Ist lange Standzeit eines Gebrauchtwagens zwischen Herstellung und Erstzulassung ein Sachmangel?

  • 3 Minuten Lesezeit

Der Gebrauchtwagenmarkt boomt. Potentielle Autokäufer überlegen immer mehr, ob sie einen Neuwagen erwerben oder sich aber für einen Jahreswagen oder einen um einiges älteren Gebrauchtwagen interessieren.

In diesem Zusammenhang ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29.06.2016 (VIII ZR 191I/15) von Interesse. In dem zu Grunde liegenden Verfahren hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage zu befassen, ob ein 2 Jahre und 4 Monate nach seiner Erstzulassung verkaufter Gebrauchtwagen schon allein deshalb mangelhaft ist, weil das Fahrzeug bereits vor seiner Erstzulassung, also zwischen Herstellung und Erstzulassung eine Standzeit von mehr als 12 Monaten aufweist.

Im vom BGH entschiedenen Fall kaufte der Kläger im Juni 2012 bei einem Kfz-Händler einen Gebrauchtwagen. Im Kaufvertrag war als Datum der Erstzulassung laut Fahrzeugbrief der 18.02.2010 benannt; ein Baujahr oder Herstellungszeitpunkt war nicht genannt.

Später wurde dem Kläger bekannt, dass das Fahrzeug bereits am 01.07.2008 hergestellt worden war. Hieraus ergab sich vor Erstzulassung eine Standzeit des seinerzeit fabrikneuen Fahrzeuges von 19,5 Monaten bis es das erste Mal für den Straßenverkehr zugelassen worden ist. Der Kläger war der Auffassung, dass allein die Dauer dieser Standzeit vor der Erstzulassung des Fahrzeuges einen Sachmangel des Fahrzeuges darstellt. Er hat deshalb den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und die Rückzahlung des Kaufpreises verlangt.

Der BGH hat entschieden, dass eine Standzeit von über zwölf Monaten vor Erstzulassung bei einem Gebrauchtwagenkauf nicht ohne weiteres einen Sachmangel begründet. Denn bei Abschluss des Kaufvertrages hätten die Parteien weder ausdrücklich noch stillschweigend eine Beschaffenheitsvereinbarung über ein bestimmtes Herstellungsdatum oder ein bestimmtes Baujahr getroffen. Aus dem im Kaufvertrag angegebenen Erstzulassungsdatum sei eine solche stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung schon deshalb nicht zu sehen, weil die Beklagte einen einschränkenden Zusatz hinzugefügt hatte und zwar „lt. Fzg.-Brief“. Damit habe die beklagte Verkäuferin keine verbindliche Willenserklärung abgeben wollen, sondern lediglich mitgeteilt, aus welcher Quelle sie die im Kaufvertrag getätigten Angaben entnommen hat. Dies nennt man Wissensmitteilung, die zu unterscheiden ist von einer bindenden Willenserklärung.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs habe die Beklagte damit deutlich gemacht, dass sie selbst weder für die Richtigkeit des Erstzulassungsdatums noch für ein bestimmtes Baujahr des Fahrzeuges einstehen will. Außerdem wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass eine Standzeit von 19,5 Monaten zwischen Herstellung und Erstzulassung nicht automatisch dazu führt, dass ein Kraftfahrzeug zum Zeitpunkt der Übergabe für die gewöhnliche Verwendung nicht geeignet sei bzw. die übliche vom Käufer zu erwartende Beschaffenheit nicht aufweist.

Dem stehen auch die früheren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs für den Kauf von Neu- oder Jahreswagen nicht entgegen, nach denen eine 12 Monate überschreitende Standzeit vor der Erstzulassung nicht hingenommen werden muss. Das Gericht betonte, dass der durch die Standzeit voranschreitende Alterungsprozess besonderes wirtschaftliches Gewicht nur bei neuen Fahrzeugen oder zumindest jüngeren Gebrauchtwagen hat.

Der Bundesgerichtshof stellte aber auch klar, dass sich keine allgemeingültigen vergleichbaren Aussagen zu sonstigen Gebrauchtwagen treffen lassen. Es hänge immer von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, welche Standzeiten bei Gebrauchtwagen üblich sind und ein Käufer ohne zusätzliche Verkäuferangaben hinzunehmen hat. Dabei sind etwa Dauer der Zulassung zum Verkehr, Laufleistung des Fahrzeuges, Anzahl der Vorbesitzer, Art der Vorbenutzung mitentscheidend.

Im hier entschiedenen Fall war das Gebrauchtfahrzeug zum Zeitpunkt des Verkaufs bereits längere Zeit zum Straßenverkehr zugelassen und durch eine relativ hohe Laufleistung eine nicht unerhebliche Abnutzung des Fahrzeuges eingetreten. In solchen Fällen verlieren Standzeiten zwischen Herstellung des Fahrzeuges und Erstzulassung und ein etwaig hierauf entfallender Alterungsprozess an Bedeutung. Dass während der Standzeit konkrete standzeitbedingte Mängel aufgetreten sind, hatte der Kläger nicht geltend gemacht. Der Kaufvertrag war daher nicht rückabzuwickeln.

Um derartige Überraschungen zu vermeiden, ist es sinnvoll, beim Kauf eines Gebrauchtwagens nicht nur nach dem Datum der Erstzulassung sondern insbesondere auch nach dem Datum der Herstellung zu fragen und sich erst dann für oder gegen den Kauf zu entscheiden.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Roger Blum

Beiträge zum Thema