Insolvenz wegen Corona: Eine Insolvenzverschleppung ist weiter strafbar, § 15a InsO

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In den letzten 50 Jahren hat kein Thema die deutsche Gesellschaft so sehr bewegt wie die aktuelle „Corona-Krise“. 

Ihre Auswirkungen sind überall zu spüren, sie reichen von der Quasi-Einstellung des globalen Luftverkehrs bis hinein in die deutsche Provinz: Kleinere und mittelständische Unternehmen sehen sich von heute auf morgen Zwangsschließungen gegenüber, Kunden und damit Umsatz bleiben aus, es droht das wirtschaftliche Aus. 

Die Bundesregierung versucht offenbar ihr Möglichstes, (auch) die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise so gering wie möglich zu halten, es wird aber zweifelsohne nicht gelingen, jedes Unternehmen vor der „Pleite“ zu retten. Worauf Sie aktuell achten müssen, um sich im Falle einer Insolvenz nicht auch noch strafbar zu machen, soll Thema dieses Rechtstipps sein.

I. Wann muss man einen Insolvenzantrag stellen?

Nach § 15a InsO macht sich strafbar, wer als Mitglied des Vertretungsorgans einer juristischen Person oder als ihr Abwickler im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der juristischen Person nicht ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt. Eine solche Insolvenzverschleppung kann mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden.

Eine sog. Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 Abs. 2 InsO dann vor, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die Rechtsprechung geht im Grundsatz davon aus, dass schon dann eine Zahlungsunfähigkeit anzunehmen ist, wenn der Schuldner mehr als 10 % seiner Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann.

Praxistipp: Das nunmehr in Kraft getretene Gesetz der Bundesregierung enthält auch Regelungen dazu, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen Zahlungen auf bestimmte Forderungen zurückhalten dürfen. Diese Sonderregelungen müssen bei der Frage, ob überhaupt eine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, immer besonders geprüft werden.

Eine sog. Überschuldung ist nach § 19 Abs. 2 InsO anzunehmen, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, dass die Fortführung des Unternehmens nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.

II. Wen trifft die Insolvenzantragspflicht?

Die strafbewährte Insolvenzverschleppung trifft vor allem die Vertretungsorgane juristischer Personen, also etwa den oder die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft. Selbstständige oder Freiberufler müssen daher keinen Insolvenzantrag stellen, können dies aber grundsätzlich tun.

III. Unter welchen Voraussetzungen kann ich trotz Zahlungsunfähigkeit von der Stellung eines Insolvenzantrages absehen?

Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme der Regelung zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist, dass der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie beruht.

Nach § 1 CoVInsAG ist die Pflicht zur Insolvenzantragsstellung nach § 15a InsO daher nur bis zum 30. September 2020 ausgesetzt, wenn

  • der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit eine Folge der Corona-Pandemie ist und
  • Aussicht darauf besteht, die bestehende Zahlungsunfähigkeit beseitigen zu können.

1. Insolvenz aufgrund der Corona-Pandemie 

Während aus der zunächst zu diesen Fragen veröffentlichten Pressemitteilung des Justizministeriums noch recht deutlich wurde, dass die Bundesregierung verhindern möchte, dass die Corona-Krise zum „Freifahrtsschein“ für wirtschaftlich gefährdete Unternehmen wird, trotz Insolvenzreife keinen Insolvenzantrag zu stellen, ist das Gesetz selbst nun sehr viel liberaler formuliert. 

Es enthält gleich eine doppelte Vermutungsregelung zugunsten des Schuldners: War dieser zum 31. Dezember 2019 noch nicht zahlungsunfähig, so wird nicht nur vermutet, dass die Zahlungsunfähigkeit auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht, sondern auch, dass eine Aussicht besteht, diese zu beseitigen. 

Praxistipp: Der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens zum 30. Dezember 2019 kommt damit maßgebliche Bedeutung zu. Stand das Unternehmen zum damaligen Zeitpunkt wirtschaftlich auf sicheren Füßen, so sollten Sie dies beweissicher festhalten.

Dass die Strafverfolgungsbehörden die Vermutungsregelung bei einem Unternehmen, das im letzten Jahr keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten hatte, wird widerlegen können, ist in Anbetracht der globalen wie lokalen Auswirkungen, die die Pandemie bisher hatte, aktuell mehr als unwahrscheinlich.

2. Aussicht auf Sanierung

Das Gesetz vermutet bei wirtschaftlicher Stabilität zum Stichtag 31. Dezember 2019 außerdem, dass eine Aussicht auf Sanierung besteht. Hierdurch wird offenbar versucht, die Verunsicherung vieler Unternehmer über ihre weitere Zukunft nicht noch zu vertiefen. 

Anders ist es schließlich nicht zu erklären, dass man die Frage, ob Aussicht darauf besteht, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, an die wirtschaftliche Situation des Unternehmens zum Stichtag 31. Dezember 2019 knüpft. Mit dieser Regelung geht letztlich die hoffnungsvolle Botschaft einher, dass man in absehbarer Zeit wieder in eine Normalität zurückkehren wird und dem Unternehmen daher zutraut, an die wirtschaftliche Lage aus dem Vorjahr anzuknüpfen.

Praxistipp: Es ist aus Sicht der Strafverteidigung höchst fraglich, ob sich die Staatsanwaltschaften und Gerichte dieser Prognose anschließen werden. Schon jetzt gehen Ökonomen davon aus, dass sehr viele Unternehmen die aktuelle Krise nicht überstehen werden und schon jetzt dürfte es Unternehmer geben, die wissen, dass sie keine Chance haben werden, die Insolvenz abzuwenden.

Je länger sich diese Zahlungsunfähigkeit fortsetzt, ohne dass ein Insolvenzantrag gestellt wird, umso weniger großzügig werden daher voraussichtlich auch die Strafverfolgungsbehörden die Frage nach der Sanierungsaussicht beantworten. Man sollte sich deshalb keinesfalls dazu hinreißen lassen, die Frist bis zum 30. September 2020 auszureizen, wenn schon deutlich früher erkennbar wird, dass keine Aussicht auf Rückkehr in die Zahlungsfähigkeit besteht.

3. Die „Corona-Krise“ ist kein Blankoschein, keinen Insolvenzantrag zu stellen

Schon vor der "Corona-Krise" wurde in Verfahren wegen Insolvenzverschleppung häufig diskutiert, was der Beschuldigte, der erst kurz vor Ablauf der 3-Wochen-Frist zur Insolvenzantragsstellung einen solchen Antrag verfasst hatte, getan hat, um eine Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit zu ermöglichen. 

Der unter 2. formulierte Praxistipp darf daher nicht missverstanden werden. Er gibt lediglich wieder, wie die Staatsanwaltschaften bisher mit vergleichbaren Fällen umgegangen sind und macht deutlich, dass die Corona-Krise kein tauglicher Vorwand sein wird, offenkundig notwenidge Insolvenzanträge nicht zu stellen.

Die Frage nach der Sanierungsaussicht ist überdies (gerade) auch in Corona-Zeiten berechtigt, denn das Insolvenzrecht hat eben auch den Sinn und Zweck, die Gläubiger zu schützen. Das mag unpopulär sein, gerade das macht es jedoch erforderlich, diesen Gesetzeszweck nicht vollständig aus den Augen zu verlieren.

IV. Keine Aussetzung der Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen

Als Wirtschaftsstrafverteidiger erleben wir immer wieder, dass in Zahlungsschwierigkeiten geratene Unternehmen zunächst die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen einstellen, um sich so Liquidität zu verschaffen

Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Weg von Manchem auch in den kommenden Monaten eingeschlagen werden wird, ist daher hoch. Tatsächlich ist das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen aber auch in Krisenzeiten mit Strafe bedroht, § 266a StGB. Die Pflicht zur Zahlung dieser Beiträge ist nicht, auch nicht temporär, ausgesetzt.

Praxistipp: Grundsätzlich können Sie eine Stundung der Sozialversicherungsbeiträge beantragen. Der GKV-Spitzenverband hat nun speziell zum „Coronavirus“ ein Informationsblatt mit Hinweisen zur Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen veröffentlicht, das über das Internet frei abrufbar ist.

Um Sozialversicherungsbeiträge gestundet zu bekommen, müssen Sie in jedem Fall einen Antrag stellen. Zahlen Sie die Sozialversicherungsbeiträge einfach nicht, ohne dass sie gestundet waren, machen Sie sich strafbar. Dokumentieren Sie diese Antragsstellung daher auch in den eigenen Unterlagen.

V. Fazit

Die aktuelle Situation ist gesellschafts-, sozial- und wirtschaftspolitisch die größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg. Nicht wenige Experten meinen sogar, diese Ausnahmesituation könne sich über Monate hinziehen. 

Das wird, auch darin ist man sich weitgehend einig, Millionen Menschen ihre wirtschaftliche Existenz kosten. So bitter dieser Rat daher auch sein mag, so essentiell ist er, um weiteren Schaden in Form eines Strafverfahrens zu vermeiden: Gerät Ihr Unternehmen aufgrund der Corona-Krise in wirtschaftliche Schwierigkeiten und ist eine Besserung auf absehbarer Zeit nicht in Sicht, stellen Sie sicherheitshalber einen Insolvenzantrag. Nur so vermeiden Sie, zusätzlich zum Verlust Ihres Unternehmens, auch noch mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe belegt zu werden.


Autor:

Rechtsanwalt Dr. Pascal Johann; seit 2013 Kommentator der Vermögensabschöpfungsvorschriften der §§ 111b ff. StPO im Löwe-Rosenberg Großkommentar zur Strafprozessordnung; Promotion zum Dr. iur. im Jahr 2018 zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen des neuen Vermögensabschöpfungsrechts“; deutschlandweite Vertretung und Vortragstätigkeit zu Fragen des Vermögensabschöpfungsrechts.

Foto(s): Dr. Johann


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