Veröffentlicht von:

Erforderlicher Vortrag des Patienten und Mitwirkung des Gerichtes im Medizinschadenrecht und im Personenversicherungsrecht

  • 5 Minuten Lesezeit

Um dieses Video anzuzeigen, lassen Sie bitte die Verwendung von Cookies zu.

Eine Partei muss auch im Medizinschadenrecht und im Personenversicherungsrecht zunächst einmal ihrer Darlegungslast dadurch genügen, dass sie schlüssige Tatsachen vorbringt, damit das Gericht in der Pflicht ist, über gewisse Umstände ordnungsgemäß Beweis zu erheben. Es kommt hierbei nicht darauf an, wie wahrscheinlich die Darstellung ist. Es kann auch kein weiterer Vortrag über weitere Details verlangt werden, wenn der Vortrag der Partei diesen Schlüssigkeits-anforderungen entspricht; das Gericht muss dann Beweis erheben. Einer Partei ist es letztendlich auch nicht verwehrt, im Laufe eines Rechtsstreits ihre Äußerungen im Lauf des Rechtsstreits zu verändern oder zu berichtigen.

Um eine Arzthaftungsklage medizinisch schlüssig zu begründen, ist der Kläger im Arzthaftungsrecht (These: dies kann und sollte entsprechend für den rechtsunkundigen VN als Verbraucher im Personenversicherungsrecht gelten) jedoch nicht verpflichtet, seine Vorwürfe im Detail vorzutragen, es bestehen hier erhebliche Darlegungserleichterungen, er muss auch vor dem Prozess keine gutachterliche Stellungnahme eines Sachverständigen beschaffen oder eine Schieds- oder Gutachterstelle anrufen (hierzu unten noch mehr). Obwohl er das Recht auf Einsicht in die Krankenakten hat - zumindest den „objektiven Teil” - (§ 630 g Abs. 1 BGB), kann ihm nicht zur Aufgabe gemacht werden, seinerseits Krankenunterlagen einzuholen.

Vgl. hierzu: 

– BVerfG, BVerfGK 7, 168 = NJW 2006, 1116

– BGH, Urt. v. 26. 2. 2013 – VI ZR 359/11 – GesR 2013, 343 = VersR 2013, 648

– BGH, Urt. v. 23. 3. 2010 – VI ZR 327/08 – VersR 2010, 971

Es ist im Medizinschadensrecht vielmehr Prozessförderungspflicht des Gerichts, dass es die Krankenunterlagen (ggfs. auch von Abrechnungsunterlagen der Krankenkasse (OLG Karlsruhe, GesR 2010, 367, 369) einholt. So früh wie möglich, am besten schon vor Einholung des Gutachtens, ist das Gericht verpflichtet, dieser Pflicht nachzukommen 

– OLG Karlsruhe GesR 2013, 30 = NJW-RR 2013, 312

– OLG Koblenz MedR 2013, 30

und anschließend dem Gutachter die Patientenunterlagen zur Verfügung zu stellen.

– EGMR, Urt. v. 21. 10. 2010 – 43155/08 – NJW 2011, 1055

– OLG Karlsruhe GesR 2011, 356

– OLG Oldenburg NJW-RR 1997, 535

– OLG Stuttgart AHRS 6180/36

Es stellt generell keinen unzulässigen Beweisantrag dar, wenn eine Partei Antrag auf Einbeziehung der Patientenunterlagen des behandelnden Arztes erhebt.

– BGH, Beschluss v. 1. 7. 2008 – VI ZR 287/07 – NJW 2008, 2994 = VersR 2008, 1264 – VIOXX

– BGH, Urt. v. 8. 6. 2004 – VI ZR 199/03 – BGHZ 159, 245, 252, 253 = NJW 2004, 2825 = VersR 2004, 1177

– BGH, Urt. v. 14. 2. 1989 – VI ZR 65/88 – juris Rn. 14 = NJW 1989, 1533, 1534 ins. nicht in BGHZ 106, 391= VersR 1989, 514

– OLG Zweibrücken NJW-RR 2011, 534 

Auch ohne materiell-rechtlichen Herausgabeanspruch ist die Einholung der Behandlungsunterlagen möglich, (§ 142 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO).

– BGH, Urt. v. 26. 6. 2007 – XI ZR 277/05 – BGHZ 173, 23, 30f. = NJW 2007, 2989

– BGH, Beschluss v. 28. 10. 2006 – III ZB 2/06 – NJW 2007, 155

– OLG Saarbrücken GesR 2003, 243

Wenn Anhaltspunkte für entscheidungserhebliche Informationen in den Behandlungsunterlagen zu vermuten sind, sollten diese auch von nachbehandelnden Ärzten eingeholt werden.

– OLG Naumburg OLGR 2007, 2 = PatR 2007, 177

Im Medizinschadensrecht ist für den Grundsatz der „Waffengleichheit“ zunächst erforderlich, dass der Arzt Aufschluss über sein Vorgehen in dem Ausmaß an den klagenden Patienten gibt, wie es ihm ohne weiteres möglich ist. Durch Vorlage einer ordnungsgemäßen Dokumentation wie Operationsberichten, Krankenblatt oder Patientenkartei, genügt der Arzt der Beweispflicht.  

– BGH, Urt. v. 16. 4. 2013 – VI ZR 44/12 – VersR 2013, 1045

– BGH, Urt. v. 14. 3. 1978 – VI ZR 213/76 – NJW 1978, 1681 = VersR 1978, 542

Der Kläger wird im Medizinschadensrecht und auch im Personenversicherungsrecht den Inhalt von Behandlungsunterlagen von Behandlern, die an dem Rechtsstreit nicht beteiligt sind, zweckorientierterweise vorlegen oder darauf Bezug nehmen; der Kläger kann davon ausgehen, dass das Gericht auf seine (nicht der Zivilprozessordnung unterliegende) Anregung hin oder von Amts wegen, diese Unterlagen einholen lassen wird.

– OLG Karlsruhe GesR 2002, 70

– OLG Oldenburg VersR 1999, 101

Erst, wenn der Kläger (Patient) bestimmte ärztliche Versäumnisse bekundet, muss der beklagte Arzt selbst bei nicht vorhandener Dokumentation seinerseits vortragen. 

– BGH, Urt. v. 29. 11. 1988 – VI ZR 4/88 – AHRS 6180/31

Die Beweisführung im Medizinschadensrecht und teilweise auch im Personenversicherungsrecht weist ebenfalls Besonderheiten auf. Da sich der zwingende Nachweis oft „im Körper” des Patienten befindet, muss die Beweisführung darauf Rücksicht nehmen. 

Die Rechtsprechung ist daher grds. dagegen, dass bspw. die Körperöffnung während einer speziell angesetzten Operation zur Nachweiserbringung eines Behandlungsfehlers (z.B. dass bei einer Sterilisation einer Patientin das Mutterband statt des Eileiters durchtrennt wurde) begutachtet wird. Eine solche Untersuchung des Patienten kann vom Gericht weder angeordnet noch aufgegeben werden. Es ist allein Entscheidung des Patienten, sich der Gefährdung körperlicher Integrität auszusetzten, nicht des Gerichts.

– OLG Stuttgart MedR 1995, 498

– OLG Oldenburg VersR 2000, 59

Als Beweis für die Fehlerhaftigkeit der Ursprungsoperation kann aber eine Videoaufnahme einer Folgeoperation Verwertung finden.

– OLG Hamm NJW 1999, 1787 = VersR 1999, 1111

Dass das Gericht im Medizinschadensrecht und auch im Personenversicherungsrecht die Beweisanforderungen nicht überspannt, bedarf besonderer Beachtung. Es bedarf keiner absoluten oder unabänderlichen Gewissheit und auch keiner „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit”, um die nach § 286 ZPO geforderte Überzeugung des Richters zu erbringen, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der einem Zweifeln – ohne es komplett auszuschließen – Einhalt gebietet. Es kommt nicht auf einen wie auch immer einzustufenden Grad objektiv zu bestimmender Wahrscheinlichkeit an, sondern auf die nach § 286 ZPO persönliche Gewissheit des Richters. Mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit muss sich der Richter zufrieden geben, wenn es tatsächlich zu zweifelhaften Fällen kommt.

– BGH, Urt. v. 19. 10. 2010 – VI ZR 241/09 – NJW 2011, 375 = VersR 2011, 223

– BGH, Urt. v. 12. 2. 2008 – VI ZR 221/06 – NJW 2008, 1381 = VersR 2008, 644

– BGH, Urt. v. 3. 6. 2008 – VI ZR 235/07 – NJW-RR 2008, 1380 = VersR 2008, 1133

Eine absolute Gewissheit ist juristisch nicht erforderlich, auch wenn ein naturwissenschaftlich ausgebildeter Mediziner einen Beweis nur dann akzeptiert, wenn jede, auch nur theoretische, andere Möglichkeit ausgeschlossen werden kann. Der Richter muss vielmehr aufgrund der Beweisaufnahme zur Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO entscheiden, ob er die gemachte Behauptung für nicht wahr oder wahr ansieht. Dabei darf er sich nicht mit bloßer Wahrscheinlichkeit überzeugen lassen. § 286 ZPO bezieht sich nur darauf, ob der Richter persönlich zur Überzeugung gekommen ist von der Wahrheit einer Behauptung. Für die Entscheidung ist diese persönliche Gewissheit des Tatrichters notwendig und nur allein er hat diese Entscheidung zu treffen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen. Auch wenn andere zweifeln oder zu einer anderen Auffassung gekommen sein sollten, kommt es vielmehr auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an.

– BGH, Urt. v. 16. 4. 2013 – VI ZR 44/12 – VersR 2013, 1045

– BGH, Urt. v. 19. 10. 2010 – VI ZR 241/09 – NJW 2011, 375 = VersR 2011, 223

– BGH, Urt. v. 12. 2. 2008 – VI ZR 221/06 – NJW 2008, 1381 = VersR 2008, 644

Mit Berufung bzw. Revision kann die richterliche Überzeugungsbildung eingeschränkt angegriffen werden, bspw. wegen Überspannung der Beweisgrundsätze; dies kann einen materiell-rechtlichen Fehler darstellen durch die - im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu beachtende – erstrichterliche Verkennung des Begriffs der Kausalität. Insbesondere, wenn der Richter nicht erkennt, dass der Gutachter von dem naturwissenschaftlichen Ursächlichkeitsbegriff ausgeht und aus diesem Grunde die Ursächlichkeit verneint, ist letzteres anzunehmen.

– BGH, Urt. v. 8. 7. 2008 – VI ZR 259/06 – NJW 2008, 2846 = VersR 2008, 1265

Es grüßt Sie herzlich

Ihr RA Michael Graf, Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht in Freiburg


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Michael Graf

Beiträge zum Thema