Einziehung im Steuerstrafverfahren, Verjährung der Steuerschuld; §§ 73, 73c, 73e, 76a StGB

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Ein wesentlicher Bestandteil des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung aus dem Jahr 2017 ist die Regelung des § 73e Abs. 1 StGB. Eine Einziehung ist nach dieser Vorschrift ausgeschlossen, soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat erwachsen ist, erloschen ist. Einigt sich zum Beispiel das Opfer eines Betruges mit dem Täter auf die Zahlung einer Summe X, so kann gegen den Täter keine Einziehung mehr angeordnet werden, selbst dann, wenn die vereinbarte Zahlung an das Opfer unter dem Wert dessen liegt, was der Täter aus dem Betrug erlangt hat. Die Regelung war genau deshalb im Gesetzgebungsverfahren Kritik ausgesetzt, führt sie doch unter Umständen dazu, dass dem Täter ein Gewinn aus der Straftat verbleibt.

Diskussionen warf die Vorschrift auch für das Steuerstrafverfahren auf. Die Abgabenordnung regelt in ihrem § 47, dass der Steueranspruch des Staates „insbesondere durch Verjährung“ erlischt. In der Literatur wurde deshalb die Frage erörtert, ob der Gesetzgeber bedacht hat, dass § 73e Abs. 1 StGB aufgrund seines Wortlauts auch eine verjährte Steuerschuld umfassen müsste, die dann nicht mehr im Wege der Wertersatzeinziehungsanordnung eingezogen werden könnte. Der Bundesgerichtshof hat sich nun in sehr interessanter Form zu dieser Frage geäußert und folgendes festgestellt:

1. BGH-Beschluss vom 24. Oktober 2019, Az.: 1 StR 173/19

Mit seinem Beschluss vom 24. Oktober 2019 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zunächst der von dem Landgericht als Vorinstanz vertretenen Auffassung, der Anspruch der Staatskasse auf Zahlung der Steuer beruhe auf dem jeweiligen Steuergesetz und könne dem Fiskus folglich nicht „aus der Tat erwachsen sein“, eine Absage erteilt.

a) Streit innerhalb der Literatur

Dass sich der Bundesgerichtshof zu dieser Klarstellung überhaupt veranlasst sah ist schon deshalb bemerkenswert, weil sie ständiger Rechtsprechung zum alten Vermögensabschöpfungsrecht entsprach. Das Landgericht hat seinerseits eine früher vornehmlich in der Literatur anzutreffende Auffassung vertreten, die eigentlich eine durchaus schlüssige Argumentation verfolgt, von der Rechtsprechung aber über Jahre hinweg abgelehnt wurde: Das Wesen der Steuerhinterziehung in der hier relevanten Form liegt darin, dass der Steuerschuldner Einkünfte erzielt hat, die er dem Staat nicht mitteilt. Diese Einkünfte erhält er jedoch lange bevor er die Steuererklärung (nicht) abgibt. Die Abgabenordnung geht ihrerseits davon aus, dass die Entstehung des Steueranspruchs völlig unabhängig von der Steuerfestsetzung ist. Wenn aber die Steuerschuld auch dann entsteht, wenn der Steuerpflichtige keine Steuererklärung abgibt, dann fragt sich, wieso der Steueranspruch des Staates „aus der Straftat“ der Nichtabgabe der Steuererklärung erwachsen sein soll, schließlich bestimmt die Abgabenordnung die Entstehung des Anspruchs schon viel früher.

Der Gesetzgeber behilft sich in der Gesetzesbegründung insoweit eines kleinen „Tricks“. Durch die Steuerhinterziehung habe der Täter zwar kein Geld erlangt, er habe aber „Aufwendungen erspart“. Das wirkt auf den ersten Moment eingängig, denn dadurch, dass der Steuerschuldner falsche Angaben über seine Einkünfte macht, muss er weniger Steuern bezahlen und hat damit etwas erspart.

Problematisch wird dieses Konstrukt der ersparten Aufwendungen aber schon dadurch, dass der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs einen „wirtschaftlichen Vorteil“ für diese ersparten Aufwendungen verlangt. Wenn der Steuerschuldner nun aber gar kein Geld mehr hat, zum Beispiel, weil er alles ausgegeben hat, so fehlt dieser wirtschaftliche Vorteil. Indem der Täter entweder überhaupt keine oder eine unzutreffende Steuererklärung abgibt, erspart er dann rein faktisch nichts, schließlich hätte er seine Steuerschuld ohnehin nicht begleichen können.

b) Untrennbarer sachlicher Inhalt von §§ 47 AO und 73e Abs. 1 StGB

Der 1. Strafsenat stützt seine Entscheidung, dass eine verjährte Steuerschuld erloschen und daher nicht mehr der Einziehung unterworfen ist, schließlich nicht auf die Frage der Anspruchsentstehung, sondern darauf, dass der Begriff „erloschen“ nach § 47 AO und § 73e Abs. 1 StGB „schon wegen des untrennbaren sachlichen Inhalts einheitlich auszulegen“ sei. Der Wortlaut sei eindeutig und Art. 103 Abs. 2 GG verbiete eine gegensätzliche Auslegung über den Wortsinn hinaus.

Diese Rechtsauffassung ist sicherlich zutreffend. Die Gegenauffassung in der Literatur beruht im Wesentlichen auf der Prämisse, dass dem Gesetzgeber bei § 73e Abs. 1 StGB ein Fehler unterlaufen ist und er schlicht übersehen hat, dass nach der Abgabenordnung verjährte Steueransprüche nicht weiter bestehen, sondern erlöschen. Das wird nicht zuletzt an der Regelung des § 76a StGB deutlich, mit der gerade bei verjährten Straftaten noch eine Einziehung ermöglicht werden sollte. Aber auch zu den Möglichkeiten der Strafgerichte, solche Fehler im Wege der Auslegung zu korrigieren, äußert sich der Senat klar und zutreffend: „Die Strafgerichte sind gehalten, den Gesetzgeber beim Wort zu nehmen; ihn zu korrigieren, ist ihnen verwehrt“.

2. Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung des 1. Strafsenats hat für die Praxis erhebliche Bedeutung, weil sie sich erstmals ausdrücklich zu der seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung diskutierten Frage äußert, ob verjährte Steueransprüche eine Wertersatzeinziehung ausschließen.

Für die Betroffenen hat die Entscheidung schon im Ermittlungsverfahren Konsequenzen:

a)

Kommt eine Verjährung des Steueranspruchs ernstlich in Betracht, so müssen die Strafverfolgungsbehörden künftig bei Beantragung von Vermögensarresten darlegen, aus welchen Gründen eine Verjährung nicht eingetreten ist. Den Vermögensarrest, der die Betroffenen in der Praxis erheblich belasten kann, haben wir Ihnen bereits in den Rechtstipps zu den Grundlagen des Vermögensarrestes und zum Vorgehen gegen einen Vermögensarrest näher dargelegt.

b)

Mit der Feststellung, dass verjährte Steueransprüche auch für das Strafverfahren „erloschen“ sind, geht zugleich die Feststellung einher, dass eine vorläufige Sicherung weder nach § 324 AO noch im Wege des Vermögensarrestes möglich ist. Den hierzu bisher bestehenden Streit hatten wir Ihnen bereits in unserem Rechtstipp „Der Vermögensarrest im Steuerstrafverfahren“ dargelegt. Sollte ein Vermögensarrest künftig mit der Begründung erlassen werden, eine Sicherung verjährter Steueransprüche sei über § 324 AO nicht möglich, deshalb dürfe auf § 111e StPO zurückgegriffen werden, kann diese Argumentation unter Hinweis auf die BGH-Rechtsprechung widerlegt werden.

3. Exkurs: 

Hingewiesen werden soll in diesem Zusammenhang schließlich noch auf eine weitere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. November 2019, Az.: 5 StR 537/19, in der der dortige 5. Strafsenat entschied, dass die Regelung des § 73e Abs. 1 StGB nicht analog auf Fälle anzuwenden ist, in denen der Rückgewähranspruch des Verletzten „aufgrund von der Verantwortung des Leistungsträgers zuzurechnenden Umständen nicht entsteht“. Die Entscheidung drehte sich um einen Erstattungsanspruch des Verletzten aus dem SGB X, dessen Entstehung die Rücknahme eines Leistungsbescheides innerhalb einer bestimmten Frist erforderlich gemacht hätte. Nachdem keine Rücknahme erfolgt war, konnte der Anspruch nicht entstehen. Hierauf sei § 73e Abs. 1 StGB nicht anwendbar, so der Senat.

4. Fazit

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass § 47 AO und § 73e StGB einheitlich auszulegen sind und eine verjährte Steuerschuld daher einer Wertersatzeinziehungsanordnung entgegensteht. Vermögensarreste zur Sicherung verjährter Steueransprüche sind damit ebenfalls per se rechtswidrig. Auf gar nicht erst entstandene Ansprüche des Verletzten ist § 73e Abs. 1 StGB hingegen weder direkt noch analog anwendbar.


Autor:

Rechtsanwalt Dr. Pascal Johann; seit 2013 Kommentator der Vermögensabschöpfungsvorschriften der §§ 111b ff. StPO im Löwe-Rosenberg Großkommentar zur Strafprozessordnung; Promotion zum Dr. iur. im Jahr 2018 zum Thema der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung; deutschlandweite Vortragstätigkeit zu Fragen des Vermögensabschöpfungsrechts.

Foto(s): Dr. Johann

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