Geplatzter Reifen auf der Autobahn: Wer haftet?
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Sommerzeit – Ferienzeit. Momentan kann man von Glück reden, wenn man ohne Stau auf der Autobahn entlangdüsen und so richtig Gas geben kann. Fahren doch viele Urlauber mit ihrem Auto bzw. Wohnmobil in die Ferien. Mit dem erhöhten Verkehrsaufkommen steigt aber auch die Unfallgefahr. So platzt z. B. wegen der Hitze oder eines zu geringen bzw. zu hohen Drucks nicht selten ein Reifen und beendet die Urlaubsreise frühzeitig. Doch wer muss haften, wenn ein Verkehrsteilnehmer die Überreste eines geplatzten Reifens auf der Fahrbahn nicht rechtzeitig erkennt, darüberfährt und seinen Wagen beschädigt?
Autofahrer überfährt Reifenteile
Ein Autofahrer war nachts mit seinem Geschäftswagen und einer Geschwindigkeit von 100 – 130 km/h auf einer zweispurigen Autobahn unterwegs, als er auf die linke Fahrbahn lenkte, um einen Lkw zu überholen. Vor ihm befand sich ein weiterer Lkw, dessen linker Reifen plötzlich platzte, nachdem sich die Reifenkarkasse gelöst hatte. Während der Brummifahrer mit dem Sattelschlepper auf den Standstreifen ausscherte, konnte der Autofahrer hinter ihm den Reifenüberresten auf der Fahrbahn nicht mehr ausweichen. Er fuhr darüber und musste ebenfalls auf dem Standstreifen anhalten. Er kam ca. 200 – 300 Meter nach der Unfallstelle hinter dem Lkw zum Stehen.
Als er Schadenersatz von der gegnerischen Versicherung sowie dem Brummifahrer verlangte, wurde der Schaden jedoch nur zu 75 Prozent reguliert. Der Autofahrer habe die Reifenreste nämlich rechtzeitig erkennen können, wenn er mit angemessener Geschwindigkeit gefahren wäre. Im Übrigen sei der Zustand der Reifen und der Beleuchtung vor Beginn der Fahrt vom Fahrer gewissenhaft kontrolliert worden. Der Autofahrer müsse daher in Höhe der Betriebsgefahr mithaften. Der Streit endete vor Gericht.
Lkw-Fahrer und Versicherung haften zu 100 Prozent
Das Amtsgericht (AG) Arnstadt verpflichtete den Brummifahrer und den Versicherer zur Zahlung des noch ausstehenden Schadenersatzes.
Grund für den Unfall war nämlich der geplatzte Reifen des Lkw und die sich daraufhin auf der linken Fahrbahn befindlichen Reifenteile. Die stellten eine erhebliche Gefahrenquelle für den nachfolgenden Verkehr dar.
Kein unabwendbares Ereignis
Zwar kann eine Ersatzpflicht nach § 17 III 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) entfallen, wenn der Unfall unabwendbar war. Das gilt jedoch wiederum nicht, wenn der Vorfall z. B. auf einen Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs zurückzuführen ist. Vorliegend hatte der Lkw-Fahrer die Reifenteile zwecks Beweissicherung zwar nicht aufgehoben, sodass ein Reifendefekt nicht zweifelsfrei angenommen werden konnte. Das Gericht konnte einen Mangel in der Beschaffenheit des Reifens – und damit auch des Lkw – aber auch nicht ausschließen. Damit war der Unfall für den Brummifahrer nicht unabwendbar.
Aber auch der Autofahrer konnte sich nicht auf die Unabwendbarkeit des Unfalls berufen. Ein Idealfahrer hätte nachts nämlich die Geschwindigkeit gedrosselt, um bei Bedarf noch vor einem schwer erkennbaren Gegenstand auf der Fahrbahn anhalten zu können. Wäre der Autofahrer also besonders sorgfältig und vorsichtig gefahren, hätte er den Unfall vermeiden können.
Auch Brummifahrer muss haften
In der Regel haftet der Unfallverursacher als auch dessen Versicherung im Fall eines Unfalls als sog. Gesamtschuldner. Der Geschädigte kann die Leistung also insgesamt zwar nur einmal verlangen, dafür aber wählen, von welchem seiner beiden Schuldner er das Geld einfordert. Nach § 18 I 2 StVG kann eine Haftung des Fahrers jedoch entfallen, wenn er nachweisen kann, dass er den Schaden beim Unfallgegner nicht verursacht hat. Eine Entlastung ist z. B. möglich, wenn er das Fahrzeug vor Fahrtbeginn gründlich durchgecheckt und keine Fehler gefunden hat. Derartiges wurde vorliegend zwar behauptet, jedoch nicht näher nachgewiesen, da der Fahrer zur Gerichtsverhandlung nicht erschien. Damit blieb unklar, ob und inwieweit eine Kontrolle durchgeführt wurde, was zulasten des Fahrers gewertet wurde.
Reifenteile waren schwer zu erkennen
Zuletzt wies das Gericht darauf hin, dass sich der Autofahrer grundsätzlich zwar die Betriebsgefahr seines Wagens zurechnen lassen müsse. Allerdings war vorliegend zu beachten, dass ein Lkw im Gegensatz zu einem Pkw eine größere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellt – die deswegen bereits erhöhte Betriebsgefahr wurde noch einmal aufgrund des geplatzten Reifens erhöht.
Außerdem hat der Autofahrer nicht verkehrswidrig gehandelt, weshalb die Betriebsgefahr seines Pkw hinter der des Lkw vollständig zurücktrat. Er hat insbesondere nicht gegen das Sichtfahrgebot nach § 3 I 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen. Danach muss die Geschwindigkeit stets den Sicht- und Witterungsverhältnissen angepasst werden. Allerdings kann diese Regel nicht für auf der Fahrbahn liegende Gegenstände oder andere Hindernisse gelten, die je nach Sichtverhältnissen besonders schwer zu erkennen sind und mit denen man daher nicht rechnen muss. Das ist z. B. bei Reifen oder Reifenteilen der Fall.
Schließlich ist es gerade bei nächtlichen Fahrten besonders schwer, schwarze Reifen bzw. die noch viel kleineren Reifenteile rechtzeitig zu bemerken. Das Gericht war daher der Ansicht, dass der Autofahrer nicht noch langsamer hätte fahren müssen, als es die Sichtverhältnisse zuließen.
(AG Arnstadt, Urteil v. 17.06.2015, Az.: 22 C 276/14)
(VOI)
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