Die Reichweite des Rechts auf Akteneinsicht – Folgen Ihrer Verweigerung und fehlende Zeitvorgaben?

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1. Der Streit um die Ermittlungsakte: vom Ermittlungsverfahren bis zum Revisionsgericht 

Das Recht eines Beschuldigten auf Sichtung seiner gegen ihn geführten Ermittlungsakte ist Ausdruck seines Anspruches auf ein faires Verfahren und Exponat der zwischen ihm bzw. seinem Strafverteidiger und der Staatsanwaltschaft bestehenden Waffengleichheit.

Weil in der Ermittlungsakte sämtliche staatliche Vorgänge dokumentiert sind, der Vollzug polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Maßnahmen und richterliche Anordnungen in ihr niedergelegt sein müssen, kann die Ermittlungsakte als Zentralorgan für das laufende Verfahren verstanden werden.

Der Gedanke der Gesetzesväter war so schlicht wie brillant: Wie kann eine Person sich denn vor Gericht nur effektiv verteidigen, wenn sie gar nicht weiß, was strafrechtlich gegen sie überhaupt vorliegt?!

Wie jede wichtige rechtsstaatliche Errungenschaft kann auch die Gewährung von Akteneinsicht im laufenden Prozess zum Aufhänger heftiger Streitigkeiten werden, die bis zum Revisionsgericht hin wirken:

Dies beispielsweise, wenn das Tatgericht keine Beiziehung von Ermittlungsakten in einem parallel zum verhandelten Prozessstoff geführten Verfahren den Rechtsanwälten gestatten will.

Gute Verteidigung wird darauf zu reagieren wissen: Denn durch fehlende Vorbereitungszeit für im Prozess neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schweren Strafgesetzes gegen einen Angeklagten zulassen (§ 265 Abs. 1, 3 StPO) ist immer Aussetzung der Hauptverhandlung zu beantragen, § 228 StPO. In kleineren Strafverfahren darf nämlich niemals länger als 3 Wochen der Prozess unterbrochen werden, § 229 StPO. Es müssen also Beiziehungsantrag und sodann Aussetzungsantrag gestellt werden.

Würde dem nicht stattgegeben, müsste über diese Ablehnung ein Gerichtsbeschluss herbeigeführt werden und dürfte sodann jede Revision zu gewinnen sein: Dann nämlich wäre die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluss des Gerichts unzulässig beschränkt worden, mithin läge ein absoluter Revisionsgrund vor, § 338 Nr. 8 StPO.

Den Umgang mit Akten empfiehlt es sich auch sonst sorgfältig zu betreiben: in ihr sind erheblich sensible Daten gesammelt und diese sogar staatlich mit Blick auf die Begehung von Straftaten und Verurteilungswahrscheinlichkeiten zusammengefasst.

Die dabei in Rede stehenden Sozialsphäre, Privatsphäre und Intimsphäre der Beschuldigten und der Zeugen sind nicht weniger als ein Ausfluss derer Rechte auf Datenschutz und demnach wie Verfassungsrecht zu behandeln und folgen diese aus der in Artikel 1 unserer Verfassung verankerten Menschenwürde (sog. Recht auf informationelle Selbstbestimmung/Allgemeines Persönlichkeitsrecht Art. 1 i. V. m. Art 2. GG)

2. Wann hat mein Anwalt die Akte? Wann wird die Akteneinsicht genehmigt?

Vom Anspruch auf Akteneinsicht nicht umfasst ist die staatliche Bereitstellung der Ermittlungsakte(n) binnen einer gewissen Zeit. Als Strafrechtsanwalt werde ich dies oft gefragt. Das Gesetz selbst schweigt zur zeitlichen Umsetzung der Akteneinsicht und überlässt diese faktische Umsetzung den Behörden.

Aus Sicht des (auf freiem Fuß befindlichen) Beschuldigten wird sich der Zeitablauf prozessual immer positiv auswirken, die verspätete oder verzögerte Behandlung seines Falles hat ja nicht er verursacht und darf daher nicht zu seinen Lasten gehen, wird dieser Umstand nach BGH stattdessen durch eine Strafmilderung berücksichtigt, eben weil die Sache lange zurückliegt. Ferner verblassen die Erinnerungen von Zeugen und dürften sich einige Emotionen – etwa die von belastenden Zeugen – verflüchtigt oder gar aufgelöst haben, eben weil die Sache sich erledigt hat oder schon so lange zurückliegt. Gute Strafverteidigung wird wissen, wie damit umzugehen ist.

Aus Sicht des Opfers liegt die Sache andersrum:

Gute Opfervertretung im Strafrecht wird wissen, wie man den Beschleunigungsgrundsatz zugunsten des oder der Geschädigten zu Felde führt und diesen analog § 121 StPO und Art. 6 EMRK bei Gerichten geltend macht.

Im Wege der Verzögerungsrüge kann mit § 198 GVG Druck aufgebaut werden: Denn wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt, die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Mit dem Rechtsgedanken der Untätigkeitsklage nach 3 Monaten prozessualer Passivität aus § 75 VwGO könnte ebenfalls argumentiert werden, der Verwaltungsgerichtsprozess ist ebenso wie der Strafprozess Öffentliches Recht.

Die zeitliche Umsetzung der Aktengewährung kann von verschiedenen Faktoren abhängen, wie etwa der Ermittlungsarbeit der Polizei/Direktion, LKA, der Frage ob von der Staatsanwaltschaft von dort noch sog. Nachermittlungen angefordert werden, und wenn ja, dann binnen welcher Zeitvorgabe, Anzahl der Fälle, Anzahl der Beschuldigten, Anzahl der einsichtsbeantragenden Rechtsanwälte, und vor allem dem Umfang und Komplexität des Verfahrens.

3. Berechtigte der Akteneinsicht: Verteidiger für seinen Mandanten, Beschuldigter selbst, Geschädigter, Privatperson und Versicherungen

Im deutschen Strafprozess regelt § 147 StPO den Zugang zur Ermittlungsakte eines Rechtsanwalts für dessen einer oder mehrerer Straftaten beschuldigten Mandanten:

Danach ist der Verteidiger befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen.

Ein unverteidigter Beschuldigter darf nach § 147 Abs. 4 StPO Akteneinsicht nur insoweit haben, wie der Untersuchungszweck dadurch nicht gefährdet wird (was wiederum ein unbestimmter Rechtsbegriff für die Behörde ist).

Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im Übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts.

Versagt die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht, nachdem sie den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat oder versagt die Staatsanwaltschaft die Einsicht nach § 147 Absatz 3 oder befindet sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß, so kann gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung der Akteneinsicht durch das nach § 162 StPO zuständige Gericht beantragt werden.

Auf europäischer Ebene regeln die Artikel 5 und 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention die Akteneinsicht als aus dem Verfahrensprinzip fair-trial und Waffengleichheit den Artikeln 5 und 6 der (Europäischen) Menschenrechtskonvention folgend.

Dem Wortlaut dieser Gesetze folgend steht die Akteneinsicht zuvörderst dem Beschuldigten zu, systematisch und rechtsgeschichtlich betrachtet wurde die Akteneinsicht mit den Vorschriften der § 406 e (der der Ziffer folgende Buchstabe entlarvt die nachträgliche Einführung einer jeden Vorschrift) durch das Opferrechtsreformgesetz bedacht und kann seither unter Umständen auch der Geschädigte einer Straftat die Akte erhalten, sofern er ein dazu berechtigendes Interesse der aktenführende Behörde darlegt. 

Nach § 475 StPO kann ein Rechtsanwalt auch für Privatpersonen Akteneinsicht beantragen, sofern nicht durch ein schutzwürdiges Interesse des betroffenen (Datenschutz) dem entgegensteht

Vor allem in Kapitalstrafverfahren (Mord, Totschlag) versuchen Journalisten häufig wegen großem öffentlichen Interesses irgendwie an die Ermittlungsakten zu gelangen, um daraus Bericht zu erstatten, was durch entschlossene Verteidigung abzuwehren ist (vgl. LG Berlin, Aktenzeichen 529- Ks 1/16). Dadurch vorgeschobene Sozialrechtsanwälte oder Mietrechtsanwälte dürften auch schnell entlarvt sein.

RA D. Lehnert 



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