Unterlassene Hilfeleistung: Welche Strafe droht, wenn Sie nicht handeln?
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Was ist eine unterlassene Hilfeleistung im strafrechtlichen Sinne? Welche Strafe droht? Was ist, wenn der Hilfebedürftige stirbt? Und wann macht man sich strafbar?
Was bedeutet unterlassene Hilfeleistung?
Strafbar machen kann man sich nach dem Strafgesetzbuch (StGB) entweder durch ein aktives Tun oder durch das Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung. Beim Unterlassen differenziert man wiederum zwischen den echten und den unechten Unterlassungsdelikten (§ 13 StGB).
Beim echten Unterlassungsdelikt wird ein bestimmtes Unterlassen ausdrücklich unter Strafe gestellt. Zu den echten Unterlassungsdelikten gehören daher z. B. neben der Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB) auch die unterlassene Hilfeleistung.
Die unterlassene Hilfeleistung ist in § 323c StGB geregelt. Danach wird die Verletzung der Hilfspflicht bei Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr bzw. Notlage unter Strafe gestellt und jedermann die Pflicht zur solidarischen Hilfeleistung auferlegt.
Wann mache ich mich strafbar?
Nach § 323c StGB muss man in Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not helfen, wenn dies erforderlich und den Umständen nach zumutbar ist – insbesondere wenn keine erhebliche eigene Gefahr besteht oder eine Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist. Täter kann mithin jeder sein. Um sich strafbar zu machen, müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben bzw. erfüllt sein, die im Einzelnen näher und beispielhaft erklärt werden sollen:
Gefahrenlage bzw. Notsituation
Unterlassen einer erforderlichen, zumutbaren Hilfeleistung
Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld
Gefahrenlage bzw. Notsituation
Zunächst muss eine spezifische Gefahrenlage gegeben sein. Diese muss durch einen Unglücksfall, durch gemeine Gefahr oder Not verursacht sein.
Ein Unglücksfall ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, das eine erhebliche Gefahr für ein Individualrechtsgut (Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum etc.) mit sich bringt.
Der Unglücksfall kann auch vom Gefährdeten selbst verursacht worden sein, beispielsweise ein selbst verursachter Unfall. Kein Unglücksfall liegt allerdings in der Regel vor, wenn der Betroffene den Unglücksfall selbst absichtlich und frei verantwortlich herbeigeführt hat. Auch wenn man deshalb denken würde, dass ein Suizidversuch nicht unter einen Unglücksfall fällt, so hat der BGH entschieden, dass eine durch einen Selbsttötungsversuch verursachte Gefahrenlage trotzdem als Unglücksfall zu definieren ist, weil das Leben das höchste Rechtsgut ist, das es zu schützen gilt. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Hilfsbedürftigkeit des Suizidenten, d. h., wenn der Suizident handlungsunfähig ist. Beispiele: Unfälle, Gewalttaten oder Selbstmordversuche. Krankheiten sind grundsätzlich kein Unglücksfall. Bei einer plötzlichen Verschlimmerung kann bei einer Krankheit unter Umständen ein Unglücksfall angenommen werden.
Eine gemeine Gefahr ist bei einer konkreten Gefahr für Leib und Leben unbestimmt vieler Personen oder bedeutender Sachwerte anzunehmen. Oftmals fallen Naturkatastrophen hierunter. Beispiele: Überschwemmung, Brand, Hindernisse auf Autobahnen, Giftwolke oder andere Umweltverseuchungen
Die gemeine Not ist eine erhebliche Notlage der Allgemeinheit. Beispiele: Ausfall der Strom- oder Wasserversorgung oder Ausbruch einer Seuche
Die Definition der drei verschiedenen Gefahrenlagen kann sich allerdings (insbesondere bezüglich der gemeinen Gefahr und der gemeinen Not) überschneiden. Letztlich kommt es auf das Vorliegen einer „Notsituation“ an, an der man sich zur Definition orientieren kann.
Unterlassen einer Hilfeleistung: Welche Hilfe muss geleistet werden? Reicht es, den Rettungsdienst anzurufen?
Hilfe ist jede Handlung, die aus objektiver Sicht geeignet ist, eine Verletzung des von dem Unglücksfall bedrohten Rechtsguts zu verhindern oder substanziell zu mindern. Letztlich muss also alles getan werden, was eine Chance auf Rettung verspricht, damit man sich nicht strafbar macht. Die Hilfeleistung muss allerdings auch möglich, erforderlich und zumutbar sein. Die Erforderlichkeit der Hilfeleistung richtet sich danach, was ein verständiger Beobachter zum Zeitpunkt vor Ort für geeignet und notwendig hält, um drohende (weitere) Schäden abzuwenden.
Art und Maß der jeweiligen Hilfe bestimmen sich u. a. nach den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten der zur Hilfe verpflichteten Person und sind im Einzelfall zu bestimmen. Wohl mindestens kann jedoch der Anruf des Rettungsdienstes erwartet werden. Sind weitere Maßnahmen zumutbar, müssen diese auch ergriffen werden. Solange das Bestmögliche geleistet und ausgeschöpft wird, ist man in der Regel auf der sicheren Seite.
Keine Pflicht zu helfen, besteht nach dem Bundesgerichtshof (BGH), wenn
eine Hilfeleistung unmöglich ist,
die Gewähr für sofortige anderweitige Hilfe besteht,
Hilfe von vornherein aussichtslos ist oder
Hilfe offensichtlich nutzlos ist.
Ob Hilfe tatsächlich offensichtlich nutzlos ist, dürfte in den wenigsten Fällen klar beantwortet werden können. Es sollte daher grundsätzlich immer geholfen werden. Beim offensichtlichen Tod einer verunglückten Person besteht aber keine Hilfspflicht mehr. Die Hilfeleistung ist für den Hilfeleistenden nicht zumutbar, wenn mit der Hilfeleistung eine erhebliche Eigengefährdung in Kauf genommen werden muss (Einschreiten in Schlägerei, Gefahrgutunfall, unter Umständen Unfall auf der linken Spur der Autobahn).
Allerdings kann vorangegangenes Tun, das zu der Gefahrenlage geführt hat, unter Umständen dazu führen, dass eine gewisse Gefahr in Kauf genommen werden muss. Beispiel: Ein Nichtschwimmer muss grundsätzlich nicht in einen See springen, um einen anderen zu retten, wenn er dadurch sein eigenes Leben zwangsläufig riskiert. Auf den tatsächlichen Erfolg der Hilfeleistung kommt es nicht an – sondern auf die Hilfeleistung als solche.
Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld
Die Strafbarkeit nach § 323c StGB setzt Vorsatz voraus. Es reicht für die Annahme von Vorsatz allerdings aus, wenn die Umstände erkannt werden, auch wenn sie nicht gewollt sind, oder aber die Folgen zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen werden (sogenannter Eventualvorsatz).
Eine fahrlässige Begehung sieht das Gesetz nicht vor. Wer also die erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, macht sich nicht strafbar. Geht man irrigerweise davon aus, dass die getätigte Hilfe bereits ausreicht, macht man sich ebenfalls nicht strafbar, wenn die Hilfe dann tatsächlich unzureichend war. In einem solchen Fall fehlt der Vorsatz. Verzichtet der Bedrohte wirksam auf Hilfe, beispielsweise indem er erklärt, es solle keine Krankenhauseinweisung erfolgen, ist die unterlassene Hilfeleistung nicht mehr rechtswidrig und man macht sich nicht strafbar.
Welche Strafe ist zu erwarten?
Als Strafe sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor. Für die konkrete Bestrafung kommt es jedoch immer auf die Gesamtumstände und etwaige Vorstrafen an.
Unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge?
Den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung mit Todesfolge gibt es nicht. In Betracht kommen aber die Straftatbestände der Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen gem. §§ 227, 13 StGB und die fahrlässige Tötung durch Unterlassen gem. §§ 222, 13 StGB.
Fazit
Der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) ist strafrechtlich abzugrenzen von einer Strafbegehung durch Unterlassen (§ 13 StGB).
Durch die Vorschrift soll ein Mindestmaß an Solidarität geschaffen werden.
Grundsätzlich muss jeder helfen, wenn eine Notsituation vorliegt und die Hilfeleistung möglich, erforderlich und zumutbar ist.
Eine erhebliche Eigengefährdung muss nicht in Kauf genommen werden.
Auf den tatsächlichen Erfolg der Hilfeleistung kommt es nicht an; sondern auf die Hilfeleistung als solche.
Als Strafe sieht das Gesetz Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor.
Den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung mit Todesfolge gibt es nicht; denkbar ist aber eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen oder fahrlässige Tötung durch Unterlassen.
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