EuGH gilt nicht für BGH?

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Doch kein Widerruf für Verbraucherdarlehen? Wohl doch, aber nur eingeschränkt, meinen die Experten.

Vom Widerrufsjoker ausgenommen: Verbraucherdarlehen, mit denen keine Immobilie finanziert wird, die mit Grundschulden abgesichert sind? 

Was für Verbraucher kurios ist, ist für Richter oder Fachanwälte im Bank- und Kapitalmarktrecht wohl „Alltags - Wahnsinn“.

Es ist alles andere als eine neue Rechtsansicht gewesen, die der EuGH mit seiner Entscheidung vom 26.03.2020, Az.: C‑66/19 EUGH im Fall der Vorlage der Widerrufsbelehrung einer Kreissparkasse durch das Landgericht Saarbrücken entschieden hat:

Wenn ein Durchschnittsbürger als Laie §492 BGB hört, dann kann er im Regelfall nichts damit anfangen.

Dies entspricht extrem verkürzt dem, was man versuchen kann für alle Verbraucherdarlehen aus der EuGH Entscheidung herauszulesen.

Der BGH wies aber bereits in seinem Beschluss vom 19.03.2019 - XI ZR 44/18 darauf hin, dass das LG Saarbrücken zu Unrecht (überhaupt) den EuGH angerufen hatte, da eine Auslegung von Unionsrecht von vornherein nicht in Betracht kommt.

Die Richtigkeit der Tatsache, dass ein Kaskadenverweis auf §492 BGB intransparent ist

Geht der normaldenkende Mensch einmal davon aus, dass der EuGH mit seiner Ansicht Recht hat, wenn er behauptet, dass eine Kaskadenverweisung einer Widerrufsinformation, die eine Formulierung wie die folgende aufweist

Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst nachdem der Leasingnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art der entgeltlichen Finanzierungshilfe, Angabe zum Anschaffungspreis, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“,

und dabei auf §492 BGB verweist, den jeweiligen Verbraucher unzureichend über sein Widerrufsrecht aufklärt, ist am Ergebnis dieser Betrachtung eigentlich nichts falsch.

Dies, da der Verbraucher gerade durch die Widerrufsbelehrung bzw. – information alle Informationen bzgl. seines Widerrufsrechts erhalten soll und diesen in die Lage versetzen soll, sein Widerrufsrecht auszuüben.

So sind die Richter am EuGH der Ansicht, dass sich die Widerrufsfrist klar und prägnant aus dem Verbraucherkreditvertrag ergeben muss.

Hierbei beruft sich der EuGH auf folgende europäische Richtlinie:

RICHTLINIE 2008/48/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

vom 23. April 2008

über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates

In dieser Richtlinie heißt es unter Ziffer 31 wie folgt:

„(31) Alle notwendigen Informationen über die Rechte und   Pflichte, die sich für den Verbraucher aus dem Kreditvertrag ergeben, sollten in klarer, prägnanter Form im Kreditvertrag enthalten sein, damit der Verbraucher diese zur Kenntnis nehmen kann.“

Eine Kaskadenverweisung, wie sie in einer Vielzahl von Verträgen vorliegt, würde der Richtlinie in dieser Hinsicht entgegenstehen, urteilt der EuGH.

Dass eine Formulierung wie diese, die selbst auf weitere nationale Rechtsvorschriften verweist, es dem Verbraucher nahezu unmöglich macht, auf der Grundlage des Vertrages den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung zu bestimmen oder etwa zu überprüfen, ob im Rahmen des Vertrages alle erforderlichen Unterlagen vorliegen, die die Widerrufsfrist zu laufen beginnen lassen, nicht gerade dem Verbraucherschutz dient, wäre wohl auch das Ergebnis einer allgemeinen Umfrage.

Aber so einfach ist das eben aus der Sicht der deutschen Gerichte nicht!

Die Musterbelehrung der Bundesregierung für Verbraucher (grundpfandrechtlich abgesicherte Immobiliar) - Darlehen (?)

So sieht zum Beispiel die ab dem 30.07.2010 geltende Musterbelehrung (vgl. Anlage 6 n.F. (neue Fassung) durch Artikel 2 G. v. 24.07.2010 BGBl. I S. 977) genau eine solche Musterbelehrung vor, die auch die vom EuGH gerügte Kaskadenverweisung enthält. Diese Musterbelehrung gilt ganz allgemein für Verbraucherverträge.

Die Gesetzlichkeitsfiktion: BGH, Urteil vom 12.07.2016, Az. XI ZR 564/15

Eine Bank, die die vom Gesetzgeber erstellte und zur Verfügung gestellte Musterbelehrung in der jeweils geltenden Fassung abgeschrieben und in ihren Unterlagen unverändert übernommen hat, bekam von den Gerichten Recht. Es bestand eine sogenannte Gesetzlichkeitsfiktion zu Gunsten der Bank: Die Rechtmäßigkeit der verwendeten Musterwiderrufsbelehrung wurde angenommen und der Verbraucher scheiterte hier mit dem Versuch einen Widerruf nach Ablauf der 2 Wochenfrist auszuüben.

Damit konnten nach der (ständigen) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, egal wie nun die Verbraucherschutzanwälte, Verbraucherzentralen oder einzelne Amts-, Land- und Oberlandesgerichte die Transparenz oder Verständlichkeit von Musterbelehrungen für die Verbraucher eingestuft hatten, viele Banken sich der Forderung der Darlehensnehmer nach Rückabwicklung erfolgreich widersetzen.

Und jedes Gericht, welches sich der Ansicht des BGH widersetzte, musste eine besondere Begründung dafür anführen, warum eine Abweichung zur Musterbelehrung vorliegt und die Rechtsprechung des BGH ausnahmsweise nicht anzuwenden ist.

Allerdings ist für Verbraucher die Entscheidung des EuGH unter Berücksichtigung der BGH Rechtsprechung jedenfalls dann ohne Bedeutung, falls die Kaskadenverweisung im Rahmen einer Musterbelehrung von den Banken und Sparkassen in Darlehensverträgen übernommen wurde, in welchen Immobilien finanziert wurden und diese grundpfandrechtlich abgesichert sind!

Dies, schlichtweg aus folgendem Grund:

Unter Ziffer 14 der europäischen Verbraucherrichtlinie (RL 2008/48EG) heißt es:

„(14) Durch Grundpfandrechte gesicherte Kreditverträge sollten vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sein.“

Die europäische Verbraucherkreditlinie (RL 2008/48/EG), wie sie in Deutschland umgesetzt wurde, gilt demnach nicht für grundpfandrechtlich abgesicherte Verbraucherkredite. Damit ist eine Großzahl der Immobilienkredite – und damit auch die Entscheidung des EuGH bedeutungslos. Dies, weil der EuGH aus Sicht des BGH hier in einem Bereich geurteilt hat, der überhaupt nicht die in Deutschland umgesetzte Verbraucherkreditlinie betraf, also kein Unionsrecht darstellt.

Allerdings ist fraglich, welche Bedeutung die Nichtumsetzung der EU Richtlinie für Immobiliardarlehen durch die Bundesrepublik Deutschland dann für die Darlehensnehmer hat. Hierzu hatte sich der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen explizit gar nicht geäußert!

Fraglich und diskussionswürdig ist aber ggf. auch durchaus, ob nicht eine direkte Anwendung des Unionsrechtes und der insoweit nicht umgesetzten Richtlinie nicht doch aus der Rechtsprechung des EuGH für den einzelnen Bürger im Rahmen weiterer gerichtlicher Entscheidungen zu berücksichtigen ist.

Tatsächlich würde es aber wohl einer rechtlichen Argumentation bedürfen aufgrund welcher eine unmittelbare Wirkung der europäischen Verbraucherkreditlinie und der darauf aufbauenden Rechtsprechung des EuGH zu unterstellen. Dies, um die Anwendung der EuGH Rechtsprechung zu Gunsten deutscher Bürger zu begründen (alleine aus der unvollständigen Umsetzung der bisherigen Verbraucherkredit-Richtlinie) könnte man wiederum, wie dies andere erwägen die Rüge der Verletzung Rechtlichen Gehörs thematisieren, wenn einerseits die Vorlage an den EuGH unterbunden und andererseits von vorne herein die Auslegung von Unionsrechts mit der rigiden Rechtsprechung des BGH dem deutschen Bürger unmöglich gemacht wird.

Der Widerruf auch eines (Immobiliar)-Darlehens kann, also durchaus einen Versuch wert sein!

Der Bundesgerichtshof tat sich in der Vergangenheit – aus Sicht mancher Bürger und Verbraucherschutzanwälte wenig verständlich – dadurch hervor, lediglich über konkrete Fragen zu entscheiden, die ihm vorgelegt wurden.

Im vorliegenden Fall müsste also das nächste Gericht ggf. aussetzen und dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung vorlegen. Im Rahmen dieser Vorabentscheidung müsste man dem EuGH die Frage stellen, ob aus der fehlenden Umsetzung der europäischen Richtlinie über Verbraucherkreditverträge (RL 2008/48 EG) vom 23. April 2008 auf (grundpfandrechtlich abgesicherte) Darlehen ein direkter Anspruch resultiert und insoweit auch die Erwägungen des BGH, der ja eine Musterbelehrung als ausreichend erachtet, die jedenfalls im Rahmen der Umsetzung der EU Richtlinie in deutsches Recht (welche aber grundpfandrechtliche Darlehen dann nicht betrifft) überhaupt eine Rolle spielen können.

Erfolgreiche Ausübung des Widerrufsrechts bei Abweichung von der Musterbelehrung

Entsprechend verbleiben immer noch eine beträchtlich große Anzahl von Fällen, in welchen Banken von der Übernahme des exakten Wortlauts der Musterbelehrung abgesehen hatten und in welchen, in einer sehr großen Anzahl von Fällen, Verbraucher eben doch noch - auch lange Zeit nach Ablauf der 14 Tagesfrist - erfolgreich ihre Darlehen widerrufen können. Und diese Entwicklung führte dann dazu, dass sich der Begriff des „Widerrufsjokers“ für Verbraucher etablierte.

Dies sind dann auch Fälle, in welchen wir als Fachanwälte für Bank – und Kapitalmarktrecht uneingeschränkt und nahezu ohne jeden Vorbehalt die Ausübung des Widerrufsrechtes empfehlen können.

Weiterhin ist dies, unabhängig davon, ob eine Kaskadenverweisung erfolgte oder nicht (weiterhin) empfehlenswert. 

Wir überprüfen gerne Ihre Verträge und Widerrufsbelehrungen: Einfach als SCAN per E-Mail übermitteln und wir erstellen eine kostenfreie Ersteinschätzung. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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