Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

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Das Kündigungsschutzgesetz stellt bekanntlich besondere Anforderungen an den Grund für eine Kündigung. Es gilt allerdings erst nach sechsmonatiger Wartezeit und nur in Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern.

Auch außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes können Arbeitnehmer allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Dispositionen in Anspruch nehmen. Die Arbeitnehmer sind durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt.

In der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Kleinbetriebsklausel hat das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, dass die Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen geschützt werden durch die zivilrechtlichen Generalklauseln des Verbots der sitten- oder treuwidrigen Ausübung von Rechten und durch das aus dem Verfassungsrecht abgeleitete gewisse Maß an sozialer Rücksichtnahme (Bundesverfassungsgericht, Urteil v. 27.01.1998, EZA § 23 Kündigungsschutzgesetz Nr. 17).

Das BAG hat diese Maßstäbe in seiner ersten Grundsatzentscheidung dazu aufgegriffen (BAG, Urteil v. 21.02.2001, EZA 242 BGB, Kündigung Nr. 1). Das BAG verlangt zur Vermeidung des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit der Kündigung die Einhaltung eines ethischen Minimums. Sittenwidrigkeit ist insbesondere in krassen Fällen anzunehmen, wenn die Kündigung auf einem verwerflichen Motiv des Kündigenden beruht oder wenn sie aus anderen Gründen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht (BAG, aaO).

Die Kündigung ist beispielsweise unwirksam, soweit sie zur Unzeit erfolgt und weitere Umstände hinzutreten, die den Arbeitnehmer besonders belasten (BAG, Urteil v. 5.4.2001, Az.: 2 AZR 185/00, NZA 2001, 890 ff).

Auch in Kleinbetrieben darf die Kündigung nicht gegen Treu und Glauben verstoßen. Die Arbeitnehmer werden vor Kündigungen geschützt, die in Willkür oder sachfremden Motiven begründet liegen. Dass durch langjährige Beschäftigung entstandene Vertrauen erfordert, dass der Grund für Kündigungen auch angesichts der Betriebszugehörigkeit noch einleuchten muss. Treuwidrig kann danach etwa die Kündigung wegen eindeutig nicht ins Gewicht fallender einmaliger Fehler bei einem langjährig beanstandungsfrei beschäftigten Arbeitnehmer sein (BAG, Urteil v. 28.08.2003, Az.: 2 AZR 333/02).

Dabei gelten die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Zwar hat der Arbeitnehmer die Beweislast für die geltend gemachte Treuwidrigkeit der Kündigung; er kann sich jedoch zunächst darauf beschränken, eine willkürliche, sachfremde oder diskriminierende Ausübung des Kündigungsrechts zu behaupten und hierzu nur einen Sachverhalt vorzutragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung indiziert. Das ist beispielsweise der Fall, wenn auf den ersten Blick Auswahlfehler erkennbar sind. Die Treuwidrigkeit kann sich aber auch aus anderen Gesichtspunkten ergeben. Der Arbeitgeber muss dann qualifiziert sich auf den Vortrag des Arbeitnehmers einlassen und diesen entkräften im Rahmen einer sekundären Behauptungslast. Bringt der Arbeitgeber sodann entsprechende betriebliche, persönliche oder sonstige Gründe vor, die den Vorwurf der Treuwidrigkeit ausschließen, so hat der Arbeitnehmer die Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit der Kündigung dennoch ergeben soll, zu beweisen (BAG, Urteil v. 28.08.2003, Az.: 2 AZR 333/02).

Beruft der Arbeitgeber sich in diesem Rahmen auf Leistungsmängel, so muss er sein Vorbringen zwar nicht im Ausmaß der kündigungsschutzrechtlichen Darlegungslast konkretisieren; erforderlich ist aber, dass sich aus seinem Vorbringen tatsächliche Anhaltspunkte für eine verständliche Unzufriedenheit plausibel ergeben. Ausnahmsweise kann nach Treu und Glauben dabei sogar eine vorherige vergebliche Abmahnung geboten sein, wenn der Arbeitgeber sich anderenfalls mit der Kündigung im Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten setzen würde, insbesondere wenn die Tätigkeit des Arbeitnehmers über einen sehr langen Zeitraum beanstandungsfrei verlaufen ist und der Kläger durch die Kündigung überrascht würde (BAG, aaO).

Werden betriebsbedingte Gründe geltend gemacht, muss der Arbeitgeber die Auswahlentscheidung nach billigem Ermessen treffen. Ist bei einem Vergleich der Sozialdaten aller Arbeitnehmer evident, dass der gekündigte Arbeitnehmer sozial schutzbedürftiger ist als ein vergleichbarer, weiter beschäftigter Arbeitnehmer, so spricht dies zunächst dafür, dass der Arbeitgeber das gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen hat. Der Arbeitgeber muss dann weitere betriebliche oder persönliche Gründe entgegenhalten, die ihn zu der getroffenen Auswahl bewogen haben, damit eine Abwägung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben erfolgen kann (BAG, Urteil v. 21.02.2001, Az.: 2 AZR 15/00 und BAG, Urteil v. 06.02.2003, Az.: 2 AZR 672/01).

Werden anderweitige Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht, können diese Kündigungsmotive auch außerhalb der Bereiche des § 1 Abs. 2 des Kündigungsschutzgesetzes liegen. Sie dürfen aber niemals auf sachfremden Motiven beruhen. Auch bei Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes kann die Kündigung dabei noch gegen Treu und Glauben verstoßen.

Welche Anforderungen sich im Einzelnen aus Treu und Glauben ergeben, kann dabei nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Auch hier gelten die Regeln der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Trägt der Arbeitnehmer einen Sachverhalt vor, der die Treuwidrigkeit der Kündigung indiziert, muss der Arbeitgeber sich qualifiziert auf das Vorbringen des Arbeitnehmers einlassen, um es zu entkräften. Er muss dann seine betrieblichen, persönlichen oder sonstigen Gründe vortragen, die den Vorwurf der Treuwidrigkeit ausschließen und ein sachfremdes Kündigungsmotiv widerlegen (BAG, Urteil v. 06.11.2003, Az.: 2 AZR 690/02, NZA 2005, 218 ff).

Auch soweit die Kündigung wegen Nichterfüllung der Wartezeit außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes liegt, muss der Arbeitnehmer vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt werden gemäß §§ 242, 138 BGB. Im Rahmen dieser Generalklauseln ist auch der objektive Gehalt der Grundrechte zu beachten, vor allem die durch Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützte Berufsfreiheit und das dort ausdrücklich geregelte Recht aller Deutschen, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. In sachlicher Hinsicht darf es dabei nicht darum gehen, dem Arbeitgeber praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit aufzuerlegen. Es geht aber darum, den Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auch auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, z. B. vor Diskriminierungen im Sinne von Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes (BAG, Urteil v. 28.06.2007, Az.: 6 AZR 750/06, Abs. 29), unter Hinweis auf die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 27.01.1998 (Az.: 1 BVL 15/87).

Völlig unabhängig von den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist demnach ein Diskriminierungsschutz gemäß §§ 242, 138 BGB nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu gewähren, der sich ebenfalls auf Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes bezieht. Dieser lautet wörtlich:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes finden dementsprechend wegen des höherrangigen Verfassungsgesetzes und der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Arbeitsrecht auch auf Kündigungen Anwendung. Dies wurde ausdrücklich vom BAG noch klargestellt für den Bereich der Altersdiskriminierungen und sonstigen Diskriminierungsverbote des AGG in der Entscheidung vom 6.11.2008 (Az.: 2 AZR 701/07).

In diesem Sinne konnten auch in der Vergangenheit bereits Kündigungen als treuwidrig und sittenwidrig angesehen werden, die ausschließlich wegen der Homosexualität (BAG NJW 1995, 275 = NZA 1994, 1080), wegen einer HIV Erkrankung (BAG NJW 1990, 141 = NZA 1989, 962) oder wegen einer herkunftsbedingten kulturellen Überzeugung erfolgten (BAG NZA 2004, 399).

Zur Darlegungs- und Beweislast hat das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 28.6.2007 noch betont, dass diese wie bei Kleinbetrieben abgestuft ist. In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Der Arbeitgeber muss sich sodann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BAG, Urteil v. 28.06.2007, Az.: 6 AZR 750/06, Abs. 31. Entscheidung mwN).

Martin Löbbecke

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

45964 Gladbeck


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