspruch auf Schadensersatz nach den Regeln des Deliktsrechts haben. 

Sowohl auf Entleiher- als auch auf Verleiherseite ist es unerlässlich entsprechende Arbeitsschutzvorschriften einzuhalten, um zum einen Gefahrenquellen von Leiharbeitnehmer abzuwenden und zum anderen als Unternehmen nicht etwaigen Schadensersatzansprüchen ausgesetzt zu sein.



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[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/72785/umfrage/anzahl-der-zeitarbeitnehmer-im-jahresdurchschnitt-seit-2002/, zuletzt abgerufen am 23.02.2021.

[2] BAG 6.8.2003 – 7 AZR 180/03, AP AÜG § 9 Nr. 6; 13.8.2008 – 7 AZR 269/07, EzAÜG § 10 AÜG Fiktion Nr. 121; 18.1.2012 – 7 AZR 723/10, BB 2012, 1407; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, in: BeckOK- ArbR, AÜG § 1 Rn.1

[3] Maschmann, in: NZA 2013, S. 1305.

[4] Ulrici, NK-ArbR, AÜG § 1 Rn. 8-10.

[5] Wank, ErfK, AÜG Einl. Rn. 33; Schüren/Hamann-Schüren, AÜG, Einl. Rn. 168.

[6] Vgl. BAG 15.3.2011 – 10 AZB 49/10 – NZA 2011, 653, 654; 5.12.2012 – 7 ABR 48/11 – NZA 2013, 793, 795 f.

[7] Motz, in BeckOK-ArbR, AÜG § 11 Rn. 42-44.

[8] Vgl. BAG 8.7.1971 – 5 AZR 29/71 – AP § 611 BGB Leiharbeitsverhältnis Nr. 2.

[9] BSG NZS 2012, NZS 2012 S. 513 Rn. 24; BSGE 24, BSGE Band 24 S. 216 (BSGE Band 24 219); 15, BSGE Band 15 S. 112 (BSGE Band 15 113 f.).

[10] BAG GS, Beschl. v. 10.11.1961 – GS 1/60 -, NJW 1962, S. 411, 414 f.

[11] ArbG Essen Urt. v. 23.4.2015 – 5 Ca 41/15, BeckRS 2016, 67320.






Foto(s): https://www.pexels.com/de-de/foto/mann-der-runden-fensterrahmen-schweisst-2965260/

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