Erfahrungsbericht: Spektakulärer Freispruch im Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

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Ein Freispruch ist für einen Angeklagten - und natürlich auch für seinen Verteidiger - immer etwas ganz besonderes.

Das lässt sich zunächst einfach damit begründen, dass die Staatsanwaltschaft durch die Einreichung der Anklageschrift beim Gericht zum Ausdruck bringt, dass aus ihrer Sicht die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung bei über 50 % liegt. Kommt es nun doch zu einem Freispruch, dann hat man - als Verteidiger - die Sache trotz der drohenden Verurteilung noch einmal „herum gebogen". Nun gibt es aber unterschiedliche Arten von Freisprüchen:

1. Es gibt zum einen die, für die man als Verteidiger nicht viel tun muss und auf die man nicht sonderlich stolz zu sein braucht. Ein Beispiel: Vergangenen Monat war einer meiner Mandanten angeklagt, ein Fahrzeug im Verkehr ohne Erlaubnis geführt zu haben - er bestritt dies. Zum Prozess kam er dann gemeinsam mit dem tatsächlichen Fahrer, der dann einräumte, gefahren zu sein und bei der Kontrolle den Ausweis des Angeklagten gezeigt zu haben, den er dabei hatte. Konsequenz: Freispruch, ohne dass man als Verteidiger ein Wort sagen muss. Hier kann man schmunzeln, sollte sich aber nichts darauf einbilden.

2. Es gibt aber auch Freisprüche, die hart erkämpft sind. Und auf diese kann man mit Fug und Recht stolz sein und sie sich auch auf die Fahne schreiben. Und genau von einem solchen möchte ich kurz berichten:

Mein Mandant war am Amtsgericht - Schöffengericht - Hohenstein-Ernstthal wegen des schweren sexuellen Missbrauches von Kindern in mehreren Fällen angeklagt (April/Mai 2012). Konkret sollte er sich seiner Tochter im Alter von etwa 12 Jahren wiederholt sexuell genähert haben; mein Mandant bestritt die Vorwürfe vehement. Also stand zunächst - wie so oft in diesen Fällen - Aussage gegen Aussage, so weit so gut.

Das Problem bei der Sache war aber: Nach einer durchgeführten Exploration der Tochter kam der aussagepsychologische Gutachter zu dem (vorläufigen) Ergebnis: Die Angaben beruhen am ehesten auf einem realen Erleben; die übrigen Nullhypothesen sind auszuschließen. Jeder weiß (oder kann sich denken), dass dies die denkbar schlechteste Voraussetzung ist, um in einen derartigen Prozess zu starten. Bei einem solchen Ergebnis ist der Prozess oft schon so gut wie verloren.

Nun war es aber in diesem Fall so, dass von der mutmaßlich Geschädigten bereits in der Vergangenheit eine Vielzahl von - auch nachweislich falschen - Missbrauchsanschuldigungen gegen unterschiedliche Personen erhoben worden waren. Zudem waren auch die Angaben zum angeblichen Kerngeschehen nicht konstant; die Angaben zum Randgeschehen waren zwar augenscheinlich konstant, bei näherem Hinsehen, ergaben sich aber unterschiedliche Widersprüchliche. Dies beides hatte der Gutachter in seinem Gutachten zwar tendenziell gesehen, war hierauf aber nicht näher eingegangen.

Ich habe mich dann dazu entschieden, in mühevoller Kleinstarbeit die in der Vergangenheit - teils gegen reale und teils gegen imaginäre Personen - erhobenen Anschuldigungen aus der nahezu 1.000 Seiten starken Akte herauszuarbeiten. Das Ergebnis war dann eine etwa 20 Seiten umfassende Verteidigererklärung, welche alle bislang erhobenen Vorwürfe - unter Angabe der jeweiligen Seite der Akte - aufführte und dann im ersten Verhandlungstermin zunächst vorgelesen und anschließend zum Protokoll gereicht wurde. Dies führte zu erkennbarer Verwunderung aller Prozessbeteiligten, denen die Vielzahl von Anschuldigungen offenbar bis dahin gar nicht bewusst gewesen war. Auch der Gutachter bat direkt darum, ihm doch bitte direkt nach dem Termin eine Abschrift der Verteidigererklärung zukommen zu lassen.

Auch die sich im Verlaufe der weiteren Verhandlung ergebenden Widersprüchlichkeiten wurden natürlich notiert und jeweils zu Beginn des nächsten Termins - in Form einer Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO - zu Protokoll gereicht.

Am Ende zahlte sich die Arbeit dann aus, als der Gutachter die Worte sagte: „Entgegen meinen Ausführungen in dem vorläufigen Gutachten komme ich nach dem Verfahrensverlauf nun doch zu dem Schluss, dass es sich hier offenbar um eine bewusste oder fremdsuggerierte Falschaussage handelt."

Die logische Folge: Freispruch in allen Anklagepunkten.

3. Ein Verfahrensverlauf - wie vorstehend beschrieben - ist natürlich eine Ausnahme und nicht der Regelfall. Das Beispiel zeigt aber auch, wie es durch gute Vorbereitung und detaillierte Aktenkenntnis sogar im Prozess noch gelingen kann, einen Gutachter regelrecht „umzudrehen". Aufgrund der herausgearbeiteten Ereignisse konnte dieser gar nicht mehr bei seiner ursprünglichen Feststellung bleiben, ohne sich unglaubwürdig zu machen.

Zudem hat mich ein stückweit überrascht, dass man teilweise die Ermittlungsakte besser kennt, als das Gericht und die Staatsanwaltschaft. Ich denke, genau an diesem Punkt unterscheidet sich eine gute und gewissenhaft vorbereitete Verteidigung von einer Discountverteidigung.

Für allgemeinen Fragen, Anregungen und Mandatsanfragen: 0201/79916004 oder info@ra-oderbralski.de.


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