Kündigung wg. angeblicher Bedrohung mit Filetiermesser rechtens?

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Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hat in seinem Urteil vom 13.07.2023 – Az. 5 Sa 5/23 entscheiden, dass das Hantieren eines Arbeitnehmers mit einem Filetiermesser gegenüber einer Kollegin zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellt, jedoch die außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitgebers für unwirksam erklärt.


Das unsachgemäße Hantieren mit einem Filetiermesser stelle weder eine Bedrohung dar, noch rechtfertigt der unsachgemäße Gebrauch eine Kündigung, wenn der Arbeitnehmer zuvor nicht wegen derselben Pflichtverletzung abgemahnt wurde.


Kurz und knapp

  • Abmahnung grds. vor Kündigung erforderlich.
  • Abmahnung kann entbehrlich sein, bei schwerwiegender Pflichtverletzung
  • Unsachgemäßer Gebrauch eines Messers ist Pflichtverletzung, rechtfertigt aber keine Kündigung.
  • Unsachgemäßes Hantieren mit Messer stellt keinen wichtigen Grund zur Kündigung dar.
  • Bedrohung von Arbeitskollegen stellt wichtigen Grund zur Kündigung dar, muss aber nachgewiesen werden.
  • Abmahnung bei Pflichtverletzung erforderlich.
  • Bedrohung und Gefahr für Leid oder Leben muss bewusst und willentlich erfolgen.
  • Arbeitgeber muss Zwei-Wochen-Frist bei Kündigung beachten.
  • Aufklärung Sachverhalt durch Arbeitgeber wichtig, bei Zweifeln Abmahnung statt fristloser Kündigung.


Was war der Grund für die Kündigung?

Anlass für die Kündigung war ein Vorfall am 01.06.2022 an einem Probierstand, welcher zum Arbeitsbereich des Klägers, des Gekündigten und dessen Kollegin gehört.

Die Zeuge, die Kollegin des gekündigten Arbeitnehmers erläuterte, dass beide zusammen gearbeitet hätten. Der gekündigte Kläger hätte sich in unmittelbarer Sichtweite an einer Nachbarmaschine aufgehalten. An diesem Tag wurde eine Heringsanlage erprobt. Für diese Arbeit werden von den Mitarbeitern auch scharfe Filetiermesser eingesetzt.

Beide Arbeitskollegen saßen leicht versetzt seitlich, Schulter an Schulter nebeneinander.

Der Kläger soll der Kollegin dann ein Fischfiletiermesser (Länge ca. 20 cm) auf Höhe des Halses hingehalten haben. Der Abstand zum Hals soll ca. 10 bis 20 cm betragen haben und damit Leib und Leben der Arbeitskollegin bedroht zu haben.

Der Arbeitgeber hatte nach erteiltem Hausverbot, Beurlaubung und der Anhörung durch den Betriebsrat am 14. Juli 2022 die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31. Oktober 2022 ausgesprochen.

Dagegen wandte sich der Mann mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck und dann aufgrund der Berufung des beklagten Arbeitgebers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein.

Beide Gerichte gaben dem Gekündigten Recht.

Die Gerichte stellten beide fest, dass den klagenden Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses eine besondere Vorsichtspflicht im Umgang mit Messern und auch gegenüber Kolleginnen und Kollegen träfe, jedoch war weder die fristlose noch die ordentliche Kündigung rechtmäßig erfolgt.


Wissenswertes zur Abmahnung im Arbeitsrecht


Mit einer Abmahnung zeigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, dass der Arbeitnehmer mit seinem Verhalten eine Pflicht verletzt hat und das dieses Verhalten geändert werden muss.


Beispiele für abmahnfähiges  erhalten sind,


  • Unpünktlichkeit
  • Alkohol am Arbeitsplatz
  • Arbeitszeitbetrug
  • Verhalten gegenüber Kolleginnen und Kollegen
  • Ignorieren von Anweisungen des Vorgesetzten /Arbeitsgebers, wenn diese rechtmäßig ist


Eine Abmahnung wegen Krankheit kann nicht erfolgen.


Eine Kündigung müssen Arbeitnehmer nach einer Abmahnung erstmal nicht befürchten.


Denn, durch eine Abmahnung zeigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, dass er ein Verhalten nicht duldet, jedoch nicht gleich kündigen will, d.h. der Arbeitgeber verzichtet quasi zunächst auf sein Recht zur Kündigung – er will dem Arbeitnehmer eine Chance geben, sein Verhalten zu ändern.


Arbeitnehmer sollte deshalb darauf achten, ein abgemahntes Verhalten – sofern die Abmahnung rechtmäßig erfolgt ist – zu ändern, da bei erneutem Fehlverhalten, insbesondere bei demselben, eine Kündigung droht.



Wichtiger Hinweis

Arbeitnehmer sollten keinesfalls eine Erklärung (Abmahnung) unterschreiben, in der sie sich mit der Abmahnung einverstanden zeigen. In einem späteren Prozess würde eine solche Erklärung gegen ihn verwendet werden!



Grundsätzlich ist eine Abmahnung vor jeder Kündigung erforderliche – aber wie immer im Rechtlichen, kommt es auf den Einzelfall an. Liegt ein leichtes abmahnfähiges Verhalten des Arbeitnehmers vor, genügt eine Abmahnung nicht, um eine Kündigung zu begründen.


Bei schweren Pflichtverletzungen kann eine einzige Abmahnung genügen oder gar entbehrlich sein.



Wichtiger Hinweis

Ohne vorherige Abmahnung ist die Kündigung unwirksam, sofern die Abmahnung nicht ausnahmsweise entbehrlich war.



Eine Abmahnung knüpft immer das Verhalten des Arbeitnehmers an. Nur er allein kann dieses.


Eine Kündigung ist immer das letzte Mittel  - sog. ultima ratio - deshalb erfolgt in der Regel durch den Arbeitgeber mit der Abmahnung der Hinweis – Arbeitnehmer aufpassen, beim nächsten Mal könnte es zur Kündigung kommen.


Auch ist Voraussetzung, dass eine Verhaltensänderung durch den Arbeitnehmer nicht zu erwarten ist – sog. negative Prognose. Erfolgt aufgrund einer rechtmäßigen Abmahnung keine Verhaltensänderung, ist davon auszugehen, dass auch für die Zukunft keine Änderung des Verhaltens des Arbeitnehmers erwartet werden.


Wichtiger Hinweis

Eine Abmahnung ist für eine Kündigung nur dann entscheidend, wenn das abgemahnte Verhalten mit dem Grund für die Kündigung gleichartig ist.



Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus.


Aber - eine Abmahnung kann entbehrlich sein, wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten seine vertraglichen Pflichten besonders schwer verletzt hat.


Dies ist insbesondere bei erheblichen Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich der Fall, weil dadurch das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Dauer zerrüttet wird.


Bei einer schweren Pflichtverletzung droht eine sofortige Kündigung.


Man spricht in den Fällen der schweren Pflichtverletzung auch von einem wichtigen Grund zur sog. außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB.


Ein wichtiger Grund vorliegt vor bei


  • Straftaten am Arbeitsplatz – bspw. Diebstahl, Beleidigung
  • Arbeitsverweigerung
  • Öffentliche Herabsetzung, Beleidigung des Arbeitgebers
  • Eigenmächtige Urlaubsverlängerung
  • Sexuelle Belästigung
  • Unter Umständen Arbeitszeitbetrug
  • Internetnutzung während der Arbeitszeit



Aufklärung Sachverhalt durch Arbeitgeber

Ein Arbeitnehmer kann auch bei langer Dauer des Arbeitsverhältnisses außerordentlich und fristlos gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorliegt. Bei einem wichtigen Grund liegen Tatsachen vor, die es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen – dies bspw. bei (sehr) schwerwiegenden Pflichtverletzungen.


Eine fristlose Kündigung kann nach § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb von zwei Wochen ausgesprochen werden. Die First beginnt in dem Moment, in dem der Kündigungsberechtigte, also der Arbeitgeber (Personalchef, Geschäftsführer) den Kündigungssachverhalt kennt.


Vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung sollte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu den Vorwürfen anhören. Dies insbesondere bei einer sog. Verdachtskündigung. Das Bundesarbeitsgericht verlangt vom Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu den Verdachtsmomenten innerhalb einer Woche anzuhören.


Problematisch wird dies, wenn der Arbeitgeber dem Hinweisgeber, also der Person, die den Arbeitgeber auf die Pflichtverstöße des Kollegen aufmerksam gemacht hat, Vertraulichkeit zugesichert hat.


Solange der Arbeitgeber die Pflicht zur Vertraulichkeit beachtet, kann er den belasteten Arbeitnehmer nicht anhören.


Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Beschluss vom 27.06.2019 – Az. 2 ABR 2/19 wie folgt mitgeteilt:


Arbeitgeber müssen eine Anhörung rasch bzw. im Allgemeinen binnen einer Woche ab Kenntnis der wesentlichen Verdachtsmomente durchführen (Urteil, Rn.23). Haben sie sich zur vertraulichen Behandlung von Hinweisen verpflichtet, müssen sie dem Hinweisgeber eine „angemessen kurze“ Frist setzen, innerhalb deren er sich über die Beibehaltung der Vertraulichkeit zu erklären hat (Urteil, Rn.28). Ohne eine solche rasche Klärung der (weiteren) Pflicht zur Vertraulichkeit laufen Arbeitgeber Gefahr, die Zweiwochenfrist zu versäumen.


Hier können Compliance-Regelungen im Unternehmen helfen, um mit der Zusicherung von Vertraulichkeit dazu zu ermutigen, Pflichtverstöße aufzudecken.



Entscheidung des Landesarbeitsgerichts


Die Kündigungsschutzklage des Mannes war erfolgreich.

Das Landesarbeitsgericht hat wie folgt geurteilt:

Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete weder durch die außerordentliche Kündigung vom 11.07.2022 als sogenannte Tatkündigung (I.) noch als Verdachtskündigung (II.). Die von der Beklagten hilfeweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 14.07.2022 ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtswidrig (III.).


Zu I. wurde durch das Gericht festgestellt, dass kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorgelegen hat.

Zwar komme eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u.a. von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, jedoch liegen die Voraussetzungen nicht vor.

Voraussetzung wäre gewesen, dass der gekündigte Kläger mit dem Willen handelte, dass die Drohung zur Kenntnis des Bedrohten – der Arbeitskollegin - gelangt und von dieser als ernst gemeint aufgefasst werden soll. Aufgrund der vom Arbeitgeber beschriebenen Tathandlung kann jedoch nicht auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden.

Weiter stellte das Gericht fest, dass die Tatkündigung auch nicht darauf gestützt werden konnte, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Arbeitskollegin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar, indessen hätte diese nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorliegend vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung zuvor abgemahnt werden müssen. Dies war nicht der Fall.

Zudem stehe auch nach dem Vortrag des Klägers nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Kollegin  gehalten habe.

Zu II. hielt das Landesarbeitsgericht fest, das der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung auch nicht mit Erfolg auf den dringenden Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen schweren arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung stützen kann. Es liegt weder eine Straftat  vor, da kein dringender Tatverdacht einer Bedrohung nach § 241 StGB vorlag, noch lag eine schwerwiegende Pflichtverletzung vor.


Zu III. urteilte das Gericht, dass die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung nicht sozial gerechtfertigt ist.


Das LAG verneinte somit in zweiter Instanz sowohl eine Tat- als auch ein Verdachtskündigung. Die Entscheidung ist rechtskräftig.



Fazit:

  • Arbeitgeber sollten vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung den Sachverhalt unter Beachtung der Zwei-Wochen-Frist möglichst genau aufklären.
  • Bleiben Zweifel, ist es ratsam, dass Arbeitgeber eine Abmahnung aussprechen um einem Kündigungsschutzverfahren aus dem Weg zu gehen.
  • Pflichtverletzungen, sofern nicht schwerwiegend, sollten durch Arbeitgeber abgemahnt werden, da die Abmahnung für eine Kündigung ansonsten unberücksichtigt bleibt.
  • Arbeitnehmer sollten ein Abmahnung nicht einfach hinnehmen und keinerlei Erklärung, eine Abmahnung erhalten zu haben, unterschreiben.


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