Inanspruchnahme von Erben wegen Erstattungsforderungen von Sozialleistungen

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Leider passiert es immer wieder, dass nach dem die Eltern oder andere Angehörige verstorben sind, plötzlich das Jobcenter oder ein anderer Leistungsträger kommt und Geld von Ihnen (den Erben) verlangt. Das BSG hat sich zum Thema Erstattungsforderung gegen die Erben mit Urteil vom 08.02.2023 umfangreich geäußert. Da ich immer wieder von Mandanten auf diese Thematik angesprochen werde, möchte ich Ihnen die Rechtslage gern etwas näher erläutern.

1. Ein Sozialleistungsträger kann den Erben eines Versicherten wegen einer gegen diesen mit gesondertem Bescheid geltend gemachten Erstattungsforderung durch Verwaltungsakt in Anspruch nehmen. 

2. Erfolgt die Vollstreckung gegen den Erben nach dem VwVG ist ein gesonderter Bescheid erforderlich.

3. Sind mehrere Erben vorhanden, hat der Leistungsträger im Rahmen seiner Ermessensausübung fehlerfrei eine Auswahlentscheidung zwischen den Erben zu treffen.

Nach dem Tod fällte die Erstattungsforderung als Verbindlichkeit in den Nachlass des Verstorbenen und geht (automatisch) als Nachlassverbindlichkeit (1967 Absatz 1 BGB) auf die Rechtsnachfolger (Erben) über. Auch eine erstmalige Erstattungsforderung gegen die Erben ist möglich.

Wichtig ist aber: 

Existiert bereits ein bestandskräftiger Erstattungsbescheid gegenüber dem Verstorbenen, ist zur Durchsetzung der Erstattungsforderung nicht stets der Erlass eines weiteren Bescheids gegenüber den Erben erforderlich. Es kommt vielmehr darauf an, in welcher Weise der Leistungsträger eine Forderung realisieren will. Zur Vollstreckung einer Forderung stehen ihm zwei Wege zur Verfügung:

1. Er kann gemäß  § 66 Absatz 4 SGB X in entsprechender Anwendung der vollstreckungsrechtlichen Vorschriften der ZPO vorgehen. Im Vollstreckungsverfahren haben Sie die Möglichkeit spezifische erbrechtliche Einreden, wie die Einrede der Dürftigkeit bzw. Unzulänglichkeit des Nachlasses gemäß § 1990 Absatz 1 BGB geltend zu machen. Dies sollten Sie unbedingt tun, wenn das Erbe gar nicht ausreicht um die Forderung zu begleichen oder aber die Besorgnis besteht.

2. Der Leistungsträger kann aber auch gemäß § 66 Absatz 1 Satz 1 SGB X nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes, dem VwVG, verfahren. Dies ist der Regelfall. Für die Vollstreckung nach landesrechtlichen Vorschriften ist ein gesonderter Bescheid, in dem die Leistungspflicht des Erben als Vollstreckungsschuldner konkretisiert wird, erforderlich! Nach dem Tod des Erblassers kann der Erbe als Selbstschuldner in Anspruch genommen werden. Voraussetzung für eine Vollstreckung ist nach § 3 Absatz 2 a VwVG, dass zuvor ein Leistungsbescheid ergangen ist, durch den der Erbe, gegen den vollstreckt werden soll, zur Leistung aufgefordert worden ist. Durch den Leistungsbescheid wird der Schuldner mit genauer Angabe der Höhe und des Grundes der geschuldeten Leistung unmissverständlich zur Zahlung aufgefordert. Der Erbe kann gegen den an ihn adressierten Bescheid Widerspruch und Klage erheben. Sollte der Bescheid gegenüber dem Verstorbenen bereits bestandkräftig gewesen sein, kann er zwar die Berechtigung der Forderung, nicht mehr erfolgreich angreifen. Er kann aber etwa geltend machen, er sei nicht Erbe geworden oder die Forderung bestehe – aufgrund von Zahlungen weiterer Miterben – nicht mehr oder nicht mehr in der angegebenen Höhe. 

Der Bescheid kann aber auch wegen Ermessensnichtgebrauch rechtswidrig sein und müsste dann aufgehoben werden, da mehrere Erben als Gesamtschuldner für die Nachlassverbindlichkeit haften. In seiner Inanspruchnahme, von wem er wie viel fordert, liegt auch eine Auswahlentscheidung. Der Leistungsträger muss von seinem Ermessen Gebrauch machen! Er kann die volle Leistung von jedem Erben ganz oder zum Teil fordern.  Der Leistungsträger muss jedoch sein Ermessen „entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten!

Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Der Bezeichnung „Ermessen“ ist zwar nicht notwendig, aus der Begründung muss aber ersichtlich sein, dass die Behörde erkannt hat, dass sie einen Ermessensspielraum hat, also eine Ermessensentscheidung zu treffen ist. Wenn der Erbe ermessensrelevante Umstände in Bezug auf die Auswahlentscheidung  vorträgt, bedarf es einer Auseinandersetzung hiermit. Aus dem Bescheid muss dann deutlich werden, dass die geltend gemachten Gesichtspunkte von der Behörde zur Kenntnis genommen und in die Erwägungen einbezogen wurden. Einwände eines Schuldners gegen seine Auswahl können dabei nur durchgreifen, wenn sie auf Umständen beruhen, die gerade ihn selbst betreffen. Es reicht nicht aus, wenn, wenn der Erbe einwendet, dass es andere Erben gebe, die ebenfalls oder an seiner Stelle heranzuziehen seien. Eine fehlende Ermessensausübung führt zur Aufhebung des Bescheids.

Vgl. BSG Urt. v. 8.2.2023 – B 5 R 2/22 R, BeckRS 2023, 13777

Ich hoffe ich konnten Ihnen dieses komplizierte Thema etwas näher erläutert und wünsche Ihnen alles Gute.



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