Möglichkeit zur Minimierung von Pflichtteilsansprüchen

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Besprechung des BGH-Urteils vom 29.06.2016, Aktenzeichen: IV ZR 474/15.

Bei der Gestaltung letztwilliger Verfügungen kommt immer wieder der Wunsch des Testierenden zum Ausdruck, den Pflichtteilsanspruch eines Abkömmlings möglichst zu minimieren. Um dieses Ziel zu erreichen, übertragen Eltern häufig eine von ihnen bewohnte Immobilie auf ein Kind und verbinden dies mit der Erwartung, dass dieser Vermögenswert bei der Berechnung des späteren Pflichtteilsanspruches eines anderen Kindes keine Rolle mehr spielt.

In den meisten Fällen wird dieses Ziel aber verfehlt.

Zwar ordnet § 2325 BGB an, dass sich bei Zuwendungen des Erblassers der Wert des zugewandten Gegenstands um jedes volle Jahr nach der Zuwendung um 10 % bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs vermindert (Abschmelzmodell), sodass 10 Jahre nach der Zuwendung diese keine Rolle mehr spielt. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 1994 (BGH: „Eine Schenkung gilt als nicht geleistet, wenn der Erblasser den Genuss des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss.“) gilt dies dann aber nicht, wenn sich der Zuwendende die vollständige wirtschaftliche Nutzung des Vermögensgegenstands vorbehält. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Eltern den Nießbrauch (das umfassende Nutzungsrecht) der Immobilie vorbehalten, weil sie die Immobilie für sich selbst (sei es zu Wohnzwecken oder sei es für die Verwendung der Mieteinnahme) noch benötigen. In diesen Fällen, so hat der BGH schon vor langer Zeit ausgeurteilt, beginnt die Zehnjahresfrist überhaupt nicht zu laufen. Das Ziel der Erblasser, durch die vorweggenommene Erbfolge den Pflichtteilsanspruch eines Abkömmlings zu schmälern, ist vollständig verfehlt.

Offen – und in der Rechtsprechung unklar – war bislang die Situation, wie es sich verhält, wenn sich der Zuwendende (nur) ein Wohnrecht an der Immobilie vorbehält. Ein solcher Vorbehalt eines Wohnrechts ist der in der Praxis wesentlich häufigere Fall.

In einer neuen ganz aktuellen Entscheidung hat der BGH Gelegenheit gehabt, zu einer solchen Frage Stellung zu nehmen (BGH Urteil vom 29.06.2016, Aktenzeichen: IV ZR 474/15). Aufgrund dieses Urteils besteht nun für die Nachlassplanung ein deutlich größeres Maß an Rechtssicherheit, wenn auch noch nicht alle Fragen abschließend geklärt sind.

Im entschiedenen Fall hatte der verstorbene Vater als Erblasser zusammen mit seiner Ehefrau auf einen von zwei Söhnen das von beiden Eltern bewohnte Haus (bestehend aus Erdgeschoss, Obergeschoss und Dachgeschoss) im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge übertragen und sich nur an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss ein Wohnrecht vorbehalten, welches auch die Mitbenutzung des Gartens und einiger Nebenräume zum Inhalt hatte (Sachverhalt verkürzt). Die Eltern konnten laut Vereinbarung das Wohnungsrecht auch nicht auf Dritte übertragen.

Auf der einen Seite betont der BGH, auch in diesem Fall müsse man jeweils im Einzelfall genau entscheiden, ob die 10-Jahresfrist des § 2325 BGB im Rahmen der Übertragung des Eigentums zu laufen beginnt oder nicht. Das Kriterium für den vorliegenden Fall, weshalb der BGH zur Bejahung der Frage kam und der Pflichtteilsberechtigte damit leer ausging, sieht der BGH darin, dass sich die Eltern nur einen Teil der gesamten Immobilie zur alleinigen Wohnungsnutzung vorbehalten hatten, während der Sohn, dem die Immobilie übereignet wurde, den Rest uneingeschränkt nutzen konnte. Als weiteres Kriterium hat der BGH darauf abgestellt, dass das Wohnungsrecht nur den Eltern persönlich zustand und sie es nicht Dritten überlassen konnten, also auch das Haus nicht mehr in der Art und Weise nutzen konnten, die von ihnen bewohnte Wohnung zu vermieten. Da der Sohn die Immobilie im Übrigen selbst uneingeschränkt nutzen konnte, entfiel für die Eltern die Möglichkeit, das Haus weiterhin wie Eigentümer zu nutzen.

Daher kann im Ergebnis für die Gestaltung von Übergabeverträgen festgehalten werden, dass drei Umstände für den Fristbeginn sprechen, nämlich

(1) das Wohnungsrecht der übergebenden Eltern besteht nur noch an einem Teil des Grundstücks bzw. an Teilen der Räumlichkeiten der Immobilie,

(2) die Ausübung des Wohnungsrechts darf Dritten nicht überlassen werden und

(3) die Eltern können das Haus nicht mehr in der bisherigen Art und Weise nutzen.

Werden diese Grundsätze im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge bei der Übertragung von Immobilienbesitz auf Kinder berücksichtigt, kann die lebzeitige Übertragung ein erfolgreiches Instrument zur Verminderung von Pflichtteilsansprüchen von Abkömmlingen darstellen. Andererseits steht damit fest, dass bei vollständigem Vorbehalt der Wohnmöglichkeit (Wohnungsrecht) hinsichtlich der gesamten Immobilie das Ziel der Verminderung von Pflichtteilsansprüchen nicht zu erreichen ist und es sich insoweit um ein ungeeignetes Gestaltungsinstrument handelt.

Lothar Wegener

Fachanwalt für Erbrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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