Schwerbehinderung: Wann ist eine Kündigung unwirksam?
- 4 Minuten Lesezeit

Menschen mit einer Schwerbehinderung haben es auf dem Arbeitsmarkt oft nicht leicht. Dabei dürfen Arbeitgeber sie wegen ihrer Schwerbehinderung nicht benachteiligen. Vielmehr stehen Schwerbehinderten sogar mehr Rechte zu, wie z. B. Zusatzurlaub oder ein besonderer Kündigungsschutz. Doch gilt dieser besondere Kündigungsschutz auch, wenn der Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung gar nicht weiß, dass sein Angestellter schwerbehindert ist?
Abgrenzung Behinderung – Schwerbehinderung
Als behindert gilt jemand, dessen eigene körperliche, geistige oder seelische Verfassung dauerhaft – also grundsätzlich länger als sechs Monate – vom „normalen“ Zustand abweicht, was wiederum zu sozialen Beeinträchtigungen führt, zum Beispiel, weil eine Teilnahme an gesellschaftlichen Veranstaltungen nicht möglich ist. Eine Person gilt darüber hinaus als schwerbehindert, wenn ihr Grad der Behinderung (GdB) mindestens 50 beträgt bzw. sie mit einem GdB von mindestens 30 einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist.
Sonderkündigungsschutz bei Schwerbehinderung
Bei dem Beschäftigten eines Unternehmens wurde Leukämie diagnostiziert. Er wurde krankgeschrieben und stellte einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung. Kurz darauf wurde er von seinem Arbeitgeber dazu aufgefordert, zu diversen Vorwürfen – unter anderem zu dem Verdacht auf Arbeitszeitbetrug – Stellung zu nehmen. Ferner bezweifelte der Arbeitgeber, dass der Angestellte tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war.
Nachdem der Beschäftigte unter Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit nicht zu dem Personalgespräch erschienen war, fühlte sich der Arbeitgeber in seinem Verdacht bestätigt – und kündigte nach Anhörung des Betriebsrats am 13.08.2013 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Zu diesem Zeitpunkt waren seit dem Feststellungsantrag des Erkrankten über drei Wochen vergangen. Erst am 03.09.2013 erhielt er den Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft. Danach betrug der Grad seiner Behinderung 70. Dies erfuhr der Arbeitgeber am 06.09.2013.
Kurz darauf beantragte der Arbeitgeber beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen und ordentlichen Kündigung und hörte den Betriebsrat noch einmal an, ohne ihn jedoch über die neuen Erkenntnisse bezüglich der Erkrankung des betroffenen Arbeitnehmers zu informieren. Nach Erhalt der Zustimmung des Integrationsamts erklärte er noch einmal die außerordentliche und später hilfsweise die ordentliche Kündigung. Der Angestellte zog daraufhin gegen sämtliche Kündigungen vor Gericht.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hielt die Kündigungen für unwirksam. So waren die außerordentliche und die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13.08.2013 nichtig, weil sie ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochen worden sind. Das ist der sog. Sonderkündigungsschutz, der nach § 85 Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) schwerbehinderten Beschäftigten zusteht, sofern nicht eine Ausnahme nach § 90 SGB IX greift. Danach besteht z. B. kein Sonderkündigungsschutz, wenn zur Zeit der Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachgewiesen ist.
Kein Schwerbehindertenausweis – kein Sonderkündigungsschutz?
Vorliegend wusste der Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung nicht, dass sein Beschäftigter schwerbehindert ist bzw. einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung gestellt hatte. Der fehlende Nachweis der Schwerbehinderung würde daher normalerweise einen Sonderkündigungsschutz ausschließen.
Das galt vorliegend jedoch nicht. Grundsätzlich muss das Versorgungsamt nämlich innerhalb von drei Wochen über den Feststellungsantrag entscheiden, vgl. §§ 90 IIa, 69 I S. 2, 14 II S. 2 SGB IX. Das hat es vorliegend aber nicht. Denn der Beschäftigte hatte den Feststellungsantrag mehr als drei Wochen vor Erhalt der Kündigung gestellt, den Feststellungsbescheid aber erst nach Erhalt der Kündigung zugeschickt bekommen. Aus diesem Grund war der Sonderkündigungsschutz nicht nach § 90 SGB IX ausgeschlossen.
Schwerbehinderung dem Arbeitgeber rechtzeitig mitteilen
Ein Beschäftigter darf aber nicht allzu lange warten, bis er seinen Arbeitgeber nach einer Kündigung über den Sonderkündigungsschutz informiert. Er könnte sein Recht darauf ansonsten nämlich verlieren.
Eine gesetzlich festgelegte Frist, bis wann der Arbeitgeber hierüber informiert werden muss, existiert jedoch nicht. Allerdings wird hier die Dreiwochenfrist nach § 4 S. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) herangezogen. In dieser Zeit muss sich der schwerbehinderte Beschäftigte also nicht nur überlegen, ob er überhaupt Kündigungsschutzklage einreichen möchte, sondern auch, ob er den Arbeitgeber über den Sonderkündigungsschutz informieren will. Diese Dreiwochenfrist wird noch um die Zeit verlängert, innerhalb derer der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft erfahren muss. Das können z. B. auch ein bis zwei Tage sein, wenn das entsprechende Schreiben per Post an den Arbeitgeber verschickt wird.
Vorliegend hatte der Arbeitgeber am Tag nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist nach § 4 S. 1 KSchG Kenntnis über die Schwerbehinderung des Beschäftigten erhalten. Nach Ansicht der Bundesarbeitsrichter erfolgte die Unterrichtung des Arbeitgebers damit noch rechtzeitig. Es war dem Beschäftigten daher nicht verwehrt, sich auf den Sonderkündigungsschutz zu berufen.
Betriebsrat muss vor Kündigung angehört werden
Auch die beiden zuletzt erklärten Kündigungen waren unwirksam. Dieses Mal lag zwar die Zustimmung des Integrationsamts vor, allerdings fehlte es an einer gemäß § 102 I 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Denn obwohl der Arbeitgeber mittlerweile genau wusste, dass unter anderem der Vorwurf des „Blaumachens“ nicht stimmte und der Beschäftigte tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war, hatte er diese neue Erkenntnis dem Betriebsrat bei der erneuten Anhörung nicht mitgeteilt.
Fazit: Schwerbehinderte Beschäftigte genießen grundsätzlich einen Sonderkündigungsschutz. Das kann unter Umständen selbst dann gelten, wenn der Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung nichts von der Schwerbehinderung des Angestellten wusste und erst im Nachhinein darüber aufgeklärt wird.
(BAG, Urteil v. 22.09.2016, Az.: 2 AZR 700/15)
(VOI)
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