Kapitalanlage: Schadensersatzanspruch bei „blinder Unterschrift“ – Anleger darf Berater vertrauen

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Bundesgerichtshof (BGH) hat mit dem Urteil vom 20.07.2017 (Az.: III ZR 296/15) entschieden, dass im Falle einer mangelhaften Anlageberatung der Anleger auch dann Schadensersatzanspruch geltend machen kann, wenn er ein Beratungs- und Aufklärungsprotokoll unterschrieben hat: „Wenn ein Kapitalanleger eine Risikohinweise enthaltene Beratungsdokumentation ‚blind‘ unterzeichnet“ müsse der Tatrichter „die konkreten Umstände des Einzelfalls“ umfassend tatrichterlich würdigen. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Anleger in einem „besonderen Vertrauensverhältnis zum Berater“ steht.

Schadensersatzanspruch: 80.000 Euro Altersvorsorge verloren – Anleger hat Schwiegersohn vertraut

Im konkreten Fall hatte ein Ehepaar – ein Arbeiter und eine Altenpflegerin, seinerzeit Mitte 50 – im Jahr 2007 für zwei Beteiligungen an einem KG-Fonds das gesamte Vermögen in Form von Sparbüchern, einer Lebens- und Rentenversicherung sowie einem Bausparvertrag aufgelöst und als Einlage der Beteiligung erbracht. Das Anlagekonzept war ihnen von ihrem als Finanzberater tätigen Schwiegersohn zur „Optimierung ihrer … bestehenden Vermögensanlagen“ empfohlen worden. Dieser hatte seine Schwiegereltern mündlich beraten und sie ein „mit grafisch unauffälligen Risikohinweisen versehen Aufklärungsbestätigungen auf den Zeichnungsscheinen … am Schluss des Beratungsgesprächs“ unterschreiben lassen. Die Kläger verlangten von dem Beklagten Schadensersatz in Form von Ersatz des Zeichnungsschadens und vorgerichtlicher Anwaltskosten wegen fehlerhafter Anlageberatung, da der Beklagte sie in dem Beratungsgespräch über eine Vielzahl von Eigenschaften der empfohlenen Kapitalanlage falsch beraten beziehungsweise um Unklaren gelassen habe. Nachdem die Klage in erster Instanz vor dem Landgericht (LG) München abgelehnt worden war (Urteil vom 27.02.2015 – 29 O 24891/13), gingen die Kläger vor dem Oberlandesgericht (OLG) München in Berufung (Urteil vom 19.08.2015 – 8 U 1117/15). Auch hier waren sie zunächst erfolglos: Das Berufungsgericht hatte zur Abweisung der Klage ausgeführt „der Kläger sei hinsichtlich der behaupteten Beratungsfehler beweisfällig geblieben“. Mit ihrer Revision vor der obersten Instanz waren die Kläger dann erfolgreich: Der BGH hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache zurück an das OLG. Das Gericht gab an, die Revision sei begründet: „Die getroffene Beweislastentscheidung hält der Nachprüfung nicht stand. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand und den dazu getroffenen Feststellungen kommt vielmehr ein Schadensersatz des Klägers … wegen Schlechterfüllung eines Anlageberatungs- oder Anlagevermittlungsvertrags in Betracht“.

Haftung des Anlageberaters: Persönliches Vertrauen der Anleger zum Berater ist entscheidend

Das Gericht führte aus, die „persönliche Haftung des Beklagten“ komme in Betracht „wegen einer aufgrund der familiären Beziehung zu dem Kläger … naheliegenden Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens“. Die Kläger haben sich „auf eine unzutreffende mündliche Beratung durch den Beklagten“ berufen und die „mangelnde Aufklärung über fehlende Eignung zur Altersvorsorge“ behauptet. Zum Beweis der fehlerhaften Aufklärung haben die Kläger „die Parteivernehmung des Beklagten“ beantragt, „sowie die Vernehmung der Zeugin … und weiterer Zeugen“. Hierzu habe das Berufungsgericht „verfahrensfehlerhaft … von einer Parteivernehmung abgesehen“. Eine Parteivernehmung hätte nach Meinung des BGH jedoch Anwendung finden müssen: „Auf die hier vorliegende Fallkonstellation eines nur zwischen den Parteien selbst ohne Zeugen geführten Gesprächs finden die Vorschriften der §§ 445 ff ZPO über die Parteivernehmung Anwendung, die subsidiär gegenüber der vorrangigen Ausschöpfung anderweitiger – hier nicht zur Verfügung stehender – Beweismittel ist“. Dass die Kläger die Aufklärungsbestätigungen unterschrieben haben, könne nicht ausschlaggebendes Kriterium zum Verlust des Schadensersatzanspruchs sein. Vielmehr sei „eine umfassende Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich, wie beispielsweise der inhaltlichen Erfassbarkeit und grafischen Auffälligkeit der Hinweise, des Ablaufs und Inhalts des Beratungsgesprächs und des Zeitpunkts der Unterzeichnung der Beratungsdokumentation, der im Zusammenhang damit getätigten Aussagen, des Bildungs- und Erfahrungsstands des Anlegers oder des Bestehens eines besonderen Vertrauensverhältnisses zum Berater“.

Fazit: Schadensersatzanspruch kann trotz Unterschreiben eines Beratungsprotokolls bestehen

Der BGH urteilt zugunsten der Anleger: Wird ein Beratungsprotokoll „blind“ unterschrieben, so kann dem Anleger trotzdem Schadensersatz zustehen. Zur Feststellung eines Schadensersatzanspruchs müssen die konkreten Umstände des Einzelfalls in Form einer umfassenden tatrichterlichen Würdigung festgestellt werden. Ausschlaggebend für das etwaige Bestehen eines Schadensersatzanspruchs kann hierbei das Vorliegen eines besonderen Vertrauensverhältnisses des Anlegers zum Anlageberater sein. Anleger, die durch Investition in eine Kapitalanlage finanziell geschädigt werden, müssen den Schaden nicht tatenlos hinnehmen: Ein Anspruch auf Schadensersatz kann auch dann geltend gemacht werden, wenn ein Beratungs- und Aufklärungsprotokoll vom Anleger unterschrieben wurde.



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