Krankengeld trotz angeblich verspäteter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse

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Versicherte waren bis vor kurzem verantwortlich dafür, daß die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ("gelber Schein") pünktlich bei der Krankenkasse vorlag. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen, weil der Schein angeblich gar nicht oder zu spät einging. Durch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) soll das geändert werden, so der Gesetzgeber. Nein, widersprach die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Ärzte sind digital noch nicht so weit. Dem hat das SG Dresden jetzt einen Riegel vorgeschoben.

Bei Arbeitsunfähigkeit besteht ein Anspruch auf Krankengeld – und zwar lückenlos. § 46 SGB V sagt darüber aus: "Der Anspruch auf Krankengeld entsteht … von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an.“

Die Realität sah – und sieht – leider anders aus. Um die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit drehten sich zahllose Rechtsstreitigkeiten. Zunächst urteilte das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung, daß die rechtzeitige Krankmeldung bei der Krankenklasse alleine eine Obliegenheit des Versicherten sei. Mit anderen Worten: Wenn der Versicherte seine AU-bescheinigung nicht rechtzeitig bei der KK vorlegte, drohten ihm empfindliche finanzielle Einbußen. § 49 Abs. 5 SGB V bestimmt dann nämlich: "Der Anspruch auf Krankengeld ruht, … solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit …  erfolgt,"…

Versicherte sind nicht allein verantwortlich für die Rechtzeitigkeit der AU-Bescheinigung bei der Krankenkasse; – auch die Arztpraxen müssen mitwirken

Jahrelang ließ das BSG ausschließlich den Versicherten die Folgen einer verspäteten Meldung spüren.

Die vorgeschriebene AU-Meldung stellte bis 2020 allein eine Obliegenheit der Versicherten dar (BSG, Urt. v. 10.5.2012 – B 1 KR 20/11 u. a.). Mögliche Härten für den Versicherten hatte der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, weswegen § 49 SGB V strikt zu handhaben war (BSG, Urt. v. 16.12.2014 – B 1 KR 37/14 R, mwN.).

Eine erste Kehrtwende folgte im März 2020, als das BSG feststellte, daß der persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient oft nicht in der Macht des Patienten alleine liegt: Die Praxen der Ärzte waren häufig überlastet; es kam zu Verschiebungen von bereits vereinbarten Terminen.

Das BSG nahm daher die Revision eines Versicherten zum Anlaß, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern: Es stünde einem "rechtzeitig“ erfolgten Arzt-Patienten-Kontakt gleich, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um einen rechtzeitigen Termin bei seinem Arzt zu vereinbaren. Eine Terminverschiebung wäre häufig eine Angelegenheit des Praxispersonals und vom Patienten nicht zu beeinflußen.

Elektronische Übermittlung des Attests vom Arzt zur Krankenkasse?

Damit war ein wesentliches Hindernis beseitigt. Jedoch stellte sich heraus, daß die geänderte Rechtsprechung nicht die erhoffte Wende brachte. Die Anzahl der Streitigkeiten nahm nicht ab.

Noch immer bekamen Versicherte von ihrer Krankenklasse zu hören: "Ihre Krankmeldung liegt hier nicht vor", auch wenn sie die AU Bescheinigung eigenhändig in den Briefkasten geworfen oder sogar bei der KK abgegeben hatte.

Letztlich hatte der Gesetzgeber ein Einsehen und wollte die Pflicht zur Übermittlung eines Attest ab 01.01.2021 dem behandelnden Arzt aufbürden. Die fehlende Meldung der AU sollte kein Ruhen des KrG-Anspruchs mehr bewirken, wenn die Übermittlung im elektronischen Verfahren erfolgt oder erfolgen müsste. Die AU-Meldung an die KK in Papierform sollte durch ein einheitliches und verbindliches elektronisches Übermittlungsverfahren abgelöst werden.

Leider kam es in der Realität aber nicht so einfach wie vom Gesetzgeber vorgesehen: Die Regelung erfolgte überhastet, da die technische Infrastruktur nicht fristgerecht zur Verfügung stand. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung legte daher fest, daß die Ärzte auch weiterhin AU – Bescheinigungen in Papierform ausstellen konnten und – entgegen der gesetzlichen Regelung – elektronische AU-Bescheinigungen (eAU) erst ab 01.01.2022 verpflichtend werden.

SG Dresden, S 45 KR 575/21 vom 19.01.2022: Krankengeld trotz angeblich verspäteter Krankmeldung

Eine Versicherte, deren AU-Bescheinigung auch "verschwunden" war und die deshalb erst mit Verzögerung Krankengeld erhielt, wollte das nicht hinnehmen: Sie klagte. Und das SG Dresden gab ihr Recht: Vereinbarungen zwischen KKen und KBV gingen nicht zu Lasten der Versicherten. Ein weiteres Hinauszögern sei vom Gesetz eindeutig nicht erwähnt. Freuen über dieses Urteil kann sich jetzt die Klägerin, die gegen ihre KK auf Zahlung des Krankengelds geklagt hatte. Die KK hatte die Zahlung mit dem Argument der verspäteten Meldung abgelehnt. Das Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig, die Sprungrevision zum BSG ist zugelassen. Wahrscheinlich wird die unterlegene KK diese Möglichkeit nutzen, dieses Urteil dürfte viele Versicherte betreffen.

Je mehr Versicherte sich gegen die repressive Haltung der KKen zur Wehr setzen, desto mehr haben die Chance, doch noch an Krankengeld zu kommen. Warum zögern Sie noch? Melden Sie sich, ich helfe Ihnen!


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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