Mobbing

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Anmerkungen zum 2. Mobbing-Urteil des LAG Thüringen vom 15.02.2001,
Az 5 Sa 102/2000, abgedruckt in Arbeit und Recht, Heft 6, 2002, S. 230 ff.

Das Thema Mobbing wird seit Jahren in der Öffentlichkeit, Medizin und Literatur diskutiert. Insbesondere dann, wenn sich ein Arbeitnehmer oder Beamter aufgrund der Umstände am Arbeitsplatz, namentlich durch Psychoterror, das Leben nimmt, wie z.B. die Polizeibeamtin Silvia Braun (OLG München, Az: 1 U 2443/01, stern Heft 39/2000, S. 84 ff.), gerät die Thematik in das Zentrum von Schlagzeilen und des öffentlichen Interesses.

Nur die Rechtsprechung stand dem erschreckenden Phänomen des Psychoterrors am Arbeitsplatz bisher zurückhaltend, hilflos bis ablehnend gegenüber.

Bis zu den maßgeblichen Entscheidungen des LAG Thüringen tat sich die Arbeitsrechtsprechung recht schwer mit dem Phänomen des Mobbings. Dieser Umgangsschwierigkeit korrespondierte eine entsprechende Beweisanforderung, die die Opfer kaum erfüllen konnten. Naturgemäß geben die Täter das Mobbing nicht zu und die anderen Mitarbeiter haben naturgemäß im Rahmen gruppendynamischen Verhaltens nichts gesehen oder gehört.

Angesichts dieser für die Opfer unerträglichen Rechtspraxis stellte bereits die erste Entscheidung des LAG Thüringen vom 10.04.2001, Az: 5 Sa 403/2000, ArbuR, 2001, S. 274 ff, einen Meilenstein und entscheidende Durchbruch der Rechtsprechung zur Thematik Psychoterror am Arbeitsplatz dar.

Die 2. Entscheidung setzt diesen Durchbruch in beeindruckender Weise fort.

Bereits die Ziffer 1. der Leitsätze hebt in eindringlicher Weise die Pflicht des Staates hervor, sein humanes Wertesystem effizient gegen Psychoterror am Arbeitsplatz zu schützen. In Konsequenz werden die Arbeitgeber in die Pflicht genommen, diesen grundgesetzlichen Anspruch auf Schutz vor Mobbing umzusetzen. Zutreffend erkennt das LAG Thüringen, dass Mobbing dem Arbeitgeber schadet und auch aus diesem Grunde Mitarbeiter wechselseitig verpflichtet sind, ihre Persönlichkeitsrechte zu achten.

Angesichts der Schwere der Rechtsverletzung durch Psychoterror für die Opfer und die Arbeitgeber ist es nicht nur konsequent, sondern geboten, in Mobbing einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund zu sehen, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt, ohne dass vorher eine Abmahnung ausgesprochen werden muss, wobei in jedem Einzelfall die Besonderheiten, insbesondere Schwere und Dauer der Rechtsverletzung, zu würdigen sind.

Diese zwingende Konsequenz ist angesichts der Folgen des Mobbing für Opfer und Arbeitgeber die richtige Antwort der Rechtsprechung auf diese Geisel der Arbeitswelt. Fakt ist, dass es in Deutschland ca. 1,5 Millionen Mobbingopfer gibt und weitere ca. 15 Millionen Arbeitnehmer mehr oder weniger häufig aufgrund der Situation am Arbeitsplatz krank werden (vgl. Etzel, Versicherungswirtschaft, Heft 6/1995, S. 356 ff; Etzel, Gablers Magazin, Heft 4/94, S. 39ff und Heft 10/94, S. 43 ff; Etzel, Gablers Magazin, Heft 6-7/96, S. 34 ff). Die Folgen des Psychoterrors am Arbeitsplatz sind für die Opfer einschneidend. Zwar existieren keine offiziellen Zahlen über die Suizide durch Mobbing, aber in Fachkreisen werden Zahlen aus dem Ausland auch für Deutschland relevant erachtet und mit ca. 15 bis 20 % beziffert. Dies ist eine Größenordnung von ca. 2.000 Toten pro Jahr in Deutschland. Diese erschreckende Quote sollte sich jeder, der mit dem Thema Mobbing zu tun hat, vor Augen halten. Es geht nicht nur um die Gesundheit der Betroffenen, sondern um deren Leben. Jeder Suizid ist einer zuviel. Daher muss alles Menschenmögliche unternommen werden, um die Suizidquote aufgrund von psychischer Folter am Arbeitsplatz drastisch zu reduzieren und im Idealfall auf Null zu drücken.

Die nachfolgende Mobbing-Definition ist überzeugend und lässt sich in der Praxis sehr gut anwenden:

„Definition:

Mobbing ist eine Methode des Psychoterrors und der Psychofolter, die geeignet ist, die Psyche des Opfers erheblich zu verletzen und hierdurch schwere Krankheitsbilder, insbesondere reaktive Depressionen, posttraumatische Belastungsreaktionen sowie psychosomatische Symptomenkomplexe hervorzurufen und das Opfer bis in den Suizid zu treiben. Dabei können sowohl kurzzeitige als auch über Monate währende Zeiträume Mobbing darstellen und diese Krankheitsbilder auslösen.

Mobbing erfüllt somit den Tatbestand der Folter und unangemessenen Behandlung im Sinne von Art. 3 MRK.“
(
Resolution Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten e.V.)

Auch die STASI hat sich wissenschaftlich profund mit Methoden des Psychoterrors beschäftigt und diese Methoden eingesetzt. Bezeichnend ist, dass die von der STASI perfide entwickelten psychoterroristischen Methoden in vielen Punkten mit den gängigen Mobbing-Methoden übereinstimmen. Somit setzen die Psychoterroristen quasi „Waffen aus dem Arsenal der ehemaligen STASI“ ein – und dies am Arbeitsplatz als Schauplatz zeitgemäßer , hinterhältiger Partisanenkriegsführung.

Aus diesen Gründen kommt es, wie das LAG Thüringen wiederum zutreffend ausführt, zur Feststellung des Psychoterrors nicht darauf an, dass psychoterroristische Handlungen über eine bestimmte Mindestlaufzeit oder wöchentlichen Frequenz stattfinden müssen. Vielmehr muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob bei Würdigung aller Umstände krankmachende Strukturen und/oder Verhaltensweisen in Form von Psychoterror vorliegen. Hierzu hat das LAG Thüringen bereits in seiner ersten Mobbing-Entscheidung Beweiserleichterungen für die Opfer begründet. Hiernach hat das jeweilige Gericht im Rahmen eines fairen Verfahrens und der naturgemäßen Beweisnot des Betroffenen, diesen persönlich zu hören und dessen Anhörung im Rahmen von Art. 6 EMRK, §§ 286, 448, 141 Abs. 1, Satz 1 ZPO zu würdigen.

Diese Rechtsprechung findet ihre folgerichtige Fortsetzung in der zweiten Mobbing-Entscheidung, wonach das Vorliegen eines mobbingtypischen medizinischen Befundes erhebliche Auswirkungen auf die Beweislage haben kann. Zutreffend führt das LAG Thüringen weiter aus, dass bei bestehender Konnexität zwischen behaupteten Mobbing-Handlungen und festgestellten Krankheitssymptomen ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptungen vorliege. Weiterhin können im Umkehrschluss die festgestellten mobbingtypischen Krankheitssymptome Aufschluss für die Schwere des Mobbings geben.

Die hier aufgezeigte Lösungsmöglichkeit der Beweisnot für die Opfer ist als epochal zu bezeichnen.

Denn es kann von der Logik immer nur drei Möglichkeiten geben, wenn jemand behauptet, er werde gemobbt und hierfür einen Sachverhalt vorträgt:

  1. Die Behauptungen stimmen
  2. Der angeblich Betroffene ist ein Psychopath, der aufgrund psychotischer Erkrankung oder sonstiger psychischer Auffälligkeiten reale Vorgänge unzutreffend wertet.
  3. Es handelt sich um einen Lügner.

Folglich ist es zunächst Aufgabe eines Rechtsanwaltes, der mit der Materie befasst wird, durch Einholung entsprechender ärztlicher, möglichst fachärztlicher Stellungnahmen abzuklären, ob der Mandant aus ärztlicher Sicht Wahrnehmungsdefizite oder sonstige psychischen Defizite hat, die die festgestellten Krankheitssymptome erklären können.

Dr. Thomas Etzel, Rechtsanwalt, München


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