Die Abmahnung – ein Dauerbrenner

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1. Vorwort

Eine Abmahnung ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, regelmäßige Wirksamkeitsvoraussetzung einer verhaltensbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber. Die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Abmahnung sind von der Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit aus dem sog. ultima-ratio-Prinzip des Kündigungsschutzrechts entwickelt worden. Dieses besagt, dass eine verhaltensbedingte Kündigung erst dann geboten ist, wenn dieser eine einschlägige Abmahnung vorausgegangen ist.

Dem Arbeitnehmer soll durch die Abmahnung verdeutlicht werden, dass der Arbeitgeber ein bestimmtes Verhalten als Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten bewertet und bei Fortsetzung bzw. Wiederholung die Kündigung des Arbeitsverhältnisses droht. Dem Arbeitnehmer soll durch die Abmahnung die Gelegenheit gegeben werden, sein Verhalten in Zukunft arbeitsvertragskonform zu gestalten.

Die Abmahnung muss deshalb nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zwei notwendige Komponenten enthalten: die Rügefunktion und die Warnfunktion. Der Rügefunktion wird die Abmahnung gerecht, wenn der Arbeitnehmer der Formulierung klar entnehmen kann, welches Verhalten arbeitsrechtlich von ihm gefordert wird und durch welches konkrete Verhalten seinerseits er diese arbeitsvertragliche Pflicht verletzt hat. Die Warnfunktion ist dann gegeben, wenn die Formulierung des Arbeitgebers hinreichend klar zum Ausdruck bringt, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses bei Wiederholung einer vergleichbaren arbeitsvertraglichen Pflichtwidrigkeit gefährdet ist.

Erfüllt die vom Arbeitgeber abgegebene Erklärung nur die Rügefunktion, nicht aber die Warnfunktion, spricht man von einer sog. formlosen Ermahnung. Einmal in dieser Form ausgesprochen, ist der Arbeitgeber daran gebunden, kann also nicht nachtarocken und denselben Sachverhalt durch Hinzufügen der Warnfunktion doch noch zu einer Abmahnung hernehmen.

Besonderheiten bestehen bei der sog. Sammelabmahnung. Mit dieser mahnt der Arbeitgeber eine Mehrzahl von Pflichtverletzungen in einem einzigen Abmahnschreiben ab. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine Sammelabmahnung hinsichtlich aller benannten Pflichtverletzungen aus der Personalakte zu entfernen ist, wenn sich nur eine einzige als ungerechtfertigt erweist. Ob daran allerdings die Folgerung zu knüpfen ist, der Arbeitgeber dürfe sich - weil nicht mehr in der Personalakte enthalten - in einem Kündigungsschutzprozess auch nicht mehr auf die (inhaltlich zutreffenden) weiteren Pflichtvorwürfe dieser Sammelabmahnung berufen, erscheint äußerst fraglich aus der bloßen Überlegung heraus, dass diese Pflichtverletzungen, wären sie einzeln abgemahnt worden, wohl Bestand gehabt hätten. Das LAG Hamm hat in diesen Fällen im Urteil vom 17.06.1993 (4 Sa 1714/92) einen etwas sonderbaren Weg, wie die inhaltlich gerechtfertigten Abmahnungen einer Sammelabmahnung dennoch Wirksamkeit erlangen, aufgezeigt, der ohne erkennbare Resonanz geblieben ist und die eigentliche Fragestellung nicht hinreichend beantwortet.

Entbehrlich ist die Abmahnung bei besonders gravierenden Pflichtverstößen, bei denen der Arbeitnehmer nicht damit rechnen kann, der Arbeitgeber werde sein pflichtwidriges Verhalten dulden bzw durch welche das Vertrauensverhältnis unrettbar erschüttert ist.

Andererseits kann ein Verlust des Abmahnrechts dann eintreten, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis des Pflichtverstoßes längere Zeit zugewartet hat und dadurch zu erkennen gegeben hat, den Pflichtverstoß als nicht so bedeutend gewertet zu haben. Anders als bei gewissen Formen der Kündigung unterliegt der Arbeitgeber allerdings keinen Ausschlussfristen, die Abmahnung in Kenntnis des Pflichtverstoßes aussprechen zu müssen. Die Rechtsprechung hat sich bei dieser speziellen Form der Verwirkung des Abmahnrechts nicht auf konkrete Fristen festgelegt, vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Tendenziell wird jedoch gelten, dass der Arbeitgeber noch spätestens innerhalb zwei Monaten ab Kenntnis des Pflichtverstoßes die Abmahnung aussprechen darf, andererseits der Arbeitnehmer nach einem halben Jahr ab der Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Pflichtenverstoß darauf vertrauen darf, deswegen nicht mehr abgemahnt zu werden.

Abmahnungen, die in die Personalakte gelangen, sind der Karriere selten förderlich. Sie werden zum Ärgernis, wenn sie, obwohl inhaltlich unzutreffend, möglicherweise jahrelang unbeachtet in der Personalakte verweilen und bei passender Gelegenheit zum K.O.-Kriterium werden, ohne dass der Betroffene es sofort merkt.

Ungerechtfertigte Abmahnungen können für den Betroffenen aber auch in einem Kündigungsschutzprozess zu einem ernsthaften Problem werden, welches zumindest deutlich höheren Aufwand in der Darlegung derjenigen Umstände erfordert, die die inhaltliche Unrichtigkeit der seinerzeitigen Tatsachenbehauptungen des Arbeitgebers oder die Unbeachtlichkeit aus anderen Gründen (z.B. eine sehr lange Wohlverhaltensperiode) betreffen. Abmahnungen können zudem missbraucht werden, um die Kündigung missliebiger Arbeitnehmer gezielt vorzubereiten und abzusichern. Sie sind deshalb nach wie vor aktuelles Thema der arbeitsrechtlichen Praxis.

2. Der Sachverhalt

Der Kläger war seit 40 Jahren bei der Beklagten, einer Presseagentur, als Pressefotograf angestellt. Diese hatte das Arbeitsverhältnis im März 2006 aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt. Anlass war das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit einem Eisenbahnunglück. Dort hatte sich der Kläger gegenüber der Polizei zwar mündlich, nicht aber per Vorlage eines entsprechenden Presseausweises als Fotojournalist zu erkennen gegeben und deshalb einen Platzverweis erhalten. Die Beklagte stützt die Kündigung darauf, dass der Kläger bereits 2004 wegen Störung eines Fernsehinterviews und 2005 wegen unangemessener Äußerungen anlässlich eines offiziellen Empfangs einschlägig abgemahnt worden sei und er nun seine vertragliche Pflicht, sich als Bildberichterstatter korrekt und höflich zu verhalten, erneut verletzt habe. Der Kläger räumt zwar ein, sich jüngst nicht situationsgerecht verhalten zu haben, weist aber darauf hin, nicht einschlägig abgemahnt worden zu sein, weil die beiden früheren Abmahnungen nicht bestimmt genug gewesen seien, deshalb durch rechtskräftige Urteile aus der Personalakte zu entfernen gewesen seien und folglich keine Wirksamkeit mehr entfalten könnten.

3. Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dem Kläger in seinem Urteil vom 23.06.2009 (2 AZR 283/08) Recht gegeben. Zwar könne die Beklagte von ihren Mitarbeitern ein korrektes und

höfliches Auftreten verlangen. Eine sofortige verhaltensbedingte Kündigung sei aber nur dann möglich, wenn entweder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen kann, der Arbeitgeber werde das Fehlverhalten sanktionslos hinnehmen, oder aber der Arbeitnehmer bereits zuvor einschlägig abgemahnt worden ist.

Das BAG hat die die Kündigung auslösende Pflichtverletzung als nicht besonders gravierend eingeordnet, da es sich lediglich um eine vertragliche Nebenpflicht gehandelt hat. Die Beklagte könne aber auch nicht zur Untermauerung der verhaltensbedingten Kündigung auf die zuvor erteilten beiden Abmahnungen, da es insofern an einer notwendigen Bestimmtheit gefehlt habe. Der Kläger habe diesen Abmahnungen gerade nicht entnehmen können, welches konkrete Verhalten die Beklagte künftig von ihm erwarte und welches Verhalten sie zu sanktionieren gedenke.

3. Geltendmachung der Rechtswidrigkeit der Abmahnung

Dem durch eine für rechtswidrig erachtete Abmahnung Betroffenen stehen grundsätzlich folgende Möglichkeiten offen: er kann die Abmahnung ohne Reaktion hinnehmen, er kann von seinem Arbeitgeber Rücknahme verlangen, er kann eine schriftliche Gegendarstellung zu seiner Personalakte geben und er kann die Rechtmäßigkeit in einem Abmahnungsprozess, gerichtet auf Entfernen der Abmahnung aus seiner Personalakte, überprüfen lassen.

Vorteil der letztgenannten Vorgehensweise ist sicherlich, dass quasi im Wege der Vorwärtsverteidigung eine in Hinblick auf den abgemahnten Sachverhalt beabsichtigte Kündigung zumindest erschwert wird. Der Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte kann jederzeit geltend gemacht werden und ist nicht einzelvertraglichen oder tarifvertraglichen Ausschlussfristen unterworfen.

Allerdings vergibt sich der Arbeitnehmer nicht viel, wenn er seine Reaktion vorerst darauf beschränkt, eine detaillierte schriftliche Gegendarstellung zum erhobenen Pflichtvorwurf zu seinen Personalakten zu geben und zuzuwarten, bis er mit diesem „Ass im Ärmel" im vorhersehbaren Kündigungsschutzprozess auftrumpfen kann, und zwar vor folgendem betriebsverfassungsrechtlichen Hintergrund:

Anders als im Falle einer Kündigung besteht für den Arbeitgeber keine Pflicht, den Betriebsrat vor Ausspruch einer Abmahnung anzuhören. § 102 BetrVG, der die Anhörung im Falle der Kündigung regelt, ist auf die Abmahnung weder direkt noch entsprechend anzuwenden. Es wäre jedoch voreilig, daraus zu schließen, dass betriebsverfassungsrechtliche Aspekte bei der Abmahnung bedeutungslos seien. Denn zur ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates im Falle der Kündigung gehört dessen Unterrichtung über eventuell einschlägige Abmahnungen. Versäumt der Arbeitgeber oder dessen Personalverantwortlicher diese Unterrichtung, ist die Anhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt und die Kündigung allein aus diesem Grund aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen unwirksam.

Selbst wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat von den einschlägigen Abmahnungen unterrichtet, aber es dann, wie so häufig, versäumt, über die vom Arbeitnehmer zur Personalakte gereichten Gegendarstellung zu unterrichten, wird keine ordnungsgemäße Anhörung stattgefunden haben mit dem Ergebnis, dass sich die Kündigungsschutzklage bereits aus diesem Grunde allein als erfolgreich erweisen wird.

Besonders wichtig ist deshalb für den Arbeitnehmer, bei der Formulierung seiner Gegendarstellung darauf zu achten, dass diese sich nicht auf den bloßen Hinweis beschränkt, die in der Abmahnung enthaltenen Vorwürfe seien ungerechtfertigt. Vielmehr muss diese Gegendarstellung einen substantiierten Sachvortrag enthalten, der geeignet ist, den der Abmahnung zugrundeliegenden Sachverhalt in einem anderen - für den Arbeitnehmer positiveren - Lichte erscheinen zu lassen, um bei künftiger Beurteilung entsprechende Wirkung zu entfalten.



Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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