Familiengerichtliche Begutachtung zum Sorgerecht – Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit

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Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg – Familiengericht – hat am 22.04.2013 zum Az: 160 F 16064/12 einen interessanten Beschluss zur Frage erlassen, wann ein Gutachter bzw. psychologischer Sachverständiger in einem Sorgerechtsverfahren als befangen abgelehnt werden kann.

Der Fall

Es streiten sich Mutter und Vater um die alleinige elterliche Sorge für ein minderjähriges Kind. Im gerichtlichen Sorgerechtsverfahren ist die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens angeordnet worden. Während der Begutachtung erfolgen üblicherweise Explorationen der Eltern. Während dieser explorativen Gespräche machte die Mutter keinen Hehl aus ihren Vorbehalten gegen den Vater und ihrer kaum vorhandenen Bereitschaft zur Kommunikation mit dem Vater. Der Gutachter ist dann letztlich zu einem für die Mutter negativen Ergebnis gelangt. Daraufhin lehnte die Mutter den Gutachter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg – Familiengericht – gab dem Antrag der Mutter statt und begründete dies wie folgt:

„In seinem schriftlichem Gutachten tut der Sachverständige durch die Wahl scharfer, pointierter Formulierungen wiederholt, von der Vorbemerkung bis zur Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung, negative Stimmungen kund, nämlich seine Unzufriedenheit darüber, dass ihm als lösungsorientierten Gutachter, als der er sich ausdrücklich selbst bezeichnet (Gutachten, Seite 3), eine Mutter begegnet, die sich auf eine lösungsorientierte Begutachtung partout nicht einlassen wolle (vgl. Gutachten, Seite 6, zur ersten Begegnung des Sachverständigen mit der Mutter: ‚Erstmals höre ich von der Mutter, dass sich kategorisch weigere, sich mit dem Vater an einen Tisch zu setzen, um gemeinsam die schwierige Lage zu besprechen.’)

Besonders deutlich wird diese Kundgabe negativer Stimmungen auf Seite 3 des Gutachtens, wo es heißt (kursive Hervorhebungen wie im Gutachten):

‚Obwohl Vater und Mutter in vielerlei Hinsicht grundverschieden und auch in völlig unterschiedlichen Lebensbezügen verankert sind, liebt das Kind beide gleichermaßen. Hier wie dort fühlt es sich vertraut und geborgen.’

Eine solche Ausgangslage ist im Grunde die beste Voraussetzung für eine lösungsorientierte Begutachtung, damit gemeint ist die von beiden Eltern gemeinsam betriebene Suche nach einer Gestaltung der Nachscheidungsfamilie, die dem Kind ein Maximum an familialer und emotionaler Konstanz sichert. Doch das geht nur, wenn wenigstens ein Minimum an elterlicher Dialogbereitschaft besteht. Insofern scheitert hier die beste Lösung für E am bedingungslosen Widerstand ihrer Mutter, sich auf einen gemeinsamen Lösungsversuch mit dem Vater einzulassen.

Bei der Mutter muss dies so ankommen, dass der Sachverständige ihr nicht einmal ein Minimum (!) an elterlicher Dialogbereitschaft zugesteht. Die Mutter ist vernünftigerweise besorgt, dass der Sachverständige ihr nicht unvoreingenommen gegenübersteht, weil zwischen den verschiedenen Formen der Kommunikation getrennt lebender Eltern (Telefon, Mail, SMS, gemeinsame Gespräche ‚an einem Tisch’, Skype, Einzel- und/oder getrennte Elternberatung, Zusammentreffen vor dem Jugendamt und vor Gericht) nicht in der gebotenen sachlichen Form differenziert wird und weil die verschiedenen Möglichkeiten der Kommunikation mit dem Wohl des vom Elternkonflikt konkret betroffenen Kindes E auch nicht in Beziehung gesetzt werden.

Rechtfertigt bereits dies die Ablehnung wegen Befangenheit, kommt es auf die weiter vorgebrachten Ablehnungsgründe nicht an.“

Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg, Beschluss v. 22.04.2013, 160 F 16064/12

Hinweis für die Praxis

§ 163 Abs. 2 FamFG räumt dem Familiengericht die Möglichkeit ein, den Sachverständigen zu beauftragen, bei der Erstellung des Gutachtens auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinzuwirken. Dem Sachverständigen wird damit eine sehr aktive Rolle zugedacht, die weit über eine objektive Begutachtungstätigkeit hinausgeht. Scheitert die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten, gelingt es dem Gutachter also nicht, die Eltern zu einer vernünftigen Kommunikation miteinander zu bewegen, muss er im Anschluss sein objektives Gutachten erstellen. Dies ist für einen Gutachter keine leichte Aufgabe, denn es dürfte sehr schwer fallen, sich nach einem solchen Scheitern wieder in die Lage zu versetzen, beiden Elternteilen objektiv und unvoreingenommen gegenüber treten zu können. Naturgemäß gelingt dieses Unterfangen dem einen Gutachter besser, dem anderen schlechter. Entsprechend angreifbar sind solche Gutachten.

Die Möglichkeit der Ablehnung eines Sachverständigen ist in § 30 FamFG in Verbindung mit §§ 406, 42 ZPO. Ein Sachverständiger kann danach aus denselben Gründen abgelehnt werden, wie ein Richter. Von besonderer Bedeutung hier ist der der Ablehnungsgrund „Besorgnis der Befangenheit“. Inhaltlich bedeutet dies die begründete Sorge, dass der Sachverständige nicht objektiv und unvoreingenommen begutachtet haben könnte. Diese Frage ist aus Sicht des Ablehnenden zu beurteilen. Es kommt darauf an, ob aus der Sicht des Ablehnenden und aus seiner Perspektive die Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt ist. Ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist, muss nicht festgestellt werden, denn darauf kommt es nicht an.

Zur Begründung eines solchen Befangenheitsantrages muss dementsprechend hauptsächlich damit argumentiert werden, wie die einzelne Aussage oder Handlung des Sachverständigen vom Ablehnenden aufgefasst wurde und warum deswegen befürchtet wird, dass der Sachverständige nicht objektiv begutachtet hat.

Kanzlei Jurist-Berlin | Medizinrecht und Familienrecht

Annett Sterrer LL.M. (Medical Law)

Rechtsanwältin

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