Fahrverbote für „Mini-Raser“ ab Ende April 2020 – auf keinen Fall akzeptieren. Gute Chancen!

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Seit 28.04.2020 gilt ein geänderter Bußgeldkatalog. Mit diesem wurden für zahlreiche Verkehrsverstöße bereits bei erstmaliger Auffälligkeit Fahrverbote eingeführt, wo es zuvor nur ein Bußgeld und einen Punkt gab. Dies erscheint uns in vielen Fällen stark überzogen und auch in der Politik wird darüber diskutiert, die Verschärfungen rückgängig zu machen. Aus diesen Debatten ergeben sich überdurchschnittliche Möglichkeiten zur Abwehr eines angedrohten Fahrverbots, selbst wenn der Tatvorwurf gerechtfertigt sein sollte. Dies setzt aber voraus, dass Betroffene sich an einen kompetenten Anwalt wenden und gegen den Bußgeldbescheid zur Wehr setzen – denn nur dann können sie von einer etwaigen Neuregelung profitieren.

I.) Neu: Innerorts um 21 km/h bzw. außerorts um 26 km/h zu schnell = Fahrverbot!

Es sollen hier aus Platzgründen nicht sämtliche gesetzliche Änderungen ausgeführt werden, die offiziell vor allem zum Schutz der Radfahrenden eingeführt wurden. Beschränkt werden soll die Darstellung vielmehr auf die für die meisten Fahrzeugführer am Bedrohlichsten erscheinenden Verschärfungen im Bereich der (behaupteten) Geschwindigkeitsüberschreitungen. Während ein bislang unauffälliger Verkehrsteilnehmer bis zur Gesetzesänderung innerorts erst ab 31 km/h und außerorts ab 41 km/h ein Regelfahrverbot von einmonatiger Dauer angedroht bekam, soll dies nun bereits ab 21 km/h (innerorts) bzw. 26 km/h (außerorts) gelten. Die Fahrverbotsschwellen wurden somit für „Ersttäter“ um stattliche 10 km/h innerhalb und gar 15 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften abgesenkt.

Aus meiner täglichen Praxis berichten uns unzählige Berufskraftfahrer, Außendienstmitarbeiter, Handelsvertreter oder andere Vielfahrer, die auf ihre Mobilität angewiesen sind, dass sie mit diesen „Strafschärfungen“ existenzielle Sorgen verbinden – denn selbst bei redlichem Verkehrsverhalten ist es in Anbetracht der massiv zugenommenen Geschwindigkeitsmessungen bei Jahresfahrleistungen von 50.000 km und häufig deutlich mehr höchstwahrscheinlich, über kurz oder lang von einem Fahrverbot betroffen zu sein.

II.) Grundsatz: Zur falschen Zeit geblitzt worden? Pech gehabt, laufen!

Prinzipiell ist es juristisch nicht relevant, wenn sich ein Betroffener darauf beruft, dass die Sanktionierung seines Fehlverhaltens doch unfair sei und ein anderer Verkehrsteilnehmer mit gleichartigem Verstoß zu früherer Zeit kein Fahrverbot erhalten hätte. Denn nach § 4 Abs.1 und Abs.5 OWiG bestimmen sich die Rechtsfolgen einer Ordnungswidrigkeit nach dem Gesetz, das zur Zeit der Handlung gilt.

Grundsätzlich muss sich somit jeder, der sich ab dem 28.04.2020 mit 21 km/h innerorts bzw. 26 km/h außerorts zu hoher Geschwindigkeit erwischen lässt, auf eine einmonatige Mobilitätseinschränkung gefasst machen.

III.) Ausnahme: Verhinderung von Fahrverboten wegen politischen Ungereimtheiten möglich durch Verfahrensverzögerung!

Wie bereits eingangs angedeutet, wird derzeit heftig darüber diskutiert, ob der neue Bußgeldkatalog über das Ziel hinausgeschossen ist und die auch von uns beklagte Unverhältnismäßigkeit der niedrigen Fahrverbotsschwellen „aus Gründen der Gerechtigkeit“ bereinigt werden muss. Derartige Forderungen stammen sowohl aus den Reihen der FDP und AfD, als auch von CDU/CSU. Erste Bundesländer (Bayern, Niedersachsen und Saarland) wollen die "scharfen" Regelungen ab dem 03.07.2020 und bis auf weiteres nicht mehr anwenden. 

Die in der Überschrift von uns bewusst provokant bezeichneten „Mini-Raser“ haben bei erstmaliger Auffälligkeit ein Fahrverbot nach meiner Überzeugung nicht verdient!

Jeder mag an dieser Stelle selbst darüber befinden, welches Bild die Politik vermittelt, wenn über geplante Änderungen eines Bußgeldkataloges in den Monaten vor dessen Inkrafttreten umfangreich von anwaltlichen Berufsverbänden und Automobilclubs die Unverhältnismäßigkeit zahlreicher Bestimmungen kritisiert wird, diese Kritik aber ungehört übergangen und der Bußgeldkatalog erlassen wird, um dann kurze Zeit später nach Wiederholung derselben Kritik eine „Rolle rückwärts“ in Aussicht zu stellen. 

Sollte tatsächlich für die hier einzig angesprochenen, eher niedrigen Geschwindigkeitsüberschreitungen die Regel-Rechtsfolge des Fahrverbots wieder wegfallen, so könnte dies unzähligen Betroffenen zugute kommen – und nur darauf kommt es an.

Denn als Ausnahme von der oben beschriebenen Regel (§ 4 Abs.1 und 5 StVO) schreibt § 4 Abs.3 OWiG vor, dass bei einer Änderung des Gesetzes zwischen Beendigung der Handlung und vor der Entscheidung stets das mildeste Gesetz anzuwenden ist. Wenn der bei Begehung des Verkehrsverstoßes maßgebliche Bußgeldkatalog also ein Fahrverbot vorsieht und in der weiteren Zeit dann der Bußgeldkatalog geändert und das Regelfahrverbot für eben diese Handlung gestrichen wird, so muss für die Suche nach passenden Rechtsfolgen die günstigere Fassung des Bußgeldkatalogs angewendet werden.

Zwar weiß gerade wegen des sonderbaren und kaum professionell wirkenden Verhaltens der Regierung niemand, was schlussendlich aus den Re-Reform-Ankündigungen wird. Die Chance auf eine Abkehr von den Verschärfungen ist alles andere als klein, denn nach vorläufiger Einschätzung leidet die StVO-Reform an einem eklatanten formellen Fehler, der wegen Verstoßes gegen das sogenannte Zitiergebot zur Verfassungswidrigkeit der Regelungen führen dürfte und den Eindruck der Schlampigkeit im Gesetzgebungsverfahren noch weiter verstärkt. 

Fakt ist , dass im Falle einer Milderung der Rechtsfolgen nur Derjenige profitieren kann und auf einen Wegfall des Fahrverbots hoffen darf, der das Verfahren bis dahin offengehalten hat. Wer umgekehrt vorschnell einen Bußgeldbescheid mit Fahrverbot akzeptiert und Letzteres auch verbüßt, wird hiergegen nichts mehr tun können. 

Diese Überlegungen führen dazu, dass es in jedem Fall geboten ist, auch auf Zeit zu spielen und die weiteren Entwicklungen in der Gesetzgebung zu beobachten, was wir akribisch tun. Möglichkeiten für derartige Verzögerungen gibt es nach unseren umfangreichen Erfahrungen in zahlreicher Hinsicht, sofern die Mandatserteilung zu einem frühen Zeitpunkt erfolgt und die Verfahrenstaktik hierauf eingestellt werden kann.

Selbst wenn aber alles „beim alten Neuen“ bleibt, sich an den niedrigen Fahrverbotsschwellen also nichts mehr ändert, werden wir uns stets tatkräftig dafür einsetzen, mit Hinweis auf die politischen Debatten das Fahrverbot notfalls mit einer erhöhten Geldbuße abzuwehren.

Und sollte auch dies im Einzelfall nicht gelingen, mag es für manchen ein positiver Begleit-Effekt sein, dass das Fahrverbot wenigstens in eine Zeit verschoben wird, in der die Führerscheinabgabe vielleicht etwas weniger weh tut

Die Kosten derartiger anwaltlicher Verteidigung werden in der Regel von einer gültigen Verkehrsrechtschutzversicherung übernommen.

Dr. Sven Hufnagel

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Dr. jur. Sven Hufnagel ist auf die Verteidigung in Bußgeldsachen spezialisiert und konzentriert sich dabei insbesondere auf die Abwehr drohender Fahrverbote. Er kann auf mehrere tausend geführte Bußgeldverfahren in den fast 17 Jahren anwaltlicher Tätigkeit zurückblicken.

In den Jahren 2015 bis 2019 wurde er fünf Jahre hintereinander in der „FOCUS-Anwaltsliste“ als „Top-Anwalt für Verkehrsrecht“ aufgeführt. Seiner Kanzlei wurde zudem jüngst im „STERN“ die Auszeichnung als eine der „Besten Anwaltskanzleien 2020 im Rechtsgebiet Verkehrsrecht“ verliehen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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