Insolvente Genossenschaften, keine Rückabwicklung als Insolvenzforderung

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Erfolgte der Beitritt zu einer Genossenschaft aufgrund vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung oder arglistiger Täuschung, so erwächst daraus für den Genossen kein (sog. großer) Schadensersatzanspruch, der auf Rückabwicklung der Genossenschaftsbeteiligung gerichtet wäre. Dies liegt im Ergebnis an den Grundsätzen zum fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt, die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung fest etabliert sind und vor mehr als 100 Jahren gerade in Ansehung einer Genossenschaft entwickelt wurden. Sie bewirken, dass man sich durch rechtsgestaltende Willenserklärung nur mit Wirkung für die Zukunft von einer Gesellschaft lösen kann, wobei grundsätzlich eine gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung stattfinden muss zur Berechnung eines etwaigen, dann auszuzahlenden Auseinandersetzungsguthabens (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 16.03.2009 – II ZR 138/08 m.w.N.). Ein großer Schadensersatzanspruch kann also nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden (vgl. zuletzt OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.02.2024 – 14 U 79/22 m.w.N.).

Die Grundsätze zum fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt gelten auch im Fall der Anfechtung und des wirksamen Widerrufs und auch gegenüber Verbrauchern. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass eine Anlagegenossenschaft (bei welcher der Beitritt überwiegend zum Zweck der Kapitalanlage erfolgt bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise, vgl. BGH, Urt. v. 01.03.2011 – II ZR 90/09, Gründe II. 1. d)) auch verpflichtet ist, eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu erteilen für den Fall, dass es sich um einen Beitritt eines Verbrauchers im Wegen des Fernabsatzes oder außerhalb von Geschäftsräumen handelt.

Ob die Grundsätze zum fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt jeweils Anwendung finden, hängt davon ab, ob der Anleger wirksam beigetreten ist. Dafür gilt § 15 Abs. 1 GenG. Die Beitrittserklärung muss schriftlich, also eigenhändig durch Namensunterschrift erfolgen, § 126 BGB. Andernfalls liegt ein wirksamer Beitritt nicht vor. Hinsichtlich der Rückzahlung der geleisteten Beträge kommt dann ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 BGB in Betracht. Dieser stellt genaugenommen jedoch keine „Rückabwicklung“ einer Genossenschaftsbeteiligung dar.

Bei Beendigung der (wirksamen oder durch Kündigung bewirkten fehlerhaften) Beteiligung an einer Genossenschaft ist für die Berechnung eines etwaigen Auseinandersetzungsguthabens hingegen § 73 GenG einschlägig. Dort heißt es „Geschäftsguthaben“. Der Anspruch entsteht dem Grunde nach mit Beitritt und ist aufschiebend bedingt durch das Ausscheiden. Es ist auch möglich, dass daraus eine Pflicht des Genossen entsteht, ein etwaiges Minus auszugleichen in den Grenzen einer (durch die Satzung abdingbaren) Nachschusspflicht gemäß § 105 GenG. Der Anspruch kann erst geltend gemacht werden, wenn dafür die maßgebliche Bilanz vorliegt. Zur Ermittlung des Abfindungsanspruchs steht dem Ausgeschiedenen kein umfassendes Einsichtsrecht aus §§ 810, 242 BGB zu.

Es mag zwar bei vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung oder sonstigem Fehlverhalten vor Beitritt diskutiert werden, ob ein ergänzender Schadensersatzanspruch in Höhe der Differenz zwischen Abfindungsanspruch und gezahlten Einlagen in Betracht kommt. Dies hat der BGH zu mehrgliedrigen stillen Gesellschaften in Abgrenzung zur zweigliedrigen entschieden (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.2013 – II ZR 383/12). Jedoch würde in der Folge gelten, dass ein solcher Anspruch solange nicht durchgesetzt werden könnte, wie er die Ansprüche anderer Ausgeschiedener und Gesellschafter gefährden würde. 

Eine besondere Fallkonstellation ist diejenige, dass beim Beitritt ausnahmsweise eine Pflicht zur Veröffentlichung eines Vermögensanlagen-Verkaufsprospekts bestand. Beitritte zu Anlagegenossenschaften sind grundsätzlich Unternehmensbeteiligungen im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 VermAnlG, für welche nur dann eine Prospektpflicht besteht, wenn für den Vertrieb der Anteile eine erfolgsabhängige Vergütung gezahlt wird, §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 6 ff. VermAnlG. Fehlt ein solcher Prospekt oder ist er fehlerhaft, so kommen Erstattungsansprüche gemäß §§ 20, 21 VermAnlG in Betracht. Die dortigen materiellen Ausschlussfristen sind zu beachten. Nach Ansicht des OLG Hamm sind diese Erstattungsansprüche unabhängig von den Grundsätzen zur fehlerhaften Gesellschaft (OLG Hamm, Urt. v. 19.07.2021 – 8 U 184/20). Demzufolge könnten Sie auch als Insolvenzforderung angemeldet werden.

Daniel Blazek

BEMK Rechtsanwälte PartGmbB

07.03.2024


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