Ist die Bestrafung wegen Kinderpornografie nach § 184b StGB verfassungswidrig?

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Das Bundesverfassungsgericht muss sich aufgrund eines Vorlagebeschlusses eines Richters des Münchener Amtsgerichts mit der Verfassungsmäßigkeit des § 184bStGB auseinandersetzen.


§ 184b StGB stellt die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz von kinderpornografischen Inhalten unter Strafe. Die Person, die kinderpornografische Inhalte verbreitet, erwirbt oder besitzt wird mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.


Worum geht es bei der Frage Verfassungswidrigkeit?


Ein Münchner Amtsgerichtsrichter hat eine konkrete Normkontrolle gemäß Art. 100 Abs.1 GG beim Bundesverfassungsgericht erhoben (Beschl. v. 17.06.2022, Az. 853 Ls 467 Js 181486/21; beim BVerfG Az. 2 BvL 11/22). Durch die angeregte Normkontrolle wird das BVerfG aufgefordert sich mit der Verfassungsmäßigkeit des neugefassten § 184b StGB zu befassen. Anlass des Normkontrollverfahrens war ein Strafverfahren gegen eine Mutter wegen des Besitzes und Verbreitung kinderpornografischer Inhalte. Die Mutter hatte in einem privaten Schülerchat ihrer achtjährigen Tochter ein Foto der Vulva ihrer Tochter gefunden, welche diese an eine Mitschülerin gesendet hatte. Zur Warnung anderer Eltern hatte sie das Foto in einen Whats-App-Gruppenchat der Eltern weitergeleitet.

Der Mutter droht aufgrund der Weiterleitung des Bildes eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe.



Wieso wurde § 184b StGB zur Kinderpornografie neugefasst? 


Die Neufassung des § 184b StGB soll den Schutz der Kinder vor sexueller Gewalt verstärken und die Möglichkeiten der Bekämpfung sexueller Gewalt von Kindern intensivieren. Eine erste Änderung des § 184b StGB ist am 01.01.2021 in Kraft getreten. Die bis heute geltende Neufassung des § 184b StGB ist am 01.07.2021 in Kraft getreten.


Was ist der Unterschied zwischen der Alten- und Neufassung zum Besitz von Kinderpornografie des § 184b StGB? 


Wesentlicher Unterschied zwischen der Alt- und Neufassung des § 184b StGB ist die Erhöhung der Mindest- und Höchststrafe. Die Mindeststrafe wurde von drei Monaten auf ein Jahr Freiheitsstrafe erhöht. Auch die Höchststrafe wurde von fünf auf zehn Jahre Freiheitsstrafe angehoben. Durch die Anhebung der Mindeststrafe auf ein Jahr Freiheitsstrafe ist das Delikt zu einem Verbrechenstatbestand hochgestuft worden. Hierdurch entfallen die Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung gemäß §§ 153, 153a StPO, die Durchführung eines Strafbefehlsverfahren und Aussetzung der Strafe zur Bewährung wird erschwert. Eine Eintragung ins Führungszeugnis des Angeklagten ist somit unumgänglich.



Wurden die vom Bundestag geplanten Änderungen des § 184b StGB bereits vor seiner neugefassten Einführung kritisiert?  


Ja.


Viele Strafrechtler, Staatsanwälte und Richter haben ihr Unmut über den geplanten höheren Strafrahmen und Ausweitung des Tatbestandes bereits vor der Einführung des neuen § 184b StGB kundgetan. Insbesondere das Fehlen eines minder schweren Falls wurde moniert.


Zum einen wurde bereits vor der Neueinführung des § 184b StGB befürchtet, dass durch die Anhebung des Mindeststrafrahmens keine ausreichende Differenzierung mehr zwischen „harmlosen“, „normalen“ und „schweren“ Fällen gemacht werden könnte. Beispielsweise würde es nach der Neufassung keinen Unterschied mehr machen, ob es sich bei der Verbreitung, dem Erwerb oder dem Besitz von kinderpornografischen Materialen, um Posingbilder oder Videoaufnahmen mit schweren Vergewaltigungsszenen handelt. Es stellt ohne Berücksichtigung der Schwere der Tat ein Verbrechenstatbestand mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr dar. Dies wurde bereits vor Inkrafttreten der Neufassung als nicht sachgerecht angesehen.

Zum anderen wurde angeführt, dass die Aufnahme eines minder schweren Falles in die Neufassung des § 184b StGB im wohlerwogenen Interesse des Kindes sein kann. Durch die Aufnahme eines minder schweren Falles bleibe die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung gemäß §§ 153, 153a StPO, die Möglichkeit des Strafbefehlsverfahrens sowie die Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe erhalten. Beispielsweise kann durch die Möglichkeit der Durchführung eines Strafbefehlsverfahrens, welches ohne mündliche Verhandlung auskommt, die Retraumatisierung des Kindes verhindert werden.  Eine solche Retraumatisierung kann jedoch durch die Durchführung einer Hauptverhandlung eintreten, welche nach der geplanten Neufassung unumgänglich wäre.  




Blieb die Kritik auch nach Einführung des neugefassten § 184b StGB bestehen?


Ja, Strafrechtler, Richter und Staatsanwälte halten an ihrer bereits zuvor geäußerten Kritik fest.


Zudem werden verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf die Neufassung des § 184b StGB geäußert.


Welche verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen in Bezug auf die Neufassung des § 184b StGB?


Die Neufassung des § 184b StGB soll ein Verstoß gegen das Übermaßverbot, gegen das Schuldprinzip sowie die Berufsfreiheit des Betroffenen darstellen.



Wieso könnte durch den neugefassten § 184b StGB ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorliegen?


Das Übermaßverbot ist Teil des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Es soll den Einzelnen vor übermäßigen Eingriffen des Gesetzgebers in den Schutzbereich seiner Grundrechte schützen und zur erfolgreich abwehren dieser Eingriffe dienen.


Die geänderte Fassung des § 184b StGB kann einen Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Beschuldigten gemäß Art. 2 Abs.2 GG begründen. Ein solcher Eingriff kann sich aus der fehlenden Regelung zu einem minder schweren Fall im neugefassten § 184b StGB ergeben. Aufgrund des Fehlens einer solchen Regelung kann es bei unerheblichen sowie harmlosen Fällen zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen kommen.


Deutlich wird dies an folgendem Beispielfall. Eine 13-jährige Person veranstaltet eine Geburtstagsfeier, um in ihren 14ten Geburtstag rein zu feiern. Vor Mitternacht küsst das Geburtstagskind eine 22-jährige Person. Dieser Kuss wird fotografisch festgehalten. Im Folgenden werden die beiden ein Paar. Alle sexuellen Handlungen erfolgen einvernehmlich. Die fotografierende Person des Kusses hat dennoch Kinderpornografie hergestellt und besitzt diese nun in strafbarerweise. Führt man diesen Sachverhalt lebensnah weiter aus und stellt die fotografierende Person das Bild in die Whats-App-Geburtstagsgruppe, wäre auch das Tatbestandsmerkmal des Verbreitens erfüllt. Löschen die Gruppenmitglieder das Kussbild nicht umgehend machen sie sich ebenfalls strafbar. Die fotografierende Person als auch die Whats-App Empfänger hätten sich gemäß § 184b Abs.3 StGB strafbar gemacht und wären mit einem Jahr Freiheitsstrafe zu bestrafen.

Dies führt zu nicht sachgerechten Ergebnissen und kann vom Gesetzgeber nicht gewollt sein.


Zudem sei verkannt worden, dass neben der Strafe auch die Durchführung eines Strafverfahrens einschneidende Wirkung für den Beschuldigten haben kann. Beispielsweise kann die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten von seinem sozialen Umfeld wahrgenommen werden. Dies kann zu einer Stigmatisierung und Vorverurteilung des Beschuldigten führen. Eine solche kann nur schwer auch nach einer Verfahrenseinstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts aus der Welt geschafft werden. Besonders einschneidend für den Beschuldigten ist die Überprüfung sämtlicher Speichermedien. Hierdurch wird dem Beschuldigten sämtliche Verbindungsmöglichkeiten im Bereich der sozialen Medien genommen. Allein durch die Überprüfung sämtlicher Speichermedien wird von einer Verfahrensdauer von mindestens einem Jahr ausgegangen.

Weiter werde nicht berücksichtigt, dass der zuvor geltende Strafrahmen der alten Fassung des § 184b StGB ebenfalls einen Abschreckungseffekt für die Täter gehabt habe.

Ferner kann die Anhebung des Mindeststrafmaßes auf eine einjährige Freiheitsstrafe zur Vornahme intensiverer Taten führen. Dem Täter könnte aufgrund des hohen Strafrahmens „egal sein“, ob er vereinzelt kinderpornografische Daten herunterlädt und diese konsumiert oder diese in großen Mengen herunterlädt.

Zudem wird kritisiert, dass die Ausnahmen, die eine Strafbarkeit entfallen lassen, zu eng gefasst sind. Gemäß § 184b Abs. 5 StGB entfällt eine Strafbarkeit wegen § 184b StGB nur bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben oder dienstlicher und beruflicher Pflicht zur Verbreitung, zum Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte.

Ebenfalls wurde bei der Einführung des neugefasst § 184b StGB nicht berücksichtigt, dass selbst Belästigungsopfer sich wegen zu langsamer Löschung von kinderpornografischen Bildern strafbar machen. Auch ihnen droht mangels Einführung eines minder schweren Falls eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe. Ebenso können Eltern betroffen sein, die Nacktbilder ihrer eigenen Kinder auf ihrem Handy gespeichert haben.


Wieso könnte die Neufassung des § 184b StGB ein Verstoß gegen das Schuldprinzip darstellen?


Das Schuldprinzip, welches sich aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG ergibt, besagt, dass niemand für eine Tat bestraft werden darf, wenn ihn keine Schuld trifft (nulla poena sine culpa).


Der neugefasste § 184b StGB kann mangels Regelung eines minder schweren Falles nicht geeignet sein, um angemessen auf unterschiedliche Tatintensitäten einzugehen. Eine Differenzierung zwischen „harmlosen“, „normalen“ und „krassen“ Fällen ist nicht möglich. Demnach kann vom Gericht keine angemessene und schuldentsprechende Entscheidung getroffen werden. Das Fehlen eines minder schweren Falls ist besonders im Hinblick auf andere Normen mit gleichem Strafrahmen auffällig. § 51 Abs.1 WaffG hat den gleichen Strafrahmen wie § 184b StGB n.F. und enthält eine Regelung über einen minder schweren Fall. Wieso der Gesetzgeber im Fall des § 184b StGB n.F von der Möglichkeit einer Reglung über einen minder schweren Fall keinen Gebrauch gemacht hat bleibt offen.  Ebenfalls werden die sozialen Folgen des Strafverfahrens für den Beschuldigten werden nicht berücksichtigt.


Wieso könnte die Neufassung des § 184b StGB ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit darstellen? 



Die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Freiheit der Berufswahl sowie Berufsausübung. Beruf ist hiernach jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Erhaltung einer Lebengrundlage dient bzw. hierzu beiträgt.


Aufgrund der Erhöhung des Mindeststrafmaßes auf ein Jahr Freiheitsstrafe ist die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung gemäß §§ 153, 153a StPO entfallen. Hierdurch ist eine Eintragung in das polizeiliche Führungszeugnis unumgänglich geworden.

Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung des Angeklagten muss eine Einwirkung auf seine berufliche Existenz abgemildert werden. Wird ein Beamter wegen der Verbreitung, dem Erwerb oder dem Besitz kinderpornografischer Inhalte rechtskräftig verurteilt, droht ihm gemäß § 41 Abs.1 Nr. 1 BGG der Verlust der Beamtenstellung. Diese extreme Auswirkung könnte durch die Einführung eines minder schweren Falles reguliert werden.




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