Ist Schwerbehinderung befristet?

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„Auf Ihren Antrag hin stelle ich ab [Datum] fest ...“ – so oder ähnlich beginnen fast alle Bescheide im Schwerbehindertenrecht. Heißt das, dass die Schwerbehinderung erst ab dem genannten Datum vorliegt? 

Nein, nicht unbedingt. Das heißt nur, dass die Behinderung ab diesem Zeitpunkt offiziell dokumentiert ist. Eine Schwerbehinderung wird nur auf Antrag hin – und nicht von Amts wegen – festgestellt. Der Behinderte muss sich also an das Amt wenden und beantragen, dass die Schwerbehinderung festgestellt wird. Wenn es eine Feststellung von Amts wegen gäbe, dann müsste ein Amt Bescheide und Ausweise erteilen, sobald es Kenntnis von einer Behinderung hat. Damit würden aber die jeweiligen Mitarbeiter des Amts viel zu große Bedeutung erlangen – denn nur, wenn diese etwas wahrnehmen, wird es auch festgestellt. Viele Behinderungen bleiben der Umwelt aber verborgen: Krebserkrankungen oder Depressionen sieht man dem Betreffenden nicht unbedingt an. Damit würde das Feld der Schwerbehinderung viel zu sehr eingeschränkt.

Andererseits würde damit manchem Behinderten die Schwerbehinderteneigenschaft geradezu aufgedrängt. Es gibt viele Menschen, die sich dagegen wehren, schwerbehindert zu sein. Noch heute ist der Begriff Schwerbehinderung mit Vorurteilen behaftet; beispielsweise in der Arbeitswelt ist es nicht unbedingt von Vorteil, schwerbehindert zu sein. So mancher Arbeitgeber denkt sich „Den/Die werde ich nie wieder los“.

Jeder Antragsteller hat das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ab wann seine Behinderung festgestellt wird. Erst mit Antragstellung kommt das Verwaltungsverfahren in Gang. Dabei kann es durchaus sein, dass eine Behinderung schon jahrelang vorliegt; aber wenn der Behinderte es nicht will, „drängt“ ihm die Feststellung auch niemand auf.

Andersherum kann es aber auch sein, dass jemand einen Antrag stellt, aber möchte, dass seine Behinderung zu einem vorher liegenden Zeitpunkt festgestellt wird (sogenannte „Rückwirkung“). Das ist zwar grundsätzlich möglich. Immerhin sieht das Antragsformular vor, dass man (aus steuerlichen Gründen beispielsweise) eine Rückwirkung beantragen kann. Allerdings hat der Betreffende von vorneherein schlechte Karten. Hier geht es nämlich um die Beweisbarkeit. Wenn es schon schwer ist, eine vorliegende Beeinträchtigung im „Hier und Jetzt“ zu beweisen, um wieviel schwerer ist es dann, das auch rückwirkend zu tun. Wohl dem, der seine Beeinträchtigungen schon monate- wenn nicht jahrelang dokumentiert hat (s. auch meinen Rechtstipp „‚Futter‘ für die Amtsermittlung“).

Genauso, wie es einen „Beginn“ einer Schwerbehinderung zu geben scheint, gibt es auch ein Ende:

„Eine Nachprüfung habe ich für [Datum] vorgesehen“. So oder ähnlich kann ein Feststellungsbescheid im Schwerbehindertenrecht enden. Meist ist das bei der Heilungsbewährung der Fall. Der Mandant liest den Bescheid und fragt besorgt: „Und dann? Bin ich dann nicht mehr behindert?“

Die Antwort lautet „Ja und Nein“.

Was ist überhaupt eine Befristung? Eine Befristung ist ein Datum, an dem etwas ersatzlos wegfällt. Heißt das also, dass mit Erreichen des Datums die Schwerbehinderung endet?

Hier muss man sich klarmachen, was die Feststellung einer Schwerbehinderteneigenschaft überhaupt bedeutet: Was fällt denn ersatzlos weg? Die Beeinträchtigung etwa? Nein („schön wär's“, wird so mancher denken). Durch die Antragstellung bei einer Behörde auf Feststellung beginnt ein Rechtsverhältnis. Und nur über dieses Rechtsverhältnis sagt der Bescheid etwas aus. 

Genauso, wie die offizielle Feststellung zu einem bestimmten Datum beginnt, kann sie auch wieder enden. Darüber, wie es wirklich um die Gesundheit und Beeinträchtigungen des Antragstellers steht, ist damit nichts ausgesagt. Vielleicht geht es ihm/ihr erheblich schlechter, aber vielleicht kann er/sie jetzt besser mit den Beeinträchtigungen umgehen und hätte deswegen im Sinn des Schwerbehindertenrechts einen niedrigeren Grad der Behinderung.

Wer bestimmt über die „Dauer“ der Schwerbehinderung? Wie errechnet sich die Zeitspanne von Beginn bis Ende? Grundlegend hierfür ist die Versorgungsmedizin-Verordnung. Sie ist eine Art Katalog der am häufigsten vorkommenden Erkrankungen. Jede dieser Erkrankungen erhält einen eigenen Grad der Behinderung. Festgelegt wird dieser Katalog vom sog. „Beirat“. Bei dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird als unabhängiger „Ärztlicher Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin“ ein sog. „Beirat“ gebildet. Seine 17 Mitglieder sind alle Ärzt/Innen.

Die Versorgungsmedizin-Verordnung wird von den Medizinern des jeweiligen Versorgungsamtes zugrunde gelegt. Die „Dauer“ einer Beeinträchtigung bestimmen diese Mediziner nach Erfahrungswerten. Und hier liegt der Hauptstreitpunkt. Es handelt sich um Erfahrungswerte. Was aber bei 100 Behinderten zutrifft, muss nicht auch beim 101. vorliegen. Versorgungsrecht ist eine Massenverwaltung. Auf Einzelschicksale wird da keine Rücksicht genommen – solange die sich nicht wehren. Wer sich verkannt fühlt, muss selbst handeln, denn, wie bereits gesagt, ohne Eigeninitiative des Betroffenen geschieht nichts. Aber bitte nicht falsch verstehen: Wer nichts unternehmen möchte, den zwingt auch niemand.

Im Schwerbehindertenrecht kann jeder tun und lassen, was er möchte. Genauso, wie jeder entscheiden kann, ob er überhaupt tätig wird, kann er entscheiden wie er tätig wird, ob nun alleine oder anwaltlich vertreten.

Seit Jahren berate und vertrete ich Behinderte auf allen Gebieten des Schwerbehindertenrechts. Vielleicht demnächst auch Sie? Kontaktieren Sie mich einfach!


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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