Sind Bereitstellungszinsen bei Nichtabruf des Darlehens zulässig?

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In Zeiten anhaltender Niedrigzinsen versuchen Banken und institutionelle Kreditgeber, vermehrt neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gerade durch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen während der Corona-Pandemie kam es bei vielen Bauprojekten zu Verzögerungen. Eine lukratives Geschäftsmodell der Banken stellen dabei sog. Bereitstellungszinsen dar. Im Zusammenhang mit dem Hausbau bzw. Erwerb einer Immobilie erheben Banken für den Nichtabruf des vereinbarten Darlehens nach einer bestimmten vertraglich festgelegten Dauer (in der Regel 12 Monate) Bereitstellungszinsen zwischen 3 % und 4,5 % pro Jahr. Der nachfolgende Beitrag erläutert die rechtlichen Einwände gegen diese Praxis. 

Gegenseitige Pflichten beim Darlehensvertrag

§ 488 Abs. 1 BGB bestimmt für Gelddarlehen die Hauptpflichten von Darlehensgeber und Darlehensnehmer wie folgt:

„Durch den Darlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen.“

Bereits das BGB bestimmt als Hauptleistungspflicht der Bank, dem Kunden einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Somit hat sich die Bank im Zeitpunkt des Vertragsschlusses rechtlich verbindlich verpflichtet, dem Kunden die vereinbarte Darlehenshöhe zur Verfügung zu stellen. 

Für die Bereitstellung des Darlehens erhält die Bank vom Kunden als Gegenleistung eigentlich bereits Zinsen in der jeweils im Vertrag vereinbarten Höhe. In Anbetracht der gegenseitigen Hauptleistungspflichten von Darlehensgeber und Darlehensnehmer stellt sich die Frage, für welche konkrete Leistung die Bank über den vereinbarten Darlehenszins hinaus Bereitstellungszinsen vom Kunden verlangen kann.

Eine typische Klausel in Darlehensverträgen zu Bereitstellungszinsen lautet zum Beispiel:

„Bereitstellungszinsen

0,30 Prozent monatlich ab 01.01.2019 auf den zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgezahlten Nettodarlehensbetrag, fällig am letzten Tag des Monats nachträglich. Die Belastung erfolgt jeweiligen Fälligkeitstermin.“

Nichtabruf des Darlehens beim Hausbau oder Hauskauf

Insbesondere im Zusammenhang mit dem Hausbau bzw. Erwerb einer Immobilie wird das Darlehen regelmäßig von der Erfüllung bestimmter Nachweise (z. B. der Vorlage des notariellen Kaufvertrags) abhängig gemacht, sodass das Darlehen nach bestimmten Bauabschnitten und den in diesem Zusammenhang geforderten Nachweisen von der Bank nur in einzelnen Teilbeträgen ausbezahlt wird. 

Typischerweise lautet eine derartige Klausel wie folgt:

„Auszahlung

Der Darlehensgeber zahlt das Darlehen auf schriftlichen Abruf aus, sobald die folgenden Unterlagen eingereicht bzw. die Auflagen erfüllt sind:

  • Postident
  • notarieller (Grundstücks-) Kaufvertrag (erhalten Sie bei Ihrem Notariat)

(...)“

Gerade beim Neubau von Wohneigentum kann es zu erheblichen Verzögerungen kommen, auf die der Bauherr oder Käufer selbst oftmals gar keinen Einfluss hat (so z. B. bei der Anfechtung der Baugenehmigung durch einen Nachbarn und der Verfügung eines Baustopps oder der Insolvenz eines beteiligten Bauunternehmens). 

Je nach vertraglich bestimmtem Zeitraum kann eine solche Verzögerung - gerade in Zeiten von Corona und den damit zusammenhängenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft -  relativ schnell dazu führen, dass der Darlehensnehmer neben den vereinbarten Zinsleistungen zusätzlich Bereitstellungszinsen in erheblichem Umfang zahlen soll.

BGH hält Bereitstellungsprovision gegenüber Verbrauchern "in der Regel" für zulässig

Der Bundesgerichtshof am 24.03.2020 bekräftigt, dass die klauselmäßige Vereinbarung einer Bereitstellungsprovision in einem Verbraucherdarlehensvertrag in aller Regel nicht zu beanstanden ist. Eine solche Klausel sei als Preisabrede einzustufen und somit der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach §§ 307 bis 309 BGB entzogen. Es gehe hierbei nämlich um eine von dem Darlehensgeber erbrachte Sonderleistung. Diese Sonderleistung bestehe in der von Darlehensgeber übernommenen Verpflichtung, dem Darlehensnehmer das Darlehen nach Abschluss des Darlehensvertrages für einen bestimmten Zeitraum (Ziehungsperiode) auf Abruf bereit zu halten (BGH,  Beschluss vom 24.03.2020, Az.: XI ZR 516/18).

Entscheidend ist hierbei, dass der BGH die Zulässigkeit "in der Regel" nicht beanstandet. Er sieht in der dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Klausel 

"Bereitstellungsprovision von 0,25% pro Monat auf den ab [einzufügendes Datum] nicht zur Auszahlung kommenden Betrag bis zur vollen Auszahlung, jeweils fällig mit den Zinsen."

eine sog. Preisabrede:

"Die Klausel ist als Preisabrede gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach §§ 307 bis 309 BGB entzogen."

Rechtscharakter der Klausel zu Bereitstellungszinsen ist durch Auslegung zu ermitteln

 Ob eine Preisabrede vorliegt, sei in jedem Einzelfall durch das Gericht im Wege der Auslegung zur ermittlen, so der BGH in den Entscheidungsgründen:

"Hiervon ausgehend hat das Berufungsgericht die Klausel zutreffend als Preisabrede qualifiziert. Denn sie bepreist eine von der Beklagten erbrachte Sonderleistung. Diese besteht in der von der Beklagten übernommenen Verpflichtung, dem Darlehensnehmer den Nettodarlehensbetrag nach Abschluss des Darlehensvertrages für einen vereinbarten Zeitraum, die sogenannte Ziehungsperiode, auf Abruf bereit zu halten (...)  Zu einer solchen Vorhaltung des Kapitals bis zum Abruf durch den Darlehensnehmer ist die Beklagte auf der Grundlage der von Gesetzes wegen bestehenden darlehensvertraglichen Pflichten aus § 488 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht verpflichtet. Ohne die angegriffene Klausel wäre die Beklagte vielmehr berechtigt, den Nettodarlehensbetrag gemäß § 271 Abs. 1 BGB sofort an den Darlehensnehmer auszuzahlen (...) und den für die Kapitalüberlassung geschuldeten Zins zu beanspruchen. Der Darlehensnehmer ist zur Abnahme der Darlehensvaluta - anders beim Überziehungskredit - verpflichtet (...) Die gesetzliche Ausgestaltung des Darlehensvertrags als Konsensualvertrag in § 488 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 252) rechtfertigt danach - entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde - keine Aufgabe der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (...)". 

BGH hat bislang nicht über die zulässige Höhe von Bereitstellungszinsen entschieden

Die Entscheidung des BGH zeigt, dass Bereitstellungszinsen als vertragliche Sonderleistung als Preisabrede ausgelegt werden können. Ob die im Einzelfall mit dem Darlehensnehmer vereinbarte Höhe der Bereitstellungszinsen darüber hinaus rechtmäßig ist, hat der BGH bislang offengelassen. 


Tatbestand des Wuchers und Verstoß gegen Treu und Glauben

Betroffene sollten von einem spezialisierten Rechtsanwalt prüfen lassen, ob die vereinbarten Bereitstellungszinsen in ihrer Höhe nicht eine deutlich überhöhte Gegenleistung unter Ausnutzung einer Schwächesituation des Darlehensnehmers darstellen. Denn der Umstand, dass heutzutage kein Immobiliendarlehensvertrag mehr ohne entsprechende Klauseln zu Bereitstellungszinsen angeboten wird zeigt, dass die Banken die im Rahmen von Bauvorhaben nicht unwahrscheinlichen Verzögerungen - gerade in Zeiten von Corona und den damit zusammenhängenden massiven Einschränkungen - bewusst als Geschäftsmodell ausnutzen. Wucher ist ein Unterfall des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts. Ob in Zeiten des kostenlosen Geldleihens eine derartige Bepreisung des Bereithaltens der Darlehenssumme gerechtfertigt erscheint, muss noch durch die Instanzgerichte beurteilt werden. 

Fazit: Zulässigkeit der Höhe von Bereitstellungszinsen vom Fachmann prüfen lassen

Nicht selten müssen Betroffene durch Bereitstellungszinsen mehrere 1000 € zusätzlich zu den bereits bestehenden Zins- und Tilgungsleistungen aufbringen. Betroffenen ist deswegen anzuraten, die Erfolgsaussichten der Rückforderung der erhobenen Bereitstellungszinsen von einem in diesem Bereich spezialisierten Rechtsanwalt prüfen lassen. 

Rechtsanwalt Markus Mehlig ist im Schwerpunkt Bankrecht tätig. Er vertritt bundesweit gerichtlich sowie außergerichtlich eine Vielzahl betroffener Darlehensnehmer bei der Rückforderung von Bereitstellungszinsen. Gerne steht er auch Ihnen in einem kostenlosen Erstgespräch zur Verfügung.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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