Gliablastom - Anspruch auf Versorgung mit Avastin trotz arzneimittelrechtlicher Sperrwirkung

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Wiederholt habe ich über die Möglichkeit berichtet, die Versorgung mit Avastin (Bevaczizumab) im Rahmen einstweiligen Rechtschutzes durchzusetzen. Insoweit verweise ich auf meine vorherigen Beiträge.

Das BSG hatte unter dem 29.6.2023 (B 1 KR 35/21 R) bestätigt, dass eine ablehnende Entscheidung der europäischen oder nationalen Arzneimittelzulassungsbehörde nach inhaltlicher Prüfung der vom Hersteller vorgelegten Unterlagen nach § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 bis 6 Arzneimittelgesetz (AMG) oder eine dieser gleichzustellenden negativen Bewertung (Widerruf, Zurücknahme oder Ruhen, vgl. § 3 AMG) eine Sperrwirkung entfaltet. Die EMA hat im November 2009 eine Erweiterung der Avastin-Zulassung auf die Rezidivbehandlung von Glioblastomen abgelehnt, der Antrag wurde sodann vom Hersteller wegen des ablehnenden Berichts nicht weiterverfolgt; im Jahr 2014 wurde der Zulassungsantrag erneut abgelehnt.

Das Sozialgericht Duisburg hat in Kenntnis dieser Entscheidung dennoch dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben. Zwar hat es die oben skizzierte Sperrwirkung bestätigt. 

Diese Sperrwirkung kann überwunden werden, wenn im Nachgang zu der negativen arzneimittelrechtlichen Bewertung neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation – ggf. im Rahmen einer vereinfachten oder bedingten Zulassung – zugelassen werden kann. Diese Erkenntnisse müssen sich aber aus nach dem Abschluss des Zulassungsverfahrens veröffentlichten Studien ergeben, eine nur abweichende Bewertung der schon vorliegenden Unterlagen reicht nicht aus. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Arzneimittelrecht keine Vorkehrungen enthält, die eine den Kriterien des § 1 AMG entsprechende Patientenversorgung auch dann ermöglichen, wenn das zugelassene Arzneimittel sich in weiteren Anwendungsgebieten als therapeutisch nützlich erwiesen hat, der Hersteller aber – insbesondere aus wirtschaftlichen Grün-den – von der Stellung eines Zulassungserweiterungsantrags absieht.

Aufgrund der Komplexität der zeitlich nach der arzneimittelrechtlichen Ablehnung ergangenen Studienlage zu Avastin und (rezidivierenden) Glioblastomen müsse im einstweiligen Rechtsschutzverfahren offenbleiben, ob hinreichende neue Erkenntnisse vorliegen, nach denen arzneimittelrechtlich nach den vorgenannten Zulassungsvoraussetzungen eine fiktive Zulassung/Zulassungserweiterung bejaht werden kann. Jedenfalls kann es bislang nicht ausgeschlossen werden, dass die Voraussetzungen vorliegen (Beschluss des SG Duisburg vom 19.12.2023, S 9 KR 2234/23 ER).

Fazit:

Die Sperrwirkung der Entscheidung des BSG vom 29.6.2023 ist nicht unüberwindbar, da nach 2014 mehrere Studien durchgeführt worden sind, die bestätigen, dass die Gabe von Avastin zumindest das progressionsfreie Überleben (PFS) signifikant verlängern. Dem ablehnenden Bescheid der Krankenkasse, der das Urteil des BSG vom 29.6.2023 zur Begründung heranzieht, lässt sich also erfolgreich mit Klage und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegen treten.


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