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Entscheidung im Skandal um billige Brustimplantate – das Urteil des BGH

  • 3 Minuten Lesezeit
anwalt.de-Redaktion

Im März 2010 löste die französische Agentur für die Sicherheit von Gesundheitsprodukten (Afssaps) einen weltweiten Gesundheitsskandal aus, als sie Brustimplantate des Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) vom Markt nahm, weil diese mit billigem Silikon gefüllt waren. Der PIP-Skandal sorgte in der Folgezeit nicht nur für eine beispiellose Rückrufaktion und die Insolvenz des drittgrößten Herstellers von Brustimplantaten weltweit, sondern beschäftigte über Jahre hinweg zahlreiche Gerichte in Frankreich, Deutschland und Luxemburg. Im Rechtsstreit von Elisabeth Schmitt über die Haftung des TÜV hat der Bundesgerichtshof (BGH) heute sein abschließendes Urteil gesprochen. 

Gefährliches Industriesilikon statt medizinisches Silikon

Der französische Hersteller PIP hat Brustimplantate nicht mit dem für Medizinprodukte zugelassenen US-Gel Nusil gefüllt, sondern Industriesilikon benutzt, das normalerweise zur Füllung von Matratzen oder als Füllmaterial in der Baubranche verwendet wird. Da dieses Billigsilikon nicht den geltenden Qualitätsstandards für die Verwendung im menschlichen Körper entspricht, bestand die erhöhte Gefahr, dass die Kissen leichter reißen und Entzündungen entstehen. Tausenden von betroffenen Patientinnen vor allem in Frankreich und Deutschland wurde deshalb empfohlen, ihre Implantate entfernen bzw. austauschen zu lassen oder Rücksprache mit ihrem Arzt zu halten. 

Juristisches Dauer-Tauziehen im Streit um Schmerzensgeld & Schadensersatz 

Aus juristischer Sicht wurde gegen den verantwortlichen Firmeninhaber in Frankreich nicht nur ein Strafverfahren wegen Betrugs eingeleitet, sondern die betroffenen Patientinnen forderten auch einen finanziellen Ausgleich für die erlittenen Schmerzen, die entstandenen Kosten und ihre gesundheitlichen Probleme. Da der Hersteller schon kurz nach der Aufdeckung des Skandals insolvent wurde, fiel er als potenzieller Anspruchsgegner für Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen aus. Die betroffenen Frauen verklagten deshalb mit zwei Sammelklagen im französischen Toulon und verschiedenen Einzelklagen an deutschen Landgerichten den TÜV, da dieser das Herstellungsverfahren bei PIP zertifiziert hatte. 

Ob der TÜV tatsächlich für die entstandenen Schäden und Schmerzen haften muss, beurteilten die Gerichte in Deutschland und Frankreich unterschiedlich. Während das Tribunal de Commerce de Toulon in zwei Sammelklagen den Patientinnen Recht gab und den TÜV zur Zahlung von 3000 Euro an jede der klagenden Frauen verurteilte, lehnten das französische Berufungsgericht, das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth (LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 20.03.2014, Az.: 11 O 7069), das LG Karlsruhe (LG Karlsruhe, Urteil v. 25.11.2014, Az.: 2 O 25/12), das LG Frankenthal (LG Frankenthal (Pfalz), Urteil v. 14.03.2013, Az.: 6 O 304/12) und das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken (OLG Zweibrücken, Urteil v. 30.01.2014, Az.: 4 U 66/13) seine Einstandspflicht ab. Eine der klagenden Patientinnen schöpfte den Instanzenzug schließlich vollständig aus und zog mit ihrer Schmerzensgeldklage nach Karlsruhe vor den BGH. Dieser wiederum legte den Fall von Elisabeth Schmitt zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. 

Welche Pflichten hat der TÜV? 

Dreh- und Angelpunkt des seit Jahren andauernden Rechtstreits ist die Frage, welche Kontrollpflichten der TÜV bei der Prüfung und Zertifizierung der Brustimplantate zu erfüllen hatte. Nach der richtungsweisenden Entscheidung des EuGH bestand keine allgemeingültige Pflicht des TÜV, die Medizinprodukte anlassunabhängig zu überprüfen, Geschäftsunterlagen zu sichten und unangemeldete Kontrollen durchzuführen. Dies ändert sich aber, wenn Hinweise vorliegen, dass konkrete Medizinprodukte mangelhaft sind (EuGH, Urteil v. 16.02.2017, Az.: C-219/15). Ob es im Fall von Elisabeth Schmitt und den PIP-Implantaten solche Hinweise gab, musste nun der BGH klären.  

40.000 Euro Schmerzensgeld für Elisabeth Schmitt?

Der BGH lehnte die Schadensersatzklage von Elisabeth Schmitt ab und fällte damit eine Grundsatzentscheidung, nach der die Chancen auf Schmerzensgeld vom TÜV auch für alle anderen geschädigten Patientinnen gering sind. Nach der Ansicht der Richter steht zweifelsfrei fest, dass es keinerlei Hinweise gab, die darauf hingedeutet hätten, dass die Anforderungen an Medizinprodukte bei den Implantaten nicht erfüllt wären. Mangels solcher Hinweise war der TÜV nicht zu anlassunabhängigen Kontrollen verpflichtet. 

Fazit: Mit der BGH-Entscheidung hat das lange juristische Tauziehen um Entschädigungen im PIP-Skandal wohl sein Ende gefunden. Da der TÜV seine Prüf- und Kontrollplichten nicht verletzt hat, können geschädigte Frauen von ihm weder Schmerzensgeld noch Schadensersatz fordern. 

(BGH, Urteil v. 22.07.2017, Az.: VII ZR 36/14)

Foto(s): iStockphoto.com

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