Fahrlässige Tötung bei Verkehrsunfällen – welche Strafe droht? Anwalt für Verkehrsrecht und Strafrecht
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„Freispruch“ lautete am 30.05.2024 das Berufungsurteil des Landgerichts Berlin eines Lkw-Fahrers, welcher im Mai 2021 in einen tödlichen Unfall mit einer Radfahrerin verwickelt war.
Dabei sei die Radfahrerin von einem blockierten „Pop-Up-Radweg“ auf die Fahrbahn ausgewichen, ohne zuvor zu prüfen, ob diese frei ist. Der Angeklagte befuhr ebendiese Fahrbahn mit seinem Sattelzug und überrollte die Radfahrerin, welche noch am Unfallort verstarb.
Bereits das Amtsgericht Tiergarten hat den Fahrer des Lkw im September 2023 freigesprochen, gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft jedoch Berufung ein. Sie war der Auffassung, dass der Fahrer durch eine Vollbremsung hätte vermeiden können, die Radfahrerin zu überrollen. Damit sei der Tatbestand der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt.
Für das Gericht stand dagegen fest, dass den Angeklagten keine Schuld trifft und er nicht damit rechnen konnte, dass die Radfahrerin verbotswidrig über die durchgezogene Linie des Pop-Up-Radwegs fährt. Zu beachten war zudem, dass der Lkw weit unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren wurde.
Welche Strafe droht bei einer fahrlässigen Tötung durch Verkehrsunfall?
Die fahrlässige Tötung einer anderen Person wird mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft (§ 222 StGB).
Zusätzlich besteht die Möglichkeit sogenannte „Nebenstrafen“ zu verhängen. Diese können ein Fahrverbot von bis zu 6 Monaten sowie 2 Punkten in das Fahreignungsregister in Flensburg oder einer Entziehung der Fahrerlaubnis sowie drei Punkten.
Darüber hinaus kann das Gericht im Zuge der Verurteilung feststellen, dass eine Person ungeeignet ist zum Führen von Kraftfahrzeugen. In diesen Fällen kann die Fahrerlaubnisbehörde eine medizinisch-psychologische Untersuchung (kurz: MPU) anordnen, bei welcher die Fahreignung geprüft wird.
Wann macht man sich wegen fahrlässiger Tötung bei einem Verkehrsunfall strafbar?
Die fahrlässige Tötung ist geregelt in § 222 Strafgesetzbuch (StGB) und ist von Mord und Totschlag (§§ 211, 212 StGB) durch das Vorsatzkriterium abzugrenzen. Stattdessen wird in diesem Fall der Tod fahrlässig verursacht.
Im Regelfall kommt es für die Strafbarkeit von Handlungen darauf an, dass diese vorsätzlich, d.h. mit Wissen und Wollen der Person, begangen wurden. Nur in Ausnahmefällen wird auch eine fahrlässige Begehungsweise unter Strafe gestellt, sofern dies gesetzlich explizit geregelt ist (vgl. § 15 StGB). Eine solche Ausnahme liegt in der Vorschrift der fahrlässigen Tötung.
Fahrlässigkeit liegt vor, wenn eine Person die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, zu welcher er nach den konkreten Umständen sowie den persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und in der Lage gewesen ist. Der Tod wird also durch unachtsames, achtloses oder unvorsichtiges Verhalten verursacht, ohne dass eigentlich die Absicht bestand, diese Folge herbeizuführen.
Inwieweit eine solche Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, richtet sich nach dem anzulegenden Sorgfaltsmaßstab. Dieser bemisst sich nach objektiven und subjektiven Kriterien.
Einerseits geht es darum diejenige Sorgfalt an den Tag zu legen, welche ein besonnener und gewissenhafter Mensch in der Lage des Täters imstande ist, aufzubieten. Dabei ist von einem „Durchschnittsmenschen“ auszugehen.
Sofern der Beschuldigte aber zusätzlich überdurchschnittliche Fähigkeiten oder Kenntnisse hat, so müssen diese eingesetzt werden, um der Sorgfaltspflicht zu genügen.
Dagegen wird im Rahmen der subjektiven Sorgfaltspflichtwidrigkeit geprüft, inwieweit der Beschuldigte nach seinen persönlichen Fähigkeiten in der Lage war, die objektive Sorgfaltspflicht zu erkennen und entsprechend zu handeln. Insbesondere auf Grund physischer oder psychische Gegebenheiten kann es daran fehlen.
Entscheidend ist zudem die Vorhersehbarkeit der Tötung durch das Verhalten. Dabei kommt es nicht darauf an, dass alle Einzelheiten der konkreten Tat voraussehbar waren. Vielmehr genügt es, wenn Art, Umfang und Ausmaß der Tatauswirkungen erkennbar waren.
Anhaltspunkte für die Vorhersehbarkeit ergeben sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung, dem Ausmaß des Verschuldens und inwieweit die pflichtwidrige Handlung eine Schadensgeneigtheit aufweist.
Dabei werden solche Situationen ausgenommen, bei welchen beispielsweise ein Todesrisiko geschaffen wurde, der Geschehensverlauf jedoch weit außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung liegen oder wenn ein nicht zu erwartendes Verhalten Dritter zur Schadensverursachung geführt hat.
Worin liegt die Fahrlässigkeit bei Verkehrsunfällen regelmäßig?
Einer der häufigsten Anwendungsfälle der Vorschrift des § 222 StGB resultiert aus Verkehrsunfällen.
Im Jahr 2020 wurden insgesamt 648 Personen wegen fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr abgeurteilt. Davon handelte es sich in 48 Fällen (ca. 7,4 %) um fahrlässige Tötungen in Trunkenheit.
Die Sorgfaltspflichtverletzung ergibt sich überwiegend aus der Missachtung der Verkehrsregeln, d.h. den Ge- und Verboten der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). In der Nichtbeachtung dieser Vorschriften, welche gerade zur Verhütung von Unfällen erlassen wurden, ist zumeist bereits angelegt, dass ein Verkehrsunfall vorhersehbar war.
Das sorgfaltswidrige Verhalten ist beispielsweise gegeben, bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung, dichtem Auffahren (insbesondere auf der Autobahn) oder mangelhafter Beleuchtung des Fahrzeuges. In der Praxis ist auch die Fahrt unter Alkoholeinfluss von besonderer Bedeutung.
Im Straßenverkehr ist in den meisten Verkehrssituationen eine potenzielle Gefahr angelegt. Damit die Sorgfaltsanforderungen nicht unangemessen hoch angesetzt werden und nahezu jedes Verhalten als fahrlässig einzuordnen ist, gilt der sogenannte Vertrauensgrundsatz.
Anwendbar ist dieser für diejenigen Verkehrsteilnehmer, die sich ihrerseits verkehrsgerecht verhalten. Danach darf auf das verkehrsgerechte Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer vertraut werden, sofern keine gegensätzlichen Anhaltspunkte ersichtlich sind. Dementsprechend ist nur mit solchen Fehlern zu rechnen, welche erfahrungsgemäß oder in der konkreten Situation vorkommen können.
Bei besonders Schutzbedürftigen gilt der Vertrauensgrundsatz regelmäßig nicht, konkret also gegenüber Kindern, älteren Personen oder Menschen mit Behinderungen.
Dagegen dürfen Fahrzeugführer davon ausgehen, dass an einer Kreuzung diejenigen Fahrzeuge halten, für welche die Ampel rot zeigt. Bei einem Grünsignal darf also die Kreuzung überquert werden, ohne dass mit einer Missachtung zu rechnen ist, wenn es in der speziellen Situation nicht doch andere Anzeichen gab.
In dem oben genannten Ausgangsfall ist durch das Gericht explizit festgehalten worden, dass es keine Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass die Radfahrerin verkehrswidrig über die durchgezogene Linie fährt.
Wann entfällt die Strafbarkeit trotz Sorgfaltspflichtverletzung im Straßenverkehr?
Um eine uferlose Zurechnung von Sorgfaltspflichtverletzungen zu vermeiden, wird der Eintritt des Todes unter bestimmten Voraussetzungen dem Fahrzeugführer nicht zugerechnet.
Es kommt vor allem darauf an, ob die Tötung auch bei einem pflichtgemäßen Alternativverhalten des Täters verwirklicht worden wäre. Ist dies nicht der Fall, so entfällt die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung bei einem Verkehrsunfall.
Dies ist entsprechend auch im einleitenden Beispielsfall geprüft worden. Durch einen Sachverständigen ist festgestellt worden, dass eine Kollision auch bei einer Vollbremsung unvermeidbar gewesen wäre, wenn auch das Überrollen hätte verhindert werden können.
Besondere Bedeutung hat dies auch im Falle von Alkoholfahrten. Dabei kommt es für eine Straflosigkeit darauf an, ob der Unfall vermieden worden wäre, wenn der Fahrer diejenige Geschwindigkeit eingehalten hätte, welche für seine niedrigere Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit angemessen gewesen wäre (vgl. § 3 Abs. 1 StVO).
Zudem wird die Tötung nicht als Werk des Fahrers gesehen, wenn der Eintritt des Todes Folge des Verhaltens vom Opfer ist (eigenverantwortliche Selbstgefährdung). Dafür muss das Tatopfer den Geschehensverlauf zumindest mitbeherrschen.
Die Richterin des Berufungsprozesses beschrieb das Verhalten der Radfahrerin als „in wahnsinnig selbstgefährdender Weise vor einen Laster werfen“. Der Wechsel vom Radweg (mit durchgezogener Linie) auf die Fahrbahn, ohne zuvor zu schauen, stellt eine Selbstgefährdung dar, in welcher das Tatopfer den Geschehensablauf zumindest mitbeherrscht.
Wann verjährt die fahrlässige Tötung durch einen Verkehrsunfall?
Die Verjährung der Strafverfolgung richtet sich nach den gesetzlich festgeschriebenen Höchststrafen der Delikte.
Die Verjährungsfrist der fahrlässigen Tötung liegt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB bei 5 Jahren, weil sie im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe 5 Jahren bedroht ist. Dies bedeutet, dass eine Person bis zu 5 Jahre nach der Tat strafrechtlich dafür belangt werden kann.
Steht der Vorwurf der fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB wegen eines Verkehrsunfalles im Raum, empfiehlt es sich bestenfalls direkt einen erfahrenen und spezialisierten Anwalt für Verkehrsrecht und Anwalt für Strafrecht zu konsultieren. Der Anwalt für Verkehrsrecht und Anwalt für Strafrecht kann den Fall rechtlich einschätzen, eine Verteidigungsstrategie erarbeiten und die Erfolgsaussichten prüfen.
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