Freispruch trotz Marihuanaanbaus in der Wohnung

  • 4 Minuten Lesezeit

Die zuständigen Polizeibeamten finden 1.242, 55 Gramm Marihuana in der Wohnung, sowie zahlreiche Marihuanapflanzen, der Angeklagte ist geständig und trotzdem entscheidet das OLG Düsseldorf am 23.06.2016, dass die Klage (Az.3 RVs 46/16) abzuweisen ist.

Sachverhalt

In einem Mehrfamilienhaus sollte aufgrund eines vorliegenden Beschlusses eine Wohnung durchsucht werden. Während sich die zuständigen Polizeibeamten im ersten Obergeschoss des Hauses befanden, stellten sie einen intensiven Marihuanageruch fest. Diesen verfolgten die Beamten bis ins dritte Obergeschoss und bemerkten, dass der Geruch am stärksten vor der Tür des Angeklagten war. 

Daraufhin untersuchten sie, die im Keller befindlichen Stromzähler und bemerkten, dass sich der Zähler für die Wohnung im dritten Obergeschoss auffällig schneller drehte als die anderen Stromzähler. Diese Feststellung bestärkte die Vermutung der Polizeibeamten, dass in der betreffenden Wohnung Marihuana angebaut wird. Nach einer Beratschlagung im Hausflur einigten sie sich, zunächst zu versuchen, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen und dass zumindest einer der Beamten bereits Stellung vor einem der Wohnungsfenster nimmt, damit keine Beweismittel auf diesem Weg verschwinden können. 

Der Gruppenleiter versuchte, wohlbemerkt um die Mittagszeit, den Eildienst der Staatsanwaltschaft telefonisch zu erreichen, um diesen zu veranlassen, den richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken. Nach einem Zeitraum von zehn bis fünfzehn Minuten nahm der Gruppenleiter an, nunmehr keinen erreichen zu können und gab daher erfolglos auf. 

Eine erneute Beratung der Polizeibeamten führte zu dem Ergebnis, dass man nun zunächst als milderes Mittel gegenüber einer Durchsuchung an der Wohnungstür im dritten Obergeschoss zunächst klopfen sollte und auf diese Weise über freiwillige Angaben der Herkunft des Marihuanageruchs auf den Grund gehen würde. 

Damit nicht genug, gaben sie sich auch verbal als Polizeibeamten zu erkennen, da die sie an diesem Tag Zivilkleidung trugen und nicht bereits an ihrer Uniform als Polizeibeamten erkennbar waren. 

Die Aufforderung zur Öffnung der Tür blieb erfolglos, allerdings konnten die Beamten deutliche Geräusche aus der Wohnung wahrnehmen. Sie schöpften den Verdacht, dass der Angeklagte versuchte, Beweismittel zu vernichten. Da der Gruppenleiter immer noch nicht den Eildienst der Staatsanwaltschaft erreicht hatte, entschied er, dass aufgrund drohenden Beweismittelverlusts Gefahr im Verzug vorliege – er ordnete die Durchsuchung der Wohnung ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss an. 

Nachdem sie nun mehrmals gegen die Tür getreten und versucht hatten, diese gewaltsam zu öffnen, gab der Angeklagte nach und öffnete sie von selbst. Nach Belehrung gab er darüber hinaus gegenüber den Beamten vor Ort an, dass er an ADHS erkrankt sei, ohne „Gras“ nicht klarkomme und deshalb „ohne Ende kiffe“. Er würde täglich 5 Gramm Marihuana benötigen. Aufgrund dieses hohen Eigenbedarfs würde er auch keinen Handel treiben, nur ab und zu „Kollegen“ mitrauchen lassen. 

Entscheidung

Nach dem juristischen Verständnis ist die „Gefahr im Verzug“ nur anzunehmen, wenn eine richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Nur in solch einem Fall ist die Polizei als Ermittlungsbehörde dazu ermächtigt, eine Durchsuchung selbstständig anzuordnen.

Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum. 

Im vorliegenden Fall war nach Ansicht des OLG Düsseldorf keine Gefahr im Verzug gegeben. Zu dem Zeitpunkt, als die Polizeibeamten aufgrund des aus der Wohnung im dritten Obergeschoss dringenden starken Marihuanageruchs und dem schnell laufenden Stromzähler im Keller den Verdacht einer Straftat hatten, bestand noch keine Besorgnis, dass demnächst ein Beweismittelverlust eintreten würde. Es bestanden nämlich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte von den polizeilichen Ermittlungen etwas mitbekommen hatte. 

Schlussfolgernd bestand in dieser konkreten Situation noch genügend Zeit, abzuwarten, bis der Eildienst der Staatsanwaltschaft erreichbar war. Zusätzlich bemerkte das Gericht, dass es sich um die Mittagszeit gehandelt hat und ohne weiteres in absehbarer Zeit mit der Erreichbarkeit eines Richters hätte gerechnet werden können. 

Die Gefahr im Verzug ist somit erst eingetreten, als die Polizeibeamten eigenmächtig beschlossen haben, den Angeklagten über ihre Anwesenheit und dem damit zusammenhängenden Verdacht in Kenntnis zu setzen. 

Damit haben sie zielgerichtet die tatsächliche Voraussetzung für die Eigenkompetenz selbst herbeigeführt.

Das OLG Düsseldorf entschied daher, dass solch reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen nicht ausreichen, um die Annahme von Gefahr im Verzug zu begründen und auch selbst herbeigeführte, tatsächliche Voraussetzungen können die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörde zulässig erscheinen lassen. 

Damit liegt ein Beweiserhebungsverbot vor, welches durch die Umstände dieses Sonderfalls auch zu einem Beweisverwertungsverbot führte. 

Dies erstreckt sich auf alle in der Wohnung vorgefundenen Beweismittel und auch auf die Angaben, die der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt gegenüber den Polizeibeamten geäußert hat, da für ihn Leugnen und Schweigen zwangsläufig sinnlos erschienen ist, wenn die Beamten bereits in seiner Wohnung standen. 

Fazit

Dieser geschmackvolle Fall zeigt deutlich, dass nicht jedes hoheitliche Handeln zwangsläufig rechtmäßig ist, auch wenn es zum Zeitpunkt der Handlung so erscheint. 

Gute Strafverteidigung kann tatsächlich in vielen Fällen, auch scheinbar aussichtlosen Fällen, zu befriedigenden Ergebnissen führen. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Benjamin Grunst

Beiträge zum Thema