Die Flucht vor der Polizei – zugleich ein verbotenes Rennen im Straßenverkehr (§ 315d StGB)?

  • 4 Minuten Lesezeit

Wer im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Fahrzeugrennen teilnimmt oder als „Allein-Raser“ ein sogenanntes „Rennen gegen sich selbst“ austrägt, soll nach dem Willen des Gesetzgebers gemäß § 315d Abs.1 Nr.2 bzw.3 StGB bestraft werden - so viel ist klar. Was aber ist, wenn im letztgenannten Fall es dem Beschuldigten gar nicht oder zumindest nicht ausschließlich darum ging, entsprechend der gesetzlichen Voraussetzung „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“, sondern er vielmehr Reißaus vor der hinter ihm fahrenden Polizei nahm?

Die damit angesprochene Frage, ob Fälle der „Polizei-Flucht“ gegen die Annahme eines illegalen Einzel-Rennens im Sinne von § 315d Abs.1 Nr.3 StGB sprechen, wird von den Gerichten bislang sehr uneinheitlich beurteilt. 

 

1.) Pro und Contra

a) Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied beispielsweise per Beschluss vom 04.07.2019 (Az. 4 Rv 28 Ss 103/19), dass auch die Flucht vor der Polizei unter den besagten Straftatbestand fallen könne.

Im zugrundeliegenden Fall hatte der Beschuldigte sich einem Anhalte-Vorgang der Polizei zu entziehen versucht, indem er sein Fahrzeug nach Aufblenden des Signals „Stopp Polizei“ auf die höchstmögliche Geschwindigkeit beschleunigte. Die Polizei verfolgte ihn sodann mit Blaulicht, Martinshorn und weiterhin aktiviertem Haltesignal. Der Beschuldigte fuhr innerorts bei zulässigen 50 km/h mit mindestens 140 km/h und außerorts bei beschilderten 70 km/h mit bis zu 180 km/h, missachtete eine rote Ampel, befuhr die Gegenfahrbahn und schnitt an unübersichtlichen Stellen die Kurven. All dies erfülle den Straftatbestand des illegalen Rennens, denn auch die Polizei-Flucht sei von einem spezifischen Renn-Charakter geprägt.

Die Voraussetzungen der Strafbarkeit seien gegeben, weil die vom Gesetz geforderte Absicht des Fahrers, die nach den örtlichen Begebenheiten oder persönlichen Fähigkeiten des Fahrers mögliche relative Höchstgeschwindigkeit zu erreichen, nicht der Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein müsse. Fälle der Flucht vor der Polizei seien aufgrund der mit den hohen Geschwindigkeiten verbundenen Risiken mit Wettbewerbssituationen vergleichbar, selbst wenn hierbei das Ziel des Wettbewerbs nicht im Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liegt.

b) Gegenteiliges führte wiederum das Kammergericht Berlin (NZV 2020, 210) aus:

Der Angeklagte in diesem Fall war Pizza-Bote und hatte es wegen vieler Bestellungen sehr eilig. Aufgrund augenscheinlich überhöhter Geschwindigkeit innerhalb Berlins fiel er einer Zivil-Streife der Polizei auf, die ihm sodann folgte. Er überholte ohne zu blinken links und rechts sowie zum Teil bei durchgezogenen Linien vorausfahrende Fahrzeuge, wurde in einer steilen Kurve aufgrund seines Tempos nach außen getragen und fuhr zu schnell an einer schlecht einsehbaren Straßenbahnhaltestelle vorbei.

Während das Amtsgericht Berlin-Tiergarten den Angeklagten wegen eines verbotenen Kraftfahrzeug-Rennens nach § 315d Abs.1 Nr.3 StGB verurteilte, konnte das Kammergericht die dafür erforderlichen Voraussetzungen im gesetzlichen Straftatbestand nicht feststellen. Es fehle dem Angeklagten nämlich an der hierfür erforderlichen Absicht und dem damit einhergehenden zielgerichteten Erfolgswillen, gerade eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen.

 

2.) Zusammenfassung, eigene Stellungnahme und Verhaltensempfehlung

a) Bislang lässt sich in der (ohnehin aufgrund des erst Ende 2017 im Gesetz aufgenommenen „Raser-Paragraphen“ eher spärlichen) Rechtsprechung noch keine einheitliche Linie dazu feststellen, ob Polizei-Flucht-Fälle mit dem Tatvorwurf gemäß § 315d Abs.1 Nr.3 StGB in Einklang zu bringen sind oder eher gegen ein solches „verbotenes Rennen“ sprechen.

Es lassen sich für beide Auffassungen Gerichtsentscheidungen vortragen.

b) Ich persönlich meine, dass die dargestellte Entscheidung des Kammergerichts Berlin überzeugender ist, denn wer vor der Polizei flieht, der legt es regelmäßig nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Absicht auf die relativ mögliche Höchstgeschwindigkeit seines Kraftfahrzeugs an, sondern „nur“ darauf, schneller als die Polizei zu sein und dieser zu entkommen. Derartige Fälle mögen deswegen als Ordnungswidrigkeit erfasst werden – strafbar sind sie hingegen nicht (immer). 

c) Insbesondere aufgrund der ganz erheblichen Rechtsfolgen, die bei einer Verurteilung hinsichtlich der Finanzen (Geldstrafe) oder gar Freiheit (Gefängnisstrafe) sowie der Mobilität (Fahrerlaubnis-Entziehung / Fahrzeug-Einziehung) drohen, sollten Beschuldigte bei Fällen des Vorwurfs eines illegalen Rennens im Zusammenhang mit einer Polizei-Flucht unbedingt und unverzüglich Kontakt zu einem auf derartige Fälle spezialisierten Fachanwalt für Verkehrsrecht aufnehmen. 


Bei Interesse können Sie gerne auch unsere weiteren Anwalts-Tipps zu diesem Thema lesen: 


Dr. Sven Hufnagel
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht

 

Rechtsanwalt Dr. Sven Hufnagel ist als Experte im Bereich des Verkehrsstraf- und Bußgeldrechts bekannt und wurde von 2015 bis 2020 jährlich in der „FOCUS-Anwaltsliste“ als „Top-Anwalt für Verkehrsrecht“ aufgeführt. Seine Kanzlei wurde im STERN-Magazin als eine der „Besten Verkehrsrechts-Kanzleien Deutschlands“ 2020 ausgezeichnet.

In Verfahren wegen angeblich illegaler Rennen greift er auf umfassende Erfahrungen zurück und arbeitet eine stets an den Umständen des Einzelfalls individualisierte Verteidigungstaktik aus.

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Schwerpunkt-Seite im Internet unter www.anwalt-strafrecht.com .


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. jur. Sven Hufnagel

Beiträge zum Thema