Der Pflichtteil - FAQ

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Der Pflichtteil - FAQ

Ein zentraler Begriff des deutschen Erbrechts ist der sogenannte Pflichtteil. Dementsprechend häufig beschäftigen diesbezügliche Auseinandersetzungen nach einem Erbfall die Gerichte. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass viele Erblasser bei der Gestaltung ihres letzten Willens das Pflichtteilsrecht nicht berücksichtigen, wodurch dann nach ihrem Tod Streit entsteht.

Die nachfolgenden Ausführungen sollen das Pflichtteilsrecht nur kurz darstellen. Eine Beratung im konkreten Einzelfall können sie jedoch nicht ersetzen. In diesem Fall raten wir, einen im Erbrecht versierten Rechtsanwalt wegen zu konsultieren.

Was ist der Pflichtteil?

Der Pflichtteil umfasst diejenigen Ansprüche eines gesetzlichen Erben, die ihm vom Erblasser nicht ohne weiteres entzogen werden können.

Voraussetzung ist also, dass der Pflichtteilsberechtigte gesetzlicher Erbe des Erblassers ist. Dies regeln die §§ 1924 ff. BGB. Danach sind gesetzliche Erben erster Ordnung die Abkömmlinge des Erblassers, also seine Kinder, Enkel etc. Lebt ein Kind des Erblassers, so schließt es dadurch seine eigenen Kinder von der Erbfolge aus, d.h. dass, ein Enkelkind seine Großeltern nur beerbt, wenn der vermittelnde Elternteil bereits verstorben ist.

Gesetzliche Erben zweiter Ordnung sind die Eltern des Erblasser und deren Kinder. Gesetzliche Erben dritter Ordnung sind die Großeltern des Erblassers und deren Kinder. Gesetzlich erwähnt sind darüber hinaus die Erben vierter Ordnung (die Urgroßeltern und deren Abkömmlinge) sowie die fünfte und fernere Ordnung. Existiert ein Erbe der höheren Ordnung, so schließt er die gesetzlichen Erben der niedrigeren Ordnung aus.

Der Ehegatte des Erblassers ist neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertel, neben Verwandten der zweiten Ordnung und gegenüber den Großeltern des Erblassers zur Hälfte gesetzlicher Erbe. Sind weder Verwandte der ersten oder zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, so erbt der Ehegatte die ganze Erbschaft. Fälschlicherweise wird oft gedacht, der Ehegatte würde neben den Kindern die Hälfte des Nachlasses gesetzlich erben. Dies ist im Endeffekt meistens richtig, verschweigt nur, dass der Ehegatte, der im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebt, neben dem Erbteil von einem Viertel auch ein Viertel des Nachlasses als sog. pauschalierten Zugewinnausgleich erhält.

Wird ein Abkömmling, die Eltern oder der Ehegatte des Erblassers, der im Falle der gesetzlichen Erbfolge Erbe geworden wäre, durch Testament oder Erbvertrag von der Erbfolge ausgeschlossen, so erhält er den Pflichtteil. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils, § 2303 BGB. Der Anspruch ist also nur auf eine Zahlung durch den oder die Erben gerichtet. Einen Anspruch auf Übertragung bestimmter Nachlassgegenstände etc. besteht nicht.

Wer ist pflichtteilsberechtigt?

Nur die in § 2303 BGB genannten, also die Abkömmlinge (Abs. 1) sowie die Eltern und der Ehegatte (Abs. 2), die enterbt worden sind.

Weiter entfernte Verwandte erhalten keinen Pflichtteil.

Wie berechnet sich der Wert des Anspruchs?

Entscheidend für die Höhe des Anspruchs ist der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls. Dieser ergibt sich aus dem Vermögen des Erblassers, von dem die Verbindlichkeiten und die Kosten des Erbfalls, also insbesondere die Beerdigungskosten, in Abzug zu bringen sind.

Wie erfahre ich, wie hoch mein Anspruch als Pflichtteilsberechtigter ist?

Da der Pflichtteilsberechtigte selbst keinen Zugriff auf die Erbschaft hat, steht ihm gegenüber dem oder den Erben ein Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB zu. Dieser Anspruch ist dreistufig gestaffelt. So kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass ihm eine Aufstellung der Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten des Nachlasses übergeben wird. Auf Wunsch ist der Pflichtteilsberechtigte dabei zu beteiligen. Dieser Anspruch ist zuerst nur darauf gerichtet, dass ihm eine Auflistung überreicht wird. Ggf. sind Belege in Kopie beizufügen. Des Weiteren hat der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch darauf, dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird. Der in der Praxis häufigste Fall ist, dass der Wert einer Immobilie durch einen Sachverständigen ermittelt werden muss.

In einem zweiten Schritt kann verlangt werden, dass das Verzeichnis durch einen Notar aufgenommen wird. Sofern Zweifel an der Richtigkeit des Verzeichnisses bestehen, kann der Berechtigte in einem dritten Schritt verlangen, dass die Richtigkeit des Nachlassverzeichnisses an Eides statt versichert wird.

Die Kosten für die Aufstellung sind von dem Erben zu tragen. Die Kosten für die Wertermittlung werden vom Nachlass getragen, d. h. der Pflichtteilsberechtigte wird partiell mit an den Kosten beteiligt.

Schon die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs führt in der Praxis häufig zu Streit, weil die Erben den Anspruch unterschätzen und nur unvollständig erfüllen, auch wenn dies oft nicht aus bösem Willen, sondern eher aus Unkenntnis geschieht. Der Erbe ist jedoch gut beraten, den Anspruch ernst zu nehmen und ordnungsgemäß und vollständig zu erfüllen, da die Verteidigungsmöglichkeiten in einem gerichtlichen Verfahren äußerst begrenzt sind. In der Praxis ist vielfach eine anwaltliche Unterstützung sinnvoll.

Ist der Wert des Nachlasses festgestellt, so berechnet man den fiktiven Anspruch des Pflichtteilsberechtigten als gesetzlichem Erben. In Höhe der Hälfte hat er einen Zahlungsanspruch gegenüber dem Erben.

Kann ich als testamentarischer Erbe die Erbschaft ausschlagen und dann den Pflichtteilsanspruch geltend machen?

Ja, dies geht unter den Voraussetzungen des § 2306 BGB. Danach kann ein durch Testament eingesetzter Erbe, der gleichzeitig gesetzlicher Erbe und Pflichtteilsberechtigt wäre, die Erbschaft ausschlagen und den Pflichtteil verlangen, wenn der Erblasser einen Nacherben eingesetzt, einen Testamentsvollstrecker bestimmt oder den Erben in der Teilung des Nachlasses beschränkt hat oder der Nachlass mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist.

Muss ich mir als Pflichtteilsberechtigter ein Vermächtnis anrechnen lassen?

Ja! Ist ein Pflichtteilsberechtigter durch ein Vermächtnis bedacht worden, so kann er den gesamten Pflichtteil nur verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. Ansonsten wird das Vermächtnis auf den Pflichtteil angerechnet.

Was ist der Zusatzpflichtteil?

Den sog. Zusatzpflichtteil regelt § 2305 BGB. Die Regelung beschreibt die Situation, dass der Erblasser einen Pflichtteilsberechtigten zwar testamentarisch als Erben eingesetzt hat, er ihm aber weniger als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils zuwendet. In dieser Situation kann der pflichtteilsberechtigte Erbe von den übrigen Erben eine Ausgleichszahlung verlangen, sodass er insgesamt ein Erbe im Wert seines Pflichtteils erhält.

Was ist ein Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch entsteht, wenn der Erblasser den Nachlass noch während seiner Lebzeiten durch Schenkungen vermindert. Der Pflichtteilsberechtigte bekommt einen Ergänzungsanspruch und wird so gestellt, als ob die benachteiligende Schenkung nicht erfolgt wäre. Hierdurch soll verhindert werden, dass der Erblasser zu Lebzeiten den Pflichtteilsanspruch des enterbten gesetzlichen Erben entwertet, z. B. indem im Wege der vorweggenommenen Erbfolge Vermögensgegenstände auf den gewünschten Erben übertragen werden.

Allerdings gilt das nicht unbeschränkt. Vielmehr erfolgt der Ausgleich nur im ersten Jahr nach der Schenkung vollständig. Danach verringert sich der Ausgleichsanspruch jedes Jahr um jeweils 10 Prozent, sodass die Schenkung nach 10 Jahren nicht mehr ausgeglichen wird. Voraussetzung ist allerdings, dass die Schenkung „bewirkt" wird. Dafür genügt bei Immobilien z. B. nicht, dass ein Eigentümerwechsel im Grundbuch erfolgt. Vielmehr muss der Gegenstand auch wirtschaftlich aus dem Vermögen des Erblassers ausscheiden, so dass z.B. ein Nießbrauch den Beginn der 10-Jahres-Frist hindert.

Kann ich als Erblasser einem Pflichtteilsberechtigten auch den Pflichtteil entziehen?

Ja, allerdings nur unter sehr engen Voraussetzungen. Dabei geht das Gesetz von dem Grundsatz aus, dass das Vermögen zumindest teilweise in der Familie verbleiben soll. Daher ist eine Entziehung des Pflichtteils nur möglich, wenn dem Pflichtteilsberechtigten bestimmte vorwerfbare Handlungen zur Last gelegt werden oder es im Hinblick auf strafbare Handlungen des Pflichtteilsberechtigten für den Erblasser unzumutbar ist, dass der Pflichtteilsberechtigte berücksichtigt wird.

Das Gesetz sieht für die Entziehung des Pflichtteils in § 2333 BGB vier Tatbestände vor. Der Katalog ist abschließend. Danach kann der Pflichtteil entzogen werden, wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser, seinem Ehegatten oder einer dem Erblasser nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet (Nr.1), er sich gegen die genannten Personen eines Verbrechens oder schweren vorsätzlichen Vergehens schuldig gemacht hat (Nr. 2), er die ihm gegenüber dem Erblasser obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt (Nr. 3) oder er wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird, wodurch die Teilnahme am Nachlass für den Erblasser unzumutbar wird. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Pflichtteilsberechtigten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden Tat rechtskräftig angeordnet wird (Nr. 4).

Der Entzug des Pflichtteils erfolgt im Testament und muss den Anforderungen des § 2336 BGB entsprechen. Das Recht zur Entziehung des Pflichtteils erlischt, wenn der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten verziehen hat.

Kann ich sicherstellen, dass die Pflichtteilsberechtigten ihren Pflichtteil nicht geltend machen?

Vielfach besteht bei dem Erblasser der Wunsch, dass sein Vermögen vollständig einer Person - meist dem Ehepartner - zufällt und dass dieser dann keinen Ansprüchen der Pflichtteilsberechtigten ausgesetzt ist. Ein Beispiel ist das sog. „Berliner Testament", mit dem sich die Ehepartner wechselseitig als Alleinerben einsetzen und das Vermögen erst nach dem Tod des Letztversterbenden an Dritte - meist die gemeinsamen Abkömmlinge - gehen soll. Durch die wechselseitige Einsetzung werden die Abkömmlinge enterbt und haben somit einen Anspruch auf den Pflichtteil.

Um sicherzustellen, dass dieser nicht geltend gemacht wird, gibt es mehrere Ansätze. Der sicherste Ansatz ist, mit den Pflichtteilsberechtigten einen Erbvertrag zu schließen, in dem diese im Gegenzug für die Einsetzung als Erben nach dem Zweitversterbenden auf den Pflichtteil im ersten Erbfall verzichten.

Sofern eine vertragliche Vereinbarung nicht möglich ist, behilft man sich mit sogenannten Strafklauseln, das bedeutet, dass derjenige Pflichtteilsberechtigte, der seinen Pflichtteil im ersten Erbfall geltend macht, auch im zweiten Erbfall nur den Pflichtteil erhält. Dieser wirtschaftliche Effekt kann durch bestimmte Gestaltungen noch verstärkt werden.

Wann muss der Pflichtteilsanspruch gezahlt werden?

Grundsätzlich ist der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall fällig und müsste sofort gezahlt werden. In der Praxis dauert insbesondere die Feststellung, was zum Nachlass gehört und welchen Wert die Nachlassgegenstände haben, eine geraume Zeit. Die Forderung ist in dieser Zeit in der Regel zu verzinsen.

Eine Sonderregelung zum Schutz der Erben enthält jedoch § 2331a BGB. Danach kann der Erbe verlangen, dass der Pflichtteil gestundet wird, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs eine unbillige Härte wäre, insbesondere, wenn dafür das Familienheim oder ein Wirtschaftsgut veräußert werden müsste, dass die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Erben und seiner Familie bildet. Bei der Abwägung sind jedoch auch die Interessen des Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen. Über die Stundung entscheidet ggf. das Nachlassgericht.

Fazit

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass etwaige Pflichtteilsansprüche bei der Abfassung des Testaments mit berücksichtigt werden müssen, um den wirklichen Willen des Erblassers auch wirklich umzusetzen, damit die gut gemeinte Erbeinsetzung nicht unter Umständen zu einer Belastung des bedachten Erben wird. Dies gilt insbesondere bei größeren Vermögen oder in sog. Patchwork-Familien. Leider zeigt die Praxis, dass viele Testamente dem nicht genügen, wodurch im Ergebnis Streit zwischen den Verwandten vorprogrammiert ist.

RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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