Diebstahl durch Angestellten – wer hat Gewahrsam?

  • 4 Minuten Lesezeit

Wegen der jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit besitzt ein Ladeninhaber an den Waren im Geschäft zumindest (Mit-)Gewahrsam, ohne dass es darauf ankommt, ob er Kontrollen am Warenbestand vornimmt oder überhaupt weiß, ob und wie viele der einzelnen zum Verkauf angebotenen Gegenstände sich in der Gewahrsamssphäre des Ladens befinden.

Diebstahl

Um sich wegen Diebstahls nach § 242 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar zu machen, muss man eine fremde, bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnehmen, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Eine „Wegnahme“ liegt dann vor, wenn fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet wird. Gewahrsam ist die tatsächliche Sachherrschaft einer natürlichen Person über eine Sache, die von einem generellen Sachherrschaftswillen getragen sein muss. Sachherrschaft ist die tatsächliche Verfügungsgewalt an der Sache. Wann man Verfügungsgewalt hat, kann in Grenzfällen schwierig zu bestimmen sein. Der (angestellte) Verkäufer in einem Geschäft hat in der Regel einfache Sachherrschaft, weil er über die Gegenstände tatsächlich verfügen kann. Er muss sie ja verkaufen. Der Ladeninhaber hat sogenannten übergeordneten Gewahrsam. Er darf bestimmen, welche Gegenstände der Verkäufer herausgeben darf und welche nicht.

Wenn man Gegenstände verliert, hat man noch so lange Gewahrsam an der Sache, solange man noch weiß, wo diese sich ungefähr befindet. Wenn man dies nicht mehr weiß, wird die Sache herrenlos und der Finder begeht regelmäßig keinen Diebstahl, wenn er den Fundgegenstand an sich nimmt. Etwas anderes gilt, wenn der Inhaber am Fundgegenstand erkenntlich ist. Ob ein Ladeninhaber noch Gewahrsam an Gegenständen hat, die sich zwar in seinem Geschäft befinden, der Ladeninhaber aber keine Bestandskontrolle oder Inventur dieser Gegenstände gemacht hat und somit nicht (genau) weiß, welche Gegenstände sich in seinem Geschäft befinden, musste nun der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 11.02.2015 – 2 StR 210/14 – folgenden Fall entschieden:

Der Angeklagte war seit Dezember 2011 im DB-Store in F. als Angestellter tätig. Er war unter anderen für die Ausstellung von Monatsfahrkarten der Deutschen Bahn für das Rhein-Main Gebiet zuständig. Er hatte Zugriff auf im Geschäft lagernde, größere Bestände sogenannter Blanko-Fahrscheine. Diese konnten je nach Bedarf im Geschäft bedruckt werden.

Der Ladeninhaber, die Deutsche Bahn, führte keine Bücher hinsichtlich des Bestandes und der Nachbestellungen dieser Blankofahrscheine. Der Umgang des Angeklagten mit dem Blankofahrscheinen wurde nicht überwacht.

Im Herbst 2012 wurde der Angeklagte von einem Bekannten gefragt, ob er diesem die Blankofahrscheine beschaffen kann. Der Angeklagte stimmte mit dem Wissen zu, dass diese dann bedruckt und im Verkehr als Fahrscheine verwendet werden sollen. Bis Mai 2013 kam es so zu fünf Lieferungen von 8.000 Stück durch den Angeklagten an seinen Bekannten. Der Angeklagte erhielt dabei zwischen 2,50 € und 6,10 € pro Blankofahrschein. Über die Hintermänner, welche die Fahrscheine fälschten und weiterveräußerten, war dem Angeklagten nichts Näheres bekannt. Der Angeklagte erzielte auf diese Wiese Einnahmen in Höhe von mindestens 34.100 €. Der Schaden der Deutschen Bahn belief sich aufgrund des In-Verkehr-Bringens der gefälschten Fahrscheine auf circa 80.000 €.

Das Landgericht hat die Weitergabe der Blankofahrscheine als Diebstahl angesehen, weil der Angeklagte den übergeordneten Gewahrsam des Arbeitgebers, des Ladeninhabers, also der Deutschen Bahn, gebrochen hatte. Solange die Blankofahrscheine noch im Laden sind, hat die Deutsche Bahn noch übergeordneten Gewahrsam. Erst wenn der „Händler“ diese an sich nimmt, ist neuer Gewahrsam begründet und der Gewahrsam der Deutschen Bahn gebrochen.

Der BGH bestätigte das Landgerichtsurteil, wonach der Arbeitgeber des Angeklagten Gewahrsam an den Blankofahrscheinen hatte. Ein Ladeninhaber besitzt zumindest Mitgewahrsam an allen im Ladengeschäft befindlichen Waren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Kontrollen am Bestand der Waren vorgenommen werden oder der Ladeninhaber überhaupt weiß, ob und wie viele Gegenstände konkret sich in der Gewahrsamssphäre des Ladens überhaupt befinden.

Der BGH verurteilte den Angeklagten auch wegen Beihilfe zur Urkundenfälschung wegen dieser Tat.

Zusammenfassung

Zwar setzt der Gewahrsam beim Diebstahl einen Gewahrsamswillen voraus. Das heißt, der Besitzer muss die Gegenstände besitzen (tatsächliche Sachherrschaft) wollen und sie sollen seine Gewahrsamssphäre nur mit seiner Zustimmung verlassen. Es kommt aber nicht darauf an, ob man im Einzelnen genau weiß, wie viele und welche Sachen sich in dem fraglichen Gewahrsamsbereich befinden. Es reicht ein genereller Gewahrsamswille aus, also alle Waren im Laden, oder auch der unbekannte Gegenstand im Handschuhfach des geschenkten/gekauften Autos.

In der Praxis wirft dieses Urteil schwierige Abgrenzungsprobleme auf. Wenn der Gewahrsam sehr gestuft ist, wie dies bei größeren Firmen mit ihren Hierarchien oft der Fall ist, und Gegenstände zwar mit Willen eines Angestellten aber gegen den Willen desjenigen, der übergeordneten Gewahrsam hat, weggegeben werden, kommt man schnell in die Strafbarkeit nach § 242 StGB. Es kann aber nur der untergeordnete Gewahrsamsinhaber den Gewahrsam gegenüber dem übergeordneten Gewahrsamsinhaber brechen. Welchen, eventuell auch mutmaßlichen, Willen der Gewahrsamsinhaber zum Zeitpunkt der Tat hatte, lässt sich hinterher manchmal nur noch schwer feststellen. 

Wenn zum Beispiel auf einer Baustelle alte Bleirohre ausgegraben werden und der Arbeiter diese gegen oder ohne Willen des Chefs weiterverkauft, lässt sich schwer sagen, ob der Chef dem eventuell doch zugestimmt hätte. Auch eine nachträgliche zivilrechtliche Genehmigung des „Transaktionsgeschäftes“ durch den übergeordneten Gewahrsamsinhaber ist für eine Strafbarkeit nach § 242 StGB unbeachtlich. Wenn die Sache zum Zeitpunkt der Wegnahme fremd war und (Mit-) Gewahrsam gebrochen wurde, liegt auch bei nachträglicher Genehmigung strafrechtlich in aller Regel ein Diebstahl vor.

Der Beitrag wurde mitgeteilt von Rechtsanwalt Dietrich, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Berlin. Sollte Ihnen vorgeworfen werden, einen Diebstahl begangen zu haben, können Sie unter den angegebenen Kontaktdaten einen Besprechungstermin mit Rechtsanwalt Dietrich vereinbaren. Weitere Informationen zum Diebstahl finden Sie auf der Internetseite www.strafverteidiger-diebstahl.de


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Steffen Dietrich

Beiträge zum Thema