Fiktive Mängelbeseitigungskosten im Baurecht

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Grundsatzurteil des BGH mit Änderung der Rechtsprechung!

Mit Urteil vom 22.02.2018 (VII ZR 48/17) hat der BGH ein Grundsatzurteil zum Schadensersatzanspruch gesprochen, was in diesem wichtigen Bereich von Schadensersatzansprüchen im Werkvertragsrecht zu einer Änderung der Rechtsprechung führt. Dieses Urteil ist wie eine Bombe eingeschlagen. Es wird dazu führen, dass sich alle Gerichte an diesem Urteil neu orientieren müssen. Dies gilt auch für Rechtsanwälte, die ihre Mandantschaft im Hinblick auf Schadensersatzansprüche oder in der Abwehr von Schadensersatzansprüchen beraten. Dieses Urteil wird in Rechtskreisen noch zu allerhand Diskussionen führen. Wir zitieren den ersten Leitsatz aus dem Urteil, der da heißt:

Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gegen den Unternehmer gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

Wer sich nun freut und denkt, dass diese Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung nur für den BGB-Vertrag gilt, der irrt, auch wenn dort nur BGB-Vorschriften genannt sind. Der BGH hat ausdrücklich festgestellt, dass dieses Urteil auch für den VOB-Vertrag Anwendung findet, insbesondere auf die Vorschrift des § 13 VOB/B.

Diese Rechtsprechung hat immense Auswirkungen auf alle laufenden Verfahren der unteren Instanzgerichte, da alle Werkverträge, die ab dem 1. Januar 2002 abgeschlossen wurden, hiervon betroffen sind. Deshalb sind die Gerichte gezwungen, sich bei allen laufenden Verfahren auch auf diese neue Rechtsprechung umzustellen. Grundsatzurteile schaffen immer Unruhe und werden noch auf Jahre oder Jahrzehnte die Rechtsprechung zu diesem Schwerpunkt bestimmen.

Worum geht es in der Sache überhaupt? Der Sachverhalt stellt sich wie folgt dar: Ein Bauherr (= Besteller) beauftragt einen Unternehmer mit der Verlegung von Natursteinplatten und Fliesenarbeiten im Innen- und Außenbereich. Es kam unter anderem zu Rissen und Ablösungen der Platten, zu Kalk- und Salzausspülungen. Nach Abnahme zeigten sich diese erheblichen Mängel. Der Bauherr nimmt den Unternehmer gerichtlich auf Vorschuss für die Mängelbeseitigung in Höhe von 90.000,00 € in Anspruch. Während des Berufungsverfahrens veräußert er das Bauwerk und stellt die Klage auf Schadensersatz in derselben Höhe um. Eine Mängelbeseitigung erfolgt nicht.

Nach der früheren Rechtsprechung war der Bauherr berechtigt, die Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz zu Grunde zu legen, obwohl er das Bauwerk veräußert hat und keine Mängelbeseitigung mehr vornimmt. Insoweit ging es darum allein eine Darstellung der fiktiven Mängelbeseitigungskosten zu erreichen, unabhängig davon, ob eine Mängelbeseitigung tatsächlich stattgefunden hat oder nicht. Es unterlag der freien Disposition des Bauherrn, zu entscheiden, ob er den Mangel tatsächlich beseitigen lässt oder mit dem Geld völlig andere finanzielle Dispositionen vornimmt, die in keinem Zusammenhang mit dem Mangel stehen, zum Beispiel für Urlaubsreisen, Anschaffung eines neuen PKWs usw.

Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die Ansicht vertreten, dass die zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten von einem Schadensersatzanspruch erfasst werden und der Schädiger keinen Anspruch darauf hat, dass der Geschädigte das ihm als Schadensersatz gezahlte Geld zur Beseitigung des Schadens verwendet. Dies hat der BGH bereits mit Urteil vom 24.05.1974 vertreten und hat diese Rechtsprechung nochmals erneut im Jahr 2007 betont, indem der Besteller seinen Schadensersatzanspruch nach den Kosten berechnen kann, die für eine Mängelbeseitigung erforderlich sind. Diese Entscheidung war seinerzeit ein Grundsatzurteil. Diese Leitlinien hatten bis zu dem Urteil vom 22. Februar 2018 jahrzehntelange Gültigkeit.

Ist ein Werk mangelhaft, so kann der Besteller vom Unternehmer bei einem VOB-Vertrag gemäß § 13 Abs. 7 Nr. 3 VOB/B und bei einem BGB-Vertrag gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Wie der Schaden zu bemessen ist, ergibt sich jedoch weder aus § 634 Nr. 4 BGB noch aus den Vorschriften des §§ 280, 281 BGB. Dies ist auch nicht im § 13 Abs. 7 VOB/B geregelt. Der Besteller, der sich dafür entscheidet, das mangelhafte Werk zu behalten und Schadensersatz statt der Leistung geltend zu machen (kleiner Schadensersatz), kann vielmehr Ersatz in Geld verlangen, soweit er durch den Mangel einen Vermögensschaden erleidet.

Lässt er den Mangel nicht im Wege der Selbstvornahme beseitigen, ist der bereits durch den Mangel des Werks selbst entstandene Vermögensschaden festzustellen und in Geld zu bemessen. Der BGH kommt durch folgende Erwägungen zu einer Änderung der Rechtsprechung: Der Besteller, der keine Aufwendungen zur Mängelbeseitigung tätigt, hat keinen Vermögensschaden in Form und Höhe dieser nur fiktiven Aufwendungen. Sein Vermögen ist im Vergleich zu einer mangelfreien Leistung des Unternehmers nicht um einen Betrag solcher fiktiven Aufwendungen vermindert. Erst wenn der Besteller den Mangel beseitigen lässt und die Kosten hierfür begleicht, entsteht ihm ein Vermögensschaden in Höhe der aufgewandten Kosten. Der BGH hat weiter ausgeführt, dass diese Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten zu einer Überkompensation und damit zu einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers führt.

Deshalb hält der BGH es für angezeigt, den Umfang des Schadensersatzes noch stärker daran auszurichten, welche Disposition der Besteller tatsächlich zur Mängelbeseitigung trifft. Nach diesem Urteil verbleibt es dabei, wenn der Besteller den Mangel tatsächlich beseitigt hat, dass er in diesem Falle die tatsächlichen Kosten der Mängelbeseitigung ersetzt verlangen kann. Das Gleiche gilt für eine Vorschussklage, die der Besteller anstrengt. Mit einer Vorschussklage macht der Besteller Kosten geltend, ohne die Mängel zuvor beseitigt zu haben und ohne damit in Vorleisung mit eigenem Geld zur Mängelbeseitigung zu gehen. Dieser Vorschuss ist ausschließlich zweckgebunden und muss zur Mängelbeseitigung verwendet werden. Ein solcher Vorschuss muss hinterher nach Mängelbeseitigung abgerechnet werden. Dabei ist es meist so, dass dieser Vorschuss für die Mängelbeseitigung nicht ausreicht und dann aufgrund einer solchen Klage eine weitere Zahlung verlangt werden kann, um die tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten auch abdecken zu können. Hat eine Mängelbeseitigung weniger Geld als den vereinnahmten Vorschuss in Anspruch genommen, so kann ein Teil des Vorschusses, der nicht für die Mängelbeseitigung aufgewendet wurde, von dem Unternehmer zurückverlangt werden. Dies dürfte aber in der Praxis nur selten vorkommen.

Deshalb verbleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung, wenn der Mangel tatsächlich beseitigt wird, dass der Besteller Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten hat. Jedoch ist eine Änderung der Rechtsprechung eingetreten, wenn der Besteller eben nicht den Mangel beseitigen lässt. In dem Fall stellt der BGH einen Leitsatz auf, der sich in der Praxis nicht leicht bestimmen lässt. Der BGH stellt die These auf, dass ein Vermögensschaden in der Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen oder bearbeiteten Sache ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel zu sehen ist. Dies ist auf den ersten Blick verwirrend, da es auf einen Vermögensvergleich und die Bestimmung des Wertes der Sache mit und ohne Mangel ankommt. Wie sich diese Differenz sich im Einzelnen berechnen lässt, lässt der BGH offen. Hinzu kommt, dass der BGH noch hingegangen ist und die Bemessung dieses Schadens im Wege der Schadensschätzung erlaubt.

Damit könnten die Gerichte diesen Wert schätzen. Solche Schätzungen führen nicht unbedingt zum Rechtsfrieden für die Parteien, da eine Partei immer annehmen wird, dass entweder der Schaden zu hoch oder zu niedrig geschätzt wurde. Weiter sagt der BGH, dass bei Verkauf der mangelhaften Sache sich der Schaden aus einem Mindererlös ableiten lässt. Das Thema bleibt spannend.

Carsten Seeger


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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