Kapitalabfindung oder Rente – pro und contra

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Schwer und schwerst geschädigte Opfer von Unfällen und Behandlungsfehlern haben nicht nur den Verlust an Lebensfreude und Lebensqualität zu beklagen, sie leiden nicht nur unter den körperlichen und psychischen Folgen des Traumas, in vielen Fällen kommt eine weitere, meist unterschätzte Belastung hinzu: die ausbleibende Schadensregulierung.

Der Absturz in die Armut, Existenzängste für sich selbst und die Familie, soziale Isolierung, das Gefühl des Ausgeliefert- und Nutzlosseins - all dies sind Folgen der Ursprungsverletzung, die zu dem Schaden hinzukommen, ihn verstärken und Schmerzen chronifizieren. In manchen Fällen führt diese Entwicklung zum Tod des Betroffenen. All dies haben wir in unserer Praxis mehrfach erlebt.

Die Folgen verzögerter Schadensregulierung für Geschädigte

Der Prozess ist schleichend und die tatsächliche Ursache, die ausbleibende Schadensregulierung, wird von den Betroffenen selbst meist nicht realisiert. Damit der Geschädigte möglichst schnell wieder in ein „normales Leben" zurückkehren und seine Zukunft ohne finanzielle Sorgen gestalten kann, raten wir unseren Mandanten dringend, den Kampf mit Versicherern möglichst früh durch einen Abfindungsvergleich zu beenden.

Nicht alle Versicherer spielen auf Zeit und bedienen sich unlauterer Mittel, um die Geschädigten hinzuhalten, sie zu nötigen und zu erpressen und sie zu einem „billigen" Vergleich zu bewegen. Wir haben den Eindruck, dass gerade in den vergangenen, wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit Finanzkrise, erhöhtem Konkurrenzkampf usw. das Regulierungsverhalten der Versicherer schlechter geworden ist. Zwar ist die Situation in Deutschland im Verhältnis zum europäischen Ausland besser, doch hat sich die Finanzkrise auch hier negativ auf die Lage der Geschädigten ausgewirkt. Die Schadensregulierung verzögert sich häufig und bleibt manchmal sogar ganz aus. Zurzeit jedoch ist ein leichter Aufwärtstrend zu erkennen, d.h., die Zahl vernünftiger Abschlüsse mit Versicherern ist tendenziell ansteigend.

Der Abfindungsvergleich

Ein Abfindungsvergleich ist für Betroffene in der Regel die richtige Wahl, denn ein erfolgreicher Abschluss verbessert nicht nur die wirtschaftliche Situation der Geschädigten, sondern auch die psychische und die physische Belastungssituation. Wir beobachten immer wieder, wie sich der Gesundheitszustand der Opfer nach einem erfolgreichen Abschluss deutlich verbessert.

Ein Abfindungsvergleich regelt die noch offenen Schäden aus der Vergangenheit und auch die Ansprüche für die Zukunft: Erwerbsschaden, Pflege- und Betreuungskosten, Haushaltsführungsschaden, weitere vermehrte Bedürfnisse usw. und natürlich das Schmerzensgeld.
Grundsätzlich sind die laufenden und die zukünftigen Schäden (Erwerbsschaden, Pflege etc.) in Form einer Rente auszugleichen, die vierteljährlich im Voraus gezahlt wird. Bei einem Abfindungsvergleich werden diese zukünftigen Renten nicht etwa für die statistische Lebenserwartung oder Beschäftigungszeit addiert, sondern es findet eine Kapitalisierung, d.h., eine Abzinsung dieser Ansprüche statt.
Für den Geschädigten ist wichtig zu wissen, dass er wertmäßig keine Nachteile erleidet. Bei einer Kapitalisierung gilt es, den Kapitalbetrag zu ermitteln, der wertmäßig der Entschädigung entspricht, die der Geschädigte bei Zahlung der zukünftigen Renten erhalten hätte. Konkret heißt das, wenn man den Kapitalbetrag der Abfindung über die Laufzeit verzinst, muss er ausreichen, um die monatlichen Rentenzahlungen zu erbringen

Der Zinssatz

Einer der wichtigsten Aspekte ist der Zinssatz, der bei der Abfindung zugrunde gelegt wird. Der Zinssatz sollte dem entsprechen, was Kapitalanleger für das angelegte Geld an Zinsen erhalten. Er entscheidet, neben der zu kapitalisierenden Rente, über die exakte Höhe des Kapitalbetrages. Je niedriger der Zinssatz, umso höher der Kapitalbetrag und umgekehrt.
Grundsätzlich streben Versicherer an, mit einem solchen Vergleich alle Ansprüche für die Zukunft zu erledigen. In vielen Fällen ist dies auch sinnvoll, wenn das Ergebnis die Risiken berücksichtigt und der richtige Zinssatz zugrunde gelegt wird.

Der Vorbehalt

Zu Recht haben Betroffene oft Angst, dass sich der Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Dies sollte sie jedoch nicht davon abhalten, den Vergleichsweg zu wählen. Für bestimmte Fälle bzw. Risiken kann man einen Vorbehalt vereinbaren.

Vorbehalten bleiben auf jeden Fall die Steuern auf einen zu zahlenden Erwerbsschaden, aber auch Pflege- und Betreuungsmehraufwand können vorbehalten bleiben, wenn eine spätere schadensbedingte Pflege und Betreuung wahrscheinlich erscheint. In dem Abfindungstext würde es dann heißen: „1. Von dieser Regelung ausgenommen sind die auf den Erwerbsschaden anfallenden Steuern...; 2. Vorbehalten bleiben weiter Pflege- und Betreuungskosten für den Fall, dass dem Anspruchsteller die Pflegestufe I oder eine höhere Pflegestufe bewilligt wird; 3. Für den Fall, dass eine schadensbedingte Erwerbsunfähigkeit eintritt, ist der Versicherer verpflichtet, den entstehenden Schaden auszugleichen." und so weiter.

Die Ansprüche Dritter

Die Ansprüche Dritter sollten nicht ausgeschlossen werden, wie dies Versicherer oft verlangen. Nicht selten kommt es infolge der Verletzung zu weiteren Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und dann entsteht zum Beispiel ein Anspruch des Arbeitgebers gegenüber der Versicherung auf Ersatz des fortgezahlten Lohns.

Es ist also äußerst wichtig, die Formulierung des Abfindungsvergleichs sorgfältig zu wählen und möglichst alle Risiken zu erfassen. Versäumnisse zu diesem Zeitpunkt können gravierende Folgen für den Betroffenen haben. Bei einem geschlossenen Abfindungsvergleich sind Nachforderungen nur ausnahmsweise möglich.

Außergerichtliche oder gerichtliche Einigung?
Oft glauben Geschädigte, dass eine gerichtliche Entscheidung ihnen ein besseres Ergebnis bringt als ein außergerichtlich mit der Versicherung geschlossener Abfindungsvergleich. Diese Annahme ist nicht richtig. Zum einen sind die im außergerichtlichen Vergleich ausgehandelten Summen meist höher als der Betrag, den ein Gericht zusprechen würde. Ein Beispiel aus unserer Praxis: Wir haben vor wenigen Tagen einen Vergleich abgeschlossen, nach dem unser Mandant fast 2 Mio € erhält. Das Gericht hatte in diesem Fall vor einigen Jahren einen Vergleichsbetrag von 750.000 € vorgeschlagen.
Zum anderen unterschätzen die Geschädigten die Rolle der Gerichte, was die korrekte Berechnung von Schadenersatzansprüchen angeht. Vor allem aber unterschätzen sie die Dauer der Gerichtsverfahren. Nicht selten vergehen 5, manchmal mehr als 10 Jahre, bis eine gerichtliche Entscheidung fällt. Während dieser Zeit steht der Geschädigte unter Dauerstress, leidet unter finanziellen Schwierigkeiten, nicht selten wird er zum Hartz IV-Empfänger und mit der Gesundheit geht es weiter bergab. Selbst wenn das Gericht am Ende einen angemessenen Betrag ausurteilt, ist der Betroffene immer noch der Verlierer, weil er diesem Prozess viele Jahre seines Lebens geopfert hat und der zusätzliche Gesundheitsschaden oft irreparabel ist.

Was ist ein wichtiger Grund für eine Abfindung statt Rente?

Das Gesetz schreibt vor, dass der Geschädigte statt einer Rentenzahlung eine Kapitalabfindung verlangen kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§843 Abs. 3 BGB). Nun ist es äußerst streitig, was ein wichtiger Grund im Sinne dieser Vorschrift ist. Einen solchen Grund wird man immer dann annehmen müssen, wenn die Abfindung für den Betroffenen erkennbar die bessere Lösung ist, sie ein unangemessenes Regulierungsverhalten der Versicherung beendet und dem Geschädigten die Möglichkeit bietet, eine neue berufliche Existenz aufzubauen, oder aber wenn sei nur seine gesundheitliche Entwicklung ganz allgemein fördert.

Der Verkehrsgerichtstag, ein jährlich stattfindendes Symposium aus Juristen, Versicherern und Medizinern, hat bereits vor Jahren gefordert, dass das Gericht dem Geschädigten ein Wahlrecht zubilligen sollte.

Ist der Geschädigte minderjährig, ist bei einer Gesamtabfindung zumindest Vorsicht geboten Es muss sichergestellt sein, dass die Erziehungsberechtigten den Vergleichsbetrag verantwortungsbewusst zum Wohle des Kindes verwenden. Eine vormundschaftliche Genehmigung ist in diesem Falle sicher sinnvoll, obwohl nicht immer erforderlich.

Eine solche Genehmigung des Vergleiches ist jedoch dann erforderlich, wenn der Geschädigte geschäftsunfähig ist. In diesem Fall wird er vermutlich unter Betreuung stehen. Der Betreuer schließt dann für ihn den Vergleich ab, den das Vormundschaftsgericht genehmigen muss.

Die Aufgaben des Anwalts

Aufgabe des Anwaltes ist es, dem Geschädigten eine Entscheidungshilfe zu geben, ihn über alle Gesichtspunkte eines Vergleichsabschlusses, das Für und Wider zu belehren. Der Anwalt muss alle Risiken abwägen, gegebenenfalls Vorbehalte vereinbaren und auch dem Vergleichsabschluss die Erfolgsaussichten einer Klage gegenüberstellen.

Nach unserer Erfahrung bringt der Abfindungsvergleich dem Geschädigten deutlich mehr Vorteile als eine Rentenzahlung. Die Abfindung ermöglicht ihm einen Neuanfang und beendet eine oft lange und zermürbende Auseinandersetzung mit der Versicherung. Zusätzlicher Gesundheitsschaden wird vermieden. Im Gegenteil: Die endgültige Schadensregulierung sorgt in aller Regel für eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes der Opfer.

Martin Quirmbach, Rechtsanwalt und Seniorpartner, Anwaltsbüro Quirmbach und Partner


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