Die Zahl der Eigenbedarfskündigungen steigt. Was sind die Ursachen dieser Entwicklung?

  • 8 Minuten Lesezeit

Ein Beitrag von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Berlin und Essen.

Immer mehr Mieter erhalten Eigenbedarfskündigungen ihres Vermieters. Ich vertrete sowohl Vermieter als auch Mieter seit Jahren im Zusammenhang mit Eigenbedarfskündigung und beobachtet dabei im Wesentlichen vier Ursachen für diese Entwicklung: Die Zunahme von Wohnungseigentum, eine große Diskrepanz zwischen der Höhe der Bestandsmieten und den bei einem Neuabschluss zu erzielenden Mieten, ein unzureichender gesetzlicher Schutz der Mieter und eine lockere Rechtsprechung zu Gunsten der Vermieter.

Wer zur Miete wohnt, muss immer mit einer Eigenbedarfskündigung rechnen.

Gerade in Ballungszentren wie Berlin steigt die Zahl der Eigenbedarfskündigungen in den letzten Jahren rasant. Konnte man noch vor zehn Jahren relativ sicher in seiner Mietwohnung wohnen, kann davon heute nicht mehr die Rede sein. Jeder Mieter einer Eigentumswohnung muss damit rechnen, dass der Eigentümer irgendwann einmal Eigenbedarf geltend macht.

Auch wenn es sich um einen Eigentümer handelt, der viele Wohnungen im Bestand hat: die Wohnung kann jederzeit verkauft werden und der neue Eigentümer will diese dann vielleicht selbst nutzen. Auch Mieter von Wohnungen in großen Mietshäusern müssen immer damit rechnen, dass die Wohnungen in Wohnungseigentum aufgeteilt und anschließend veräußert werden. Hier ist die Gefahr einer Eigenbedarfskündigung nach der ersten Veräußerung nicht ganz so groß, da die Mieter mindestens drei Jahre durch eine Sperrfrist vor einer Eigenbedarfskündigung geschützt sind. In den Ballungszentren ist diese Frist häufig verlängert, in Berlin beträgt sie zehn Jahre.

Fazit: Man wohnt heute nicht mehr so sicher zur Miete, wie noch vor einigen Jahren. Das wiederum veranlasst viele Mieter ihrerseits in eine Eigentumswohnung zu ziehen, was den oben genannten Trend dann noch verstärkt.

Steigende Zahl von Wohnungseigentum

Immer mehr Menschen entdecken selbstgenutztes Wohnungseigentum als interessante Geldanlage. Dies führt dazu, dass große Mietshäuser von Investoren aufgekauft, in Wohnungseigentum aufgeteilt und das Wohnungseigentum an den einzelnen Wohnungen dann Gewinn bringend an Privatpersonen verkauft wird. Diese kaufen die Wohnung entweder zur eigenen Nutzung oder vermieten sie. Auch wenn die Wohnung zunächst vermietet wird, sobald ein Eigenbedarf entsteht, kann relativ einfach gekündigt werden.
Viele Käufer aus dem Ausland entdecken den deutschen Wohnungsmarkt als verhältnismäßig sichere Geldanlage. Nach meiner Erfahrung wird hier häufig gar nicht mehr gekauft, um zu vermieten. Der Kauf erfolgt ausschließlich als Investitionen, die Wohnungen bleiben leer oder für den gelegentlichen Aufenthalt bei Urlaubsreisen reserviert.

Ferienwohnungen statt Mietwohnungen

In Ballungszentren wie Berlin erfolgt die Umwandlung von Wohnungseigentum oft auch von vorneherein vor dem Hintergrund einer Nutzung als Ferienwohnung. Auch diese Wohnungen sind dann dem „normalen“ Mietmarkt entzogen.

Die Diskrepanz zwischen Bestandsmiete und zu erzielender Miete bei Neuabschluss eines Mietvertrages führt zu einem erhöhten Interesse des Vermieters an einer Beendigung des Mietverhältnisses.

Ein Beispiel: Ein Eigentümer hat ein Mietshaus in Berlin mit 20 Wohnungen. Die Mietverträge sind sehr alt, die Mieter zahlen niedrige Mieten. Will der Eigentümer höhere Mieteinnahmen erreichen, kann er dies aufgrund der gesetzlichen Beschränkungen durch Mieterhöhungen innerhalb eines Dreijahreszeitraums von maximal 15 % der Nettomiete. Da die Nettomiete sehr niedrig ist, fällt auch die Mieterhöhung entsprechend niedrig aus. Wenn dieser Eigentümer nun das Haus in Eigentumswohnungen aufteilt und die 20 Eigentumswohnungen verkauft, haben die Mieter der jeweiligen Wohnung ein Vorkaufsrecht. Sie können also in den Kaufvertrag mit dem jeweiligen Käufer der Wohnung zu mit diesem vereinbarten Bedingungen eintreten. Das scheitert regelmäßig an der Finanzkraft der Mieter. Der neue Erwerber kann nach Ablauf einer Sperrzeit von drei Jahren (in Berlin auf zehn Jahre verlängert) wegen Eigenbedarfs kündigen. Er behauptet als Grund für den Eigenbedarf zum Beispiel die Absicht seines Kindes vor Ort zu studieren. Die Eigenbedarfskündigung wird vermutlich erfolgreich sein. Der Mieter zieht aus. Das Kind studiert letztlich doch an einer anderen Universität. Der Vermieter kann die Wohnung völlig frei zum marktüblichen Mietzins vermieten und erzielt ein Vielfaches der bisherigen Miete.

Vermieter, die den Eigenbedarf nur vortäuschen, machen sich zwar gegenüber dem gekündigten Mieter grundsätzlich schadensersatzpflichtig. Das Vortäuschen ist aber regelmäßig schwer zu beweisen. Innere Willensentscheidungen wie im oben zitierten Fall können kaum widerlegt werden und es ist ein grundrechtlich geschütztes Recht eines Kindes, seinen Studienort frei zu wählen und die Wahl auch nachträglich noch zu ändern.

Aufhebungsvertrag bei unwirksamer Eigenbedarfskündigung

Häufig sprechen Vermieter auch kalkuliert eine unwirksame Eigenbedarfskündigung aus und verhandeln dann mit dem Mieter über eine Aufhebung des Mietverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung für den Verlust der Wohnung. Auch hier erfolgt dann oft eine Neuvermietung zum höheren Mietzins.

Unzureichender gesetzlicher Schutz der Mieter

Die Mieter sind vor der Eigenbedarfskündigung in dem oben zitierten Beispielsfall durch die Sperrfrist für einen gewissen Zeitraum geschützt. Das gilt aber nur in den Fällen eines erstmaligen Verkaufs nach erfolgter Umwandlung in Wohnungseigentum. Das Mietverhältnis muss bereits zum Zeitpunkt der Umwandlung in Wohnungseigentum bestehen. In allen anderen Fällen hat der Mieter nahezu keinen Schutz vor einer Eigenbedarfskündigung. Der Vermieter muss nur den Eigenbedarf behaupten und einigermaßen plausibel die entsprechenden Gründe darlegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (grundlegend BGH, Rechtsentscheid vom 20. Januar 1988 - VIII ARZ 4/87 -, NJW 1988, S. 904) reicht der Wille des Vermieters, in den eigenen Räumen zu wohnen, für die Annahme von Eigenbedarf aus, wenn vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme des Wohnraumes vorhanden sind. Nicht erforderlich ist, dass der Vermieter einen Mangel an Wohnraum hat. Der Vermieter, der also bereits eine Wohnung hat, kann mit entsprechender Begründung auch eine Zweite zur Eigennutzung kündigen.
Der Vermieter muss die Wohnung noch nicht einmal selbst nutzen wollen, es reicht aus, wenn eine Nutzung durch seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts beabsichtigt ist. Irgendjemand wird sich also schon finden. Auch ein zeitlich begrenzter Bedarf an Wohnungseigentum kann eine Eigenbedarfskündigung begründen.

Der Mieter kann gegenüber einer Eigenbedarfskündigung dann nur sein besonderes Interesse am Verbleib in der Wohnung geltend machen, wenn er form- und fristgerecht widerspricht und die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter selbst, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Von extremen Ausnahmefällen abgesehen, führt der Widerspruch des Mieters in der Regel nicht zu einer erfolgreichen Abwehr der Eigenbedarfskündigung. Es sind nämlich immer die berechtigten Interessen des Vermieters an der Eigennutzung mit in die Abwägung einzubeziehen. Sind diese Interessen auch nur annähernd gleichwertig, obsiegt immer der Vermieter. Selbst wenn sich der Mieter darauf berufen kann, das angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann, hilft ihm dies dann nichts, wenn dieses Problem auch den Vermieter betrifft, also auch dieser keinen angemessenen Ersatzwohnraum finden kann.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der derzeitige gesetzliche Schutz des Mieters vor einer Eigenbedarfskündigung in der Praxis nur in Extremfällen greift. Wirksam ist der Schutz nur in den Fällen, in denen eine Sperrfrist greift und auch dann nur für den Zeitraum der Sperrfrist (maximal zehn Jahre).

Vermieterfreundliche Rechtsanwendung in der Praxis

In der gerichtlichen Praxis beobachte ich folgendes: Die Amtsgerichte urteilen gelegentlich mieterfreundlich. Dabei wird aber oft übersehen, dass die Gerichte nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in die Lebensführung des Vermieters eingreifen dürfen, indem sie ihm den noch zulässigen Bedarf vorschreiben. Wenn das Gericht also die Unwirksamkeit einer Eigenbedarfskündigung damit begründet, dass der Vermieter schon 100 m² Wohnraum bewohnt und weitere 100 m² der zu kündigenden Wohnung für seine Lebensführung nicht benötigt, wird das Urteil mit dieser Begründung in der nächsten Instanz, spätestens aber beim Verfassungsgericht, nicht zu halten sein. Dem Mieter ist damit ein Bärendienst erwiesen, weil er dann auch noch die Kosten für die zweite Instanz zu tragen hat.

Demgegenüber prüfen die Gerichte meiner Ansicht nach viel zu nachlässig die Frage der Plausibilität des Vermietervortrags im Zusammenhang mit den Kündigungsgründen. Es handelt sich hier häufig um einer Beweisaufnahme nur schwer zugängliche Absichten des Vermieters. D.h. der Vermieter kann im Prinzip behaupten, dass er eine bestimmte Nutzung anstrebt und das war‘s dann für den Mieter. Umso kritischer müssten die Gerichte die Plausibilität des Vermietervortrags unter die Lupe nehmen. Würde im oben genannten Fall das Gericht die Begründung anders formulieren, nämlich dergestalt, dass es zur Überzeugung des Gerichts nicht wahrscheinlich ist, dass der Vermieter tatsächlich noch weitere 100 m² bewohnen will, wäre das Urteil nicht automatisch rechtsfehlerhaft. Das Ergebnis der richterlichen Beweisaufnahme ist in der Berufungsinstanz nur eingeschränkt überprüfbar. In der Praxis ist allerdings zu beobachten, dass auch die konstruiertesten und abenteuerlichsten Begründungen, soweit sie nicht nachweisbar falsch sind, von den Gerichten anerkannt werden.

Unzureichender Mieterschutz bedingt Fehlentwicklung auf dem Mietmarkt

In der Praxis ist ein erheblicher Missbrauch der gesetzlichen Regelungen zur Eigenbedarfskündigung zu Gunsten der Vermieter zu beobachten. Dieser wird durch die Rechtslage und die Rechtsanwendung durch die Gerichte begünstigt. Langfristig wird dadurch das Wohnen zur Miete unattraktiver werden. Das wird dann auch zum Nachteil von Vermietern bzw. Investoren sein. Angesichts der zunehmenden Flexibilisierung der modernen Arbeitswelt ist der Bedarf gerade in Ballungszentren eher darauf gerichtet, mehr Mietwohnungen zu haben. Wer häufig den Arbeitsort wechselt, wird nicht jedes Mal Eigentum erwerben wollen. Das hat der Gesetzgeber einerseits erkannt, indem er zum Beispiel die Kündigungsfristen für Mieter auf generell drei Monate herabgesetzt hat. Andererseits wird nichts dagegen unternommen, dass in großem Umfang Mietwohnungen zu Gunsten von Eigentumswohnungen vom Markt verschwinden. Die so genannte Mietpreisbremse, also die Beschränkung der Höhe der Miete bei Neuvermietung, könnte hier einen positiven Effekt entfalten. Das Interesse des Vermieters, das alte Mietverhältnis zum günstigen Mieten zu beenden, ist nicht so groß, wenn er weiß, dass er auch bei der Neuvermietung lediglich 10 % mehr Miete verlangen kann.

28.8.2014

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