Wann ist man vorbestraft, was steht alles im polizeilichen Führungszeugnis? Wann wird es gelöscht?

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Eintragungen über Freisprüche, Verfahrenseinstellungen und Verurteilungen nimmt ein Mensch, der einmal vor Gericht stand, grundsätzlich mit in seine Zukunft.

Richter sprechen auch schon gerne mal vom „Fluch der Tat“, der einen immer wieder mit der (kriminellen) Vergangenheit einholt.

Besonders bedeutsam ist dies im Falle des Freispruchs, in dem sich eine Tatbegehung nicht (zweifelsfrei) hat nachweisen lassen, aber dennoch zum Gegenstand in einem (neuen) Verfahren wird. Dazu unten mehr.

Unsere Verfassung gibt vor, dass wegen ein und derselben Handlung, niemand zweimal bestraft werden darf (Verbot der Doppelbestrafung, Analogieverbot, Art. 103 Abs. 3 GG, § 46 StGB) und dass bei Verurteilung durch ein Gericht (§ 46 Abs. 3 StGB Grundsätze der Strafzumessung) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes waren, nicht (nochmals) berücksichtigt werden dürfen.

Unter Heranziehung der Strafzwecke und der Straftheorien dient jede richterliche Verurteilung der Sühne und Buße, welche sich dann erledigt, wenn ein Abgeurteilter seine Strafe abgesessen oder gezahlt hat. Dann nämlich ist das Gleichgewicht zwischen verletzter Rechtsordnung und nun getaner Strafe wiederhergestellt.

Wie kann es also zu rechtfertigen sein, dass dennoch Voreintragungen des Angeklagten im Strafprozess durch das Gericht verlesen und negativ verwertet werden?

1.Die Gesetzeslage: § 243 StPO Verlesung von Altlasten in der öffentlichen Verhandlung?

Das Strafprozessrecht regelt mit seinem „Gang der Hauptverhandlung“ in § 243 StPO, dass Vorstrafen des Angeklagten nur insoweit festgestellt werden sollen, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Die Feststellung gehört in die Sachvernehmung (§ 243 IV 3 StPO) genauer gesagt an das Ende der Phase der Hauptverhandlung, da hier die Rechtsfolgenzumessungstatsachen festgestellt werden.

Wann die Vorstrafen festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende (des Gerichts, oder als Strafrichter bzw. Einzelrichter dieser allein).

Eine alte Verurteilung also, die im Zentralregister schriftlich vermerkt ist und mit der aktuellen Strafakte dem Gericht jetzt vorliegt, darf nur dann verlesen und der/die Angeklagte zu dieser Tat befragt werden darf, wenn sie mit der aktuellen, d. h. jetzt verhandelten Straftat, z. B. wegen ähnlicher Begehung, vergleichbar ist oder aus demselben Deliktsfeld von Straftaten stammt (z. B. alte Tat Diebstahl § 242 StGB, aktuelle Tat Unterschlagung § 246 StGB) und mit ihr somit in Beziehung steht.

Denn dann darf das Gericht wegen einschlägiger Vorstrafe (Altfall) eine höhere Strafe aussprechen.

Wenn anders herum eine Altstrafe nicht einschlägig, d. h. nicht aus demselben Deliktsfeld stammt, fehlt es an der Entscheidungsbedeutsamkeit aus § 243 StPO. Dann kann das Gericht daraus keine negativen Rückschlüsse ziehen und keine Vorstrafenüberlegung anstellen. Es gilt die Verlesung zu verhindern, damit auch nicht an der Urteilsfällung mitwirkende Schöffen eine alte Strafe nur „hören“ und sich dadurch ein schlechtes oder noch schlechteres Bild vom Angeklagten bekommen.

Dieses Szenario und die Frage, ob und wann ein solcher Zusammenhang (nicht) besteht, kann schnell zum Streit mit dem Gericht führen, dessen Zielführung es als Verteidiger sein muss, mit den besseren Argumenten Staatsanwaltschaft und Gericht davon zu überzeugen, dass Vorstrafen nicht verlesen und/oder verwertet werden dürfen.

2. § 51 BZRG: das gesetzlich geregelte Verwertungsverbot 

Einfacher wird der Fall, wenn die Vorstrafe „tilgungsreif“ ist. Die Tat ist mit Zeitablauf getilgt (ähnlich dem System der Punkte im Flensburger Verkehrsregister). Dann darf die Tat nicht mehr verwertet werden.

Man könnte zwar denken, dass dies klar sein muss, dennoch finde ich häufig auf den Aktendeckeln der Akte im Strafprozess, dass alte Aktenzeichen handschriftlich darauf geschrieben und es schriftlich heißt: Altfälle… Aktenzeichen so und so (obgleich mittlerweile Strafe daraus getilgt ist).

Dies lehrt uns, dass Strafverfolgungsbehörden wie Amtsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft trotz Ablauf der gesetzlichen Tilgungsfrist Einkünfte über den Angeklagten einholen und dem Gericht präsentieren und es (z. B. bei einem Angeklagten ohne Strafverteidiger) gerne verwertet hätten, etwa ohne Absicht und nur selten, gemäß „es wird schon niemand bei Gericht merken“.

Das Gesetz über das Zentralregister und Erziehungsregister (BZRG) statuiert mit § 51 BZRG ein echtes Verwertungsverbot:

„Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden.“

In jedem Fall ist zu verhindern, dass Vorstrafen schon bei der Vernehmung zur Person besprochen werden, ggf. muss der Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt werden.

3. „Sie haben ja Vorstrafen!“ Konflikte mit der Polizei im Ermittlungsverfahren § 163a StPO

Bereits in polizeilicher Vernehmung als Beschuldigter kann man mit alten Sünden konfrontiert werden.

Für Kriminalbeamte bedeutet die Kategorisierung des beschuldigten Gegenübers als „Wiederholungstäter“, „Intensivtäter“, „Mehrfachtäter“ das am Ende des Verfahrens ein Gerichtsurteil steht, dass dieses Vorleben des Täters besonders strafschärfend berücksichtigt und eine härtere Strafe aus dem Strafprozess herauskommt.

Für die meisten Polizeibeamten ist ein hohes Strafurteil gegen den Gesetzesbrecher ja überhaupt Antrieb polizeilicher Arbeit und der kriminalistischen Spürnase.

Als Intensivtäter wird man bei der Polizei in einer speziellen Liste geführt, wenn man 10 Straftaten pro Jahr begangen hat und diese aus dem ähnlichen Deliktsfeld (z. B. §§ 249 ff StGB; Raub/ räuberische Erpressung „Abziehen“, „Abrippen“) stammen. Dann ist man „einschlägig vorbestraft“.

Den Begriff des Intensivtäters kennt die StPO übrigens selbst nicht, sondern wurde dieser von der Polizei entwickelt nach Gewalt-Ereignissen jugendlicher Straftäter an der Neuköllner Rütli-Schule anno 2004 (darauffolgend: Neuköllner Modell durch die ehemalige Richterin am AG Tiergarten Heisig) und vor allem medial angefeuert.

Für die Durchführung polizeilicher Ermittlungsmaßnahmen kann jedenfalls die (wenn auch falsche) Annahme alter Strafen bedeuten, dass erhöhter Verdachtsgrad wegen der neuen Tat besteht oder erhöhte Fluchtgefahr zu prognostizieren ist (§ 112 StPO).

Dem folgend, dürfte auch ein Ermittlungsrichter bei Haftantrag oder Durchsuchungsantrag durch die Staatsanwaltschaft eher zum Erlass der Maßnahme tendieren, eben weil er nicht den gesamten Vorgang kennt und seine eilrichterliche Anordnung nach Momentaufnahme erfolgt.

Übereifrige Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden, Polizeibeamte oder Kriminalbeamte denken, dann einen „Treffer“ als Vorstrafe in den polizeilichen elektronischen Datenbanken (Inpol der Bundespolizei, Polix, Polas der Landespolizeien) gefunden zu haben.

Dies passiert vor allem in Eilfällen, denn dort wird – wegen Zeitdrucks und Erfolgseifer – nicht immer gewissenhaft geprüft wird, ob recherchierte Altstrafen oder Alteintragungen noch vor einem deutschen Strafgericht verwertbar sind und machen Polizeibeamte – sowie andere Menschen auch – immer dann Fehler, wenn sie unter Druck stehen.

Es bedarf daher einer sorgfältigen Überprüfung tilgungsreifer Altstrafen durch den Strafrechtsanwalt und die Vorbereitung über den Widerspruch eines etwaigen Verwertungsversuchs durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft über die vom BGH entwickelte Widerspruchslösung (vgl. § 257 Abs. 2 StPO). 

4. Die „getilgte“ Tat: §§ 28, 20 BZRG

Die Tilgungsfristen, also die Berechnung gesetzlicher vorgegebener Zeitfenster, in denen die Strafe „noch“ bei späteren Verhandlungen und Verurteilungen berücksichtigt werden darf, regelt das Gesetz in §§ 28–30 BZRG und wird dort unterschieden anhand des Schuldspruches des Urteils

Die genaue Tilgungsreife tritt, je nach Straftat aufgrund derer verurteilt wurde ein nach entweder 5 oder 10 Jahren.

Unter die festzustellenden Vorstrafen fallen nach Meyer-Gossner nicht nur frühere Verurteilungen, sondern auch andere Entscheidungen, die im Bundeszentralregister (§§ 28–30 BZRG), im Erziehungsregister (§§ 3, 59 BZRG) oder sogar im Verkehrszentralregister (§§ 28–30 StVG) eingetragen sind.

5. Führungszeugnis (einfaches, erweitertes, europäisches) 

a) einfaches polizeiliches Führungszeugnis

Jede Person, die das 14. Lebensjahr vollendet hat, wird auf Antrag ein Zeugnis über den sie betreffenden Inhalt des Registers erteilt (Führungszeugnis), § 30 Bundeszentralregistergesetz (BZRG). Zeugnisführende Behörde ist das Bundesamt für Justiz mit Sitz in Bonn. Man beantragt das Führungszeugnis meist über das Bezirksamt/Einwohnermeldeamt des eigenen Wohnsitzes und bekommt dieses je nach Bearbeitungszeit postalisch aus Bonn zugesandt.

Den Inhalt dessen, was in ein Zeugnis hereinkommt und für einen potentiellen Arbeitgeber sichtbar ist regelt § 32 BZRG.

Vereinfacht gesagt kommen „nur“ Verurteilungen von mehr als 90 Tagessätzen in das Führungszeugnis herein (Schuldspruch, d. h. Tat und die entsprechende Rechtsfolge). Die Bemessung einer Geldstrafe mittels des in Deutschland geregelten System der Tagessätze findet man in den §§ 40 ff StGB (Verhängung der Geldstrafe in Tagessätzen).

Alles was ein Gericht als Geldstrafe darunter ausspricht (Tagessätze dienen der Bemessung der Geldstrafe- können aber im Falle der Nichtzahlung in Ersatzfreiheitsstrafe gewandelt werden: Knast) werden im polizeilichen Führungszeugnis nicht gelistet und ist daher für einen das Zeugnis anfordernden Arbeitgeber nicht sichtbar.

b) erweitertes Führungszeugnis

Sollte ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis zur Vorlage bei einer Behörde verlangt werden, um dort z. B. ehrenamtlich zu arbeiten oder eine Stelle im öffentlichen Dienst anzutreten, darf in der Regel keine Eintragung vorhanden sein, andernfalls dürfte die Stelle nach Behördenvorgaben nicht an den strafrechtlich vorbelasteten Kandidaten zu vergeben sein.

D. Lehnert
RA, FAStR, PDoz


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