Mobbing - Darlegungslast und Nichtanwendbarkeit bei Schadensersatzansprüchen gemäß § 15 IV AGG

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Immer häufiger geschieht es, dass Arbeitgeber ggf. durch fragwürdige Empfehlungsgeber versuchen, einen unliebsam gewordenen Arbeitnehmer aus dem Unternehmen heraus zu ekeln. Dies geschieht, um der Gefahr eines Kündigungsschutzgesetzes im Fall des Ausspruchs einer ordentlichen bzw. verhaltens- oder personenbedingten Kündigung zu umgehen. Werden hier nämlich Fehler gemacht, droht die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung.

Aber auch Mobbing-Opfer, die aus dem Unternehmen herausgemobbt wurden, können Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld geltend machen.

1. Darlegungslast Mobbinghandlung und Rechtsprechung zum Schutz des allg. Persönlichkeitsrechtes:

Den Kläger eines solchen Anspruchs trifft die folgende Darlegungslast und Beweislast:

Zur Begründung zielgerichteten Vorgehens genügt die Darstellung eines typischen Geschehensablaufs, der mindestens bei Gesamtbetrachtung aller Umstände zu dem Ergebnis führt, dass das Verhalten von der Rechtsordnung nicht mehr gerechtfertigt wird.

Typischerweise ist bei einem solchen Geschehensablauf festzustellen, dass einzelne Gemeinheiten und Unverschämtheiten intensiviert werden bis zu einer Häufigkeit, mit der das Opfer regelmäßigem Psychoterror ausgesetzt ist, was häufig zu einer Verschlechterung der seelischen und körperlichen Gesundheit über Schlaflosigkeit, Erschöpfung, psychosomatischen Störungen, Depressionen, traumatischen Ängsten und ernsthaften körperlichen Erkrankungen, im Einzelfall bis zum Selbstmord (Versuch) führen kann.

Ein solches Erscheinungsbild ist als rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 1 (Schutz der Menschenwürde) und Art. 2 (freie Entfaltung der Persönlichkeit) GG zu qualifizieren.

Der Arbeitgeber haftet dem Mobbing-Opfer für unerlaubte Handlungen seiner Mitarbeiter gemäß § 823 I BGB i.V.m. § 278 BGB.

Verletzt der Arbeitgeber selbst das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines bei ihm beschäftigten Arbeitnehmers, so liegt darin nicht nur eine unerlaubte Handlung sondern zugleich ein Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten (BAG v. 04.04.1990, 5 AZR 299/89, LAG Thüringen v. 10.04.2001, 3 Sa 403/00).

Den Arbeitgeber trifft infolge dieser Wertorientierung die Verpflichtung, einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und damit vor Mobbing durch andere Beschäftigte oder außenstehende Dritte, auf die er Einfluss hat, zu schützen und nicht wie im Fall des Klägers feststellbar zu intrigieren.

In Bezug auf seine Haftungsverpflichtung ist der Arbeitgeber so zu behandeln, als hätte er die Handlungen des Mobbing-Täters selbst vorgenommen.

Infolge einer den Wertorientierungen des Grundgesetzes entsprechenden Anwendung des § 242 BGB trifft den Arbeitgeber die Verpflichtung, die bei ihm Beschäftigten nicht durch Eingriffe in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht zu verletzten.

2. Verwirkung von Ansprüchen nach dem AGG?

Das LAG Nürnberg hat unseres Erachtens völlig verfehlt in dem dort verhandelten Fall geurteilt, dass Ansprüche auf Mobbing verwirkt sind, wenn sie nicht innerhalb von 2 Monaten geltend gemacht werden. Die Entscheidung beruht auf die Anwendung der Rechtsvorschrift des § 15 IV AGG.

Der Wortlaut dieser Vorschrift lautet:

§ 15 Entschädigung und Schadensersatz

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

Die Entscheidung des LAG Nürnberg, mit welchem dieses die Rechtsanwendung des AGG gemäß § 15 IV AGG auch im Fall von Mobbing-Handlungen als gegeben ansieht, hätte tatsächlich zur Folge, das Ansprüche auf Schadensersatz aufgrund einer Mobbing-Handlung innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Kenntnis der Benachteiligung geltend gemacht werden müssen.

So wird angeblich argumentiert, dass es widersprüchlich wäre, wenn diese Frist nicht für eine Benachteiligung wegen Mobbings, sondern nur für Diskriminierungshandlungen nach dem AGG – wie etwa Ablehnung eines Bewerbers wegen seiner Religion – gelten würde.[1]

Dies überzeugt unseres Erachtens nicht.

Leidet ein Mobbing Opfer z.B. an einer massiven psychischen Erkrankung und ist ihm daher die Fortführung eines Rechtsstreits oder Aufnahme eines Rechtsstreits aus gesundheitlichen Gründen entweder objektiv unmöglich oder aufgrund einer ggf. durch den Stress eines Gerichtsverfahrens zu erwartenden weiteren Beeinträchtigung seiner Gesundheit nicht zumutbar, kann dies nicht gelten.

Diese 2-Monatsfrist mag in solchen Fällen ab dem Zeitpunkt der Wiedergenesung oder wiederkehrenden Arbeitsfähigkeit angenommen werden, nicht aber in dem aufgezeigten Fall einer durch das Mobbing bedingten Erkrankung.

In solch einem Fall ist bereits aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben die Schutzwürdigkeit des Opfers im Rahmen einer Gesamtabwägung höher zu bewerten als formale Ablaufen z.B. einer Verjährungsfrist.

Aber nicht nur unter diesem Aspekt der Schutzwürdigkeit des Opfers kann das Urteil des LAG Nürnberg als nicht maßgeblich erachtet werden. Die Rechtsprechung des LAG Nürnberg ist auch rechtsdogmatisch gänzlich verunglückt.

Hintergrund der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sind Vorgaben der Europäischen Union. Demnach war Deutschland verpflichtet, vier Richtlinien umzusetzen, die den Schutz vor Diskriminierung regeln. Im Bereich Beschäftigung und Beruf sollen die Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Geschlecht geschützt werden.

Es ging damit ersichtlich bei diesem Gesetz nicht um Grundsätze des Schadensersatzrechtes im Fall unerlaubter Handlungen. Nach der rechtsdogmatischen Stellung des § 823 II BGB müsste dann wohl auch, wolle man der Logik des LAG Nürnberg folgen, ein durch ein vorsätzlich oder fahrlässige Körperverletzung ggf. in Todesgefahr schwebender Verletzter innerhalb von 2 Monaten klagen.

Nein, das AGG wurde eingeführt, weil unserer bisheriges Rechtssystem zu wenig die speziellen Rechtsschutzbedürfnisse der Minderheiten berücksichtigte.

Und so ist es selbstverständlich, dass zum Beispiel eine Arbeitssuchende, die sich nicht auf eine Arbeitsstelle als Zahnärztin bewerben kann, weil der Arbeitgeber die Stelle nur für Zahnärzte ausschreibt, eine zusätzliche Rechtsgrundlage mit dem AGG bekommen sollte, aus dieser Verletzungshandlung vorgehen zu dürfen.

Was aber hat dieser – für das AGG sehr typische – Fall, der auch auf Andersfarbige oder Behinderte anwendbar ist aber mit mehrmonatigen Mobbing-Angriffen zu tun, die ein Arbeitgeber oder Vorgesetzter zu vertreten hat, obwohl beide ggf. wesentlich engere Schutzpflichten im Fall eines langjährig Beschäftigten treffen, als dies im Fall einer Neubewerbung gegeben ist.

MJH Rechtsanwälte Martin J. Haas Rechtsanwalt meint: Bevor man einfach ein Urteil abschreibt oder sich hiervon beeindrucken lässt, sollte der Rechtsanwalt Ihres Vertrauen das machen, was er gelernt hat: Das Gesetz lesen und sich überlegen, warum es eingeführt wurde.

LAG Nürnberg, Urteil v. 25.07.2013, Az.: 5 Sa 525/11


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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