Diesel-Abgasskandal: BGH übt Zweifel an VW-Argumenten – auch bei Audi & Porsche 2020 gute Chancen

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Erstmals hat sich am 05.05.2020 der BGH zum sog. Diesel-Abgasskandal geäußert. Ein erstes Verfahren, das einen VW Sharan zum Gegenstand hat, hat den BGH befasst (BGH, Az.: VI ZR 252/19). Ein Urteil steht noch aus. Dennoch wurde deutlich, dass die BGH-Richter der VW-Argumentation wohl nicht folgen werden. "Ein verheerender erster Verhandlungstag für VW", titelte die Süddeutsche Zeitung. Insofern lassen die ersten Verlautbarungen des BGH (weiterhin) positive Prognosen für betroffene Käufer manipulierter Dieselfahrzeugen zu. Die BGH-Richter machten deutlich, dass den betroffenen Käufern allein durch den Kauf eines manipulierten Fahrzeugs ein Schaden zugefügt wurde. Darüber hinaus sei kein konkreter Schaden nachzuweisen. 

Bislang hat sich die Gegenseite darauf zurückgezogen, dass durch die Durchführung eines etwaigen Software-Updates das eigentliche Problem aus der Welt geschafft werde. Damit wurde nun die zentrale Argumentation - gerade von VW - durch die BGH-Richter infrage gestellt. Es ist zu erwarten, dass der BGH mehr Klarheit in folgende Fragestellungen bringen wird:

Auf welche rechtliche Grundlage können Ansprüche von betroffenen Käufern gestützt werden? 

Vorsätzlich sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB, Betrug gemäß § 823 Abs. 2 BGB iVm 263 StGB oder unerlaubtes Inverkehrbringen ungenehmigter Kraftfahrzeuge nach § 823 Abs. 2 iVm Europäischem Typenzulassungsrecht? - Eine Rechtsfrage, die den weiteren Verlauf des nicht unerheblichen Industrieskandals im Hinblick auf zu erwartende Entschädigungsleistungen gegenüber betroffenen Käufern prägen wird.

Wer trägt die Beweislast? 

Bislang hat sich VW geweigert, die betriebsinternen Umstände darzulegen, die zur Manipulation geführt haben. Zahlreiche Gerichte haben sodann Hersteller verurteilt, weil sie ihrer sekundären Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen sind. Letztlich ist es betroffenen Käufern nicht möglich, Unternehmensinterna darzulegen und unter Beweis zu stellen.

Schadensersatz: Ist eine Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen und wie ist diese zu berechnen? 

Bislang ist die Rechtsprechung uneinheitlich, ob und inwiefern eine Nutzungsentschädigung bei Schadensersatz in Abzug zu bringen ist.

Gute Chancen für Individualklagen

Der BGH deutete am vergangenen Dienstag ein verbraucherfreundliches Urteil an. Auch wenn zu erwarten ist, dass sich betroffene Käufer eine etwaige Nutzungsentschädigung wohl anrechnen lassen müssen, stehen die Chancen weiterhin gut. Interessant auch für Fahrzeuge mit einem 3.0 Liter Motor des Typs EA 897. Dabei sind nicht nur Fahrzeuge von Volkswagen, sondern ebenso der Marken Audi und Porsche betroffen.

Entscheidungen könnten positiv für Betroffene vereinheitlicht werden.

Landgerichte und Oberlandesgericht werden sich der Auffassung des BGH im Nachgang der ersten Entscheidung regelmäßig anschließen.

Das Urteil könnte eine Reihe obergerichtlicher Entscheidungen bestätigen, wonach durch die Abgasmanipulation betroffenen Käufern in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt wurde. Mit Urteil vom 10.03.2020 bestätigte beispielsweise das Oberlandesgericht (OLG) Köln (Az.: 4 U 219/19) ein erstinstanzliches Urteil, wonach die Volkswagen AG einen Kaufvertrag über einen Audi Q 5 rückabwickeln müsse. Die Berufung der Volkswagen AG hatte dahingehend keinen Erfolg. Der erkennende Senat schloss sich vielmehr der herrschenden Auffassung an, dass diese wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 (in Verbindung mit § 31) BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist:

"Die veröffentlichte obergerichtliche Rechtsprechung (OLG Celle, Urteil vom 20. November 2019 - 7 U 244/18, juris; Urteil vom 22. Januar 2020 - 7 U 445/18 -, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - 13 U 81/19 -, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. September 2019 - 17 U 45/19 -, juris; OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019 - 13 U 149/18 -, juris; KG, Urteil vom 26. September 2019 - 4 U 77/18 -, juris; Urteil vom 12. November 2019 - 4 U 9/19 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 - 13 U 142/18 -, ZIP 2019, 863; Urteil vom 18. Juli 2019 - 17 U 160/18 -, WM 2019, 1510; Urteil vom 6. November 2019 - 13 U 37/19 -, juris; Urteil vom 19. November 2019 - 17 U 146/19 -, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 - 5 U 1318/18 -, WM 2019, 1229; Urteil vom 16. September 2019 - 12 U 61/19 -, WM 2019, 1929; Urteil vom 25. Oktober 2019 - 3 U 819/19, juris; OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019 - 18 U 70/18 -, NJW-RR 2019, 984; Beschluss vom 29. April 2019 - 16 U 30/19 -, juris; Urteil vom 6. Juni 2019 - 24 U 5/19 -, juris; Beschluss vom 27. Juni 2019 - 27 U 14/19 -, juris; Beschluss vom 1. Juli 2019 - 27 U 7/19 -, juris; Urteil vom 17. Juli 2019 - 16 U 199/18 -, juris; Urteil vom 6. September 2019 - 19 U 51/19 -, juris; Urteil vom 30. Januar 2020 - 7 U 141/19 -, juris; Urteil vom 13. Februar 2020 - 18 U 147/19 -, juris; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 2. Oktober 2019 - 5 U 47/19 -, juris; Urteil vom 21. Oktober 2019 - 13 U 73/19 -, juris; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27. September 2019 - 7 U 24/19 -, juris; Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 22. November 2019 - 17 U 44/19 -, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 24. September 2019 - 10 U 11/19 -, juris; Urteil vom 28. November 2019 - 14 U 89/19 -, juris; OLG Zweibrücken, Urteil vom 14. November 2019 - 4 U 88/19 -, BeckRS 2019, 30078) geht ganz überwiegend davon aus, dass von dem Inverkehrbringen von Kraftfahrzeugen, deren Motoren mit einer sogenannten „Prüferkennungssoftware“ ausgestattet sind, auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Käufers durch den Fahrzeug- bzw. Motorenhersteller geschlossen werden kann."

Damit stellte das OLG Köln klar, dass die mittlerweile überwiegende Rechtsprechung eine sittenwidrige Schädigung in derartigen Fallkonstellationen bejaht. Wer folglich ein Fahrzeug der Marke Audi erworben hat, hat ebenso gute Erfolgsaussichten, Schadensersatz gerichtlich durchsetzen zu können.

Sowohl Hersteller des Fahrzeugs als auch des Motors in der Haftung

Ebenso entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 30.01.2020 (Az.: 13 U 81/19), dass sowohl Fahrzeug- als auch Motorenhersteller zur Rückabwicklung eines Fahrzeugkaufs über einen Porsche Cayenne, in dem ein 3,0-Liter-Dieselmotor des Herstellers Audi verbaut war, verpflichtet sind:

"Spätestens nach dem 2. November 2015 hätte die Beklagte zu 2) – unabhängig von ihrer vorher bereits bestehenden Überprüfungspflicht der Motoren – konkreten Anlass gehabt, die in ihre PKW eingebauten Motoren des Herstellers Audi nochmals genau auf ihre Funktionsweise und ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Das Schreiben der US-Umweltbehörde war ein Alarmzeichen. Hier stimmte etwas nicht. Es traf die Beklagte nicht aus heiterem Himmel, sondern stand im Kontext einer längeren  Vorgeschichte. [….] Das betraf zwar eine anderen Motorenbaureihe, ließ aber aufhorchen, weil diese nicht nur bei Volkswagen, sondern auch bei anderen Konzernunternehmen wie Audi, Seat und Skoda eingesetzt wurde. Angesichts der engen Verzahnung im Konzern drängte sich vor dem Hintergrund des Techniktransfers zwischen den einzelnen Baureihen zwangsläufig der Verdacht auf, dass auch bei der Beklagten zu 2) verwendete Motoren betroffen sein konnten. In den Wochen nach dem 18. September 2015 weitete sich die Diskussion um die Baureihe EA 189 immer weiter aus. Dass sich die „Kontaminierung“ der Baureihe EA 897 angesichts der Dynamik der Entwicklung beim EA 189 auf die US-Variante beschränken lassen werde, lag keineswegs auf der Hand. Wollte die Beklagte zu 2) ihre Verantwortung als Unternehmen ernst nehmen, musste sie die fragliche Motorenbaureihe selbst überprüfen. […] Stattdessen verschloss sie die Augen, betrieb ihre Geschäfte ungerührt weiter und zieht sich jetzt darauf zurück, der Hersteller habe ihr weiterhin versichert, die Motoren entsprächen den gesetzlichen Vorgaben. Der Volksmund beschreibt diese Verhaltensweise mit „Frog min Broder Jeck, dä is genauso schleit wie eck“. Hierdurch nahm sie es jedenfalls billigend in Kauf, dass ihre potentiellen Kunden über das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht wurden."

Folglich müsse demnach auch Porsche für die Abgasmanipulation haften. Auf die bloße Versicherung, die Motoren seien für den deutschen Markt geeignet, könne sich ein verantwortungsbewusster Hersteller keinesfalls verlassen. Dabei konnte sich das OLG nicht den Hinweis auf den Volksmund verkneifen. 

Späterer Verjährungsbeginn bei problematischer und ungeklärter Rechtslage

Weiterhin mehren sich die Stimmen, wonach die Verjährungsfrist im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal bis zur höchstrichterlichen Klärung nicht zu laufen beginnt. Das Landgericht Trier entschied beispielsweise mit Urteil vom 19.9.2019 (Az.: 5 O 417/18):

"Zwar ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte 22.09. 2015 in einer [A]d-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren des Typ EA 189 informiert hat. Dies reicht im konkreten Fall allerdings nicht aus, um von einer den Beginn der Verjährung auslösenden Kenntnis nach § 199 BGB der Klagepartei bereits im Jahr 2015 auszugehen. [...] Zudem können eine problematische und ungeklärte Rechtslage den Verjährungsbeginn hinausschieben. Verjährungsbeginn tritt erst dann ein, wenn eine zutreffende Einschätzung der Rechtslage möglich ist (Münchener Kommentar/Grothe a.a.O.). Bei den Fällen der Abgasmanipulation in Zusammenhang mit dem Motor EA 189 fehlt es bis zum heutigen Tag an einer höchstrichterlichen Entscheidung."

Auch 2020 bestehen somit gute Chancen für Geschädigte, ihr Recht (noch) durchsetzen zu können.

Bei Rückfragen steht Ihnen gerne zur Verfügung:

RA Thomas Ritter
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Wirtschaftsmediator (MuCDR)

Herr RA Thomas Ritter berät und vertritt Geschädigte im Kontext des sog. Abgasskandals seit 2015.


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