Fiktive Abnahme bei Mängelrüge vor Abnahmeaufforderung?

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Seit der Reform zum Bauvertragsrecht und der damit einhergehenden Neuregelung zur fiktiven Abnahme in § 640 Abs. 2 BGB ist umstritten, ob die Wirkungen der Abnahme auch dann eintreten, wenn der Besteller schon vor der Aufforderung zur Abnahme Mängel rügt. Zu den Voraussetzungen der fiktiven Abnahme hat das OLG Schleswig (Urteil vom Urteil vom 10.12.2021, Az.: 1 U 64/20) Stellung genommen.

Die Abnahme 

Im Baurecht spielt der Begriff der Abnahme eine zentrale Rolle. Eine gesetzliche Definition der Abnahme existiert nicht, vielmehr setzt das Bürgerliche Gesetzbuch den Begriff der Abnahme voraus. Der BGH hat die Abnahme definiert als die körperliche Hinnahme des Werkes, verbunden mit der Anerkennung des Werkes als in der Hauptsache vertragsgemäß.

Weil an die Abnahme wesentliche Rechtsfolgen geknüpft sind, ist sie regelmäßig Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Die wichtigsten Wirkungen der Abnahme sind

  1. Fälligkeit des Werklohns,
  2. die Beweislast für das Vorhandensein von Mängeln geht auf den Besteller über;
  3. der Lauf der Gewährleistung beginnt;
  4. Verlust nicht vorbehaltener Vertragsstrafen;
  5. Verlust nicht vorbehaltener Ansprüche bei erkennbaren Mängeln.  

Die fiktive Abnahme

Mit dem neuen Bauvertragsrecht zum 01.01.2018 hat der Gesetzgeber die Regelungen zur
 sog. „fiktiven Abnahme“ geändert. Nach § 640 Abs. 2 BGB gilt ein Werk dann als abgenommen (mit all den daraus resultierenden Rechtsfolgen), wenn der Auftragnehmer dem Besteller nach Fertigstellung des Werkes eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert.

Es liegt also am Besteller, die Wirkungen der Abnahme zu verhindern, sollte das Werk aus seiner Sicht mangelhaft sein. Er muss aktiv die Abnahme verweigern, und zwar unter Angabe mindestens eines Mangels.

Durch die Regelung des § 640 Abs. 2 BGB soll verhindert werden, dass der Besteller die Abnahme (und damit die für ihn ungünstigen Rechtsfolgen) einseitig und ohne Angabe von Gründen verhindern kann.

Wegen der weitreichenden Folgen hat der Gesetzgeber zum Schutz von Verbrauchern einschränkend geregelt, dass die Rechtsfolgen der fiktiven Abnahme nur dann eintreten, wenn der Unternehmer den Besteller zusammen der der Aufforderung zur Abnahme auf die Folgen einer nicht erklärten oder ohne Angabe von Mängeln verweigerten Abnahme hingewiesen hat. Dieser Hinweis muss in Textform erfolgen, vgl. § 640 Abs. 2 S. 2 BGB.

Was gilt, wenn der Besteller bereits vor der Aufforderung zur Abnahme Mängel rügt und nach Aufforderung zur Abnahme untätig bleibt? 

Diese Frage war bislang umstritten. So wurde vertreten, die Fiktion trete nicht ein, wenn der Besteller die Abnahme bereits früher ernsthaft und endgültig verweigert und dabei mindestens einen Mangel gerügt habe. Nach anderer Auffassung sei auch dann von einer fiktiven Abnahme auszugehen, wenn der Besteller bereits vor Ablauf der Abnahmefrist Mängel gerügt habe. Das OLG Schleswig folgt überzeugend der zweiten Auffassung.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Besteller hatte den Auftragnehmer mit der Erbringung von Malerarbeiten beauftragt. Nach Durchfühung der Arbeiten beanstandete der Besteller die Arbeiten. Auch nach Auffassung des Gerichts sei die Leistung teilweise mangelhaft erbracht, wobei die festgestellten Mängel nur ein geringes Gewicht aufwiesen und der Aufwand der Beseitigung überschaubar sei. Der Auftragnehmer sagte zwar Nachbesserungsarbeiten zu, erbrachte diese aber in der Folgezeit nicht.

Nach einigen Monaten forderte der Auftragnehmer den Besteller auf, ihm die ausstehenden Nachbesserungsarbeiten zu ermöglichen. Gleichzeitig setzte der Auftragnehmer eine Frist zur Abnahme der erbrachten Arbeiten und stellte Schlussrechnung.

In dem gerichtlichen Verfahren verlangte der Auftragnehmer die Zahlung von Werklohn.

Zur Entscheidung 

Das OLG Schleswig entschied im Wesentlichen zugunsten des klagenden Auftragnehmers. Nach Auffassung des Gerichts trete die fiktive Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB auch dann ein, wenn der Besteller lediglich vor der Fristsetzung zur Abnahme Mängel des Werks gerügt habe. Das gelte jedenfalls dann, wenn dem Werkunternehmer keine erheblichen Mängel des Werks bekannt seien.

Zur Begründung zieht das Gericht die gesetzgeberische Intention bei Neufassung des § 640 Abs. 2 BGB heran. Die Neufassung sei erfolgt, um die Schwächen der alten Fassung des § 640 Abs. 1 S. 3 BGB zu beseitigen. Hiernach trat eine fiktive Abnahme ein, wenn der Besteller die Abnahme nicht innerhalb einer Frist verweigerte, falls er zur Abnahme verpflichtet war. Der Streit, ob das Werk zum Zeitpunkt der Fristsetzung abnahmereif war (als Voraussetzung der fiktiven Abnahme), blieb bestehen und musste jeweils im Rahmen des Prozesses geklärt werden. Ziel des Gesetzgebers bei Neuregelung der fiktiven Abnahme sei gewesen, schnellstmöglich Klarheit darüber zu schaffen, ob die Abnahmewirkungen eingetreten sind oder nicht. Dieses gesetzgeberische Ziel könne aber eben nur dann erreicht werden, wenn der Besteller in jedem Fall auf die Fristsetzung seines Auftragnehmers reagieren müsse, und zwar auch, wenn er bereits vor Aufforderung zur Abnahme Mängel gerügt habe.

Dem Besteller sei es nicht unzumutbar, gegebenenfalls eine bereits erhobene Mängelrüge zu wiederholen. Und aus Sicht des Auftragnehmers sei es schließlich nicht widersprüchlich, trotz bereits erhobener Mängelrügen eine Frist nach § 640 Abs. 2 BGB zu setzen. Einerseits könne es Streit über die Frage geben, ob die gerügten Mängel überhaupt vorliegen und ob diese wesentlich sind (und damit einer Abnahme entgegenstehen). Andererseits könne eine Mängelrüge durch Zeitablauf auch obsolet werden, z.B., wenn Nacharbeiten durchgeführt wurden oder dargelegt werden konnte, dass keine Mängel vorhanden sind.

Lediglich dann, wenn der Unternehmer weiß, dass sein Werk erhebliche Mängel aufweist, kann das Abnahmeverlangen rechtsmissbräuchlich sein. In diesem Falle würden die Wirkungen der Fiktion nicht eintreten.

Zurückbehaltungsrecht bei Eintritt der Abnahmefiktion trotz Mängeln 

Nach Auffassung des OLG Schleswig stand dem Besteller in dem hier entschiedenen Fall wegen der noch vorhandenen Mängel ein Zurückbehaltungsrecht zu, §§ 641 Abs. 3, 320 Abs. 1 BGB. Ein Teil des eingeklagten Werklohns könne der Auftragnehmer nur Zug um Zug gegen Beseitigung der festgestellten Mängel verlangen.

Nach §§ 641 Abs. 3, 320 Abs. 1 BGB darf der Besteller die Zahlung eines angemessenen Teils des Werklohns verweigern, wenn er die Beseitigung von Mängeln verlangen kann. Angemessen ist regelmäßig das doppelte der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten (sog. „Druckzuschlag“). Weil sich der Besteller im vorliegenden Fall in Annahmeverzug befand, bestand das Zurückbehaltungsrecht nur noch in Höhe des einfachen Betrages der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten.

Fazit

Fordert der Unternehmer den Besteller unter angemessener Fristsetzung zur Abnahme seines Werkes auf, muss der Besteller die Abnahme unter Angabe mindestens eines Mangels verweigern – vorausgesetzt, das Werk ist mangelbehaftet. Das gilt auch, wenn er bereits vor der Abnahmeaufforderung die Abnahme unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat. Ohne (erneute) Abnahmeverweigerung gilt das Werk nach Ablauf der Frist als abgenommen. 


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Rechtsanwalt Jochen Wöllstein

Bahr & Wöllstein - Notar und Rechtsanwälte

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