Neuere Rechtsprechung zum Bundesvertriebenengesetz (BVFG) – Teil 2

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Hier soll auf die Entwicklung der Rechtsprechung des BVerwG und des OVG NW aus den letzten Jahren eingegangen werden.

I. Aufgabe des Wohnsitzes im Aussiedlungsgebiet

Die Aufhebung des Wohnsitzes im Aussiedlungsgebiet verlangt außer der tatsächlichen Aufgabe der Niederlassung einen Willensakt, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse nicht am bisherigen Wohnsitz zu belassen („Aufgabewille“). Der Aufgabewille ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ermitteln und kann häufig aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die bisherige Niederlassung für lange Dauer, insbesondere mit dem Ziel der Auswanderung, verlassen und ein neuer Wohnsitz begründet wird (OVG NW v. 30.8.2012, 11 A 2558/11).

Typische Fallkonstellationen:

1.Befristetes Arbeitsverhältnis

Bei befristeten Arbeitsverträgen dürfte in der Regel nicht von einer Wohnsitzaufgabe auszugehen sein (OVG NW v. 30.08.2012, 11 A 2558/11; BVerwG v. 19.06.2013, 5 B 87.12). Anders kann es aussehen, wenn das Aussiedlungsgebiet nicht zum Zweck der Arbeitsaufnahme, sondern zu sonstigen Zwecken verlassen wird, etwa als Asylsuchender.

2. Studenten

Die Aufnahme eines Studiums oder einer Ausbildung außerhalb des Wohnsitzes der Eltern lässt regelmäßig nicht auf die Begründung eines eigenständigen Aufenthalts am Niederlassungsort schließen, wenn nicht die räumlichen und persönlichen Beziehungen zum bisherigen Ort des ständigen Aufenthalts weitgehend gelöst oder gar völlig abgebrochen werden (BVerwG v. 09.11.1967; OVG NW v. 30.08.2012, 11 A 2558/11; OVG NW v. 14.06.2012, 11 A 2169/10).

Soweit ersichtlich bislang nicht geklärt, ist die in der Praxis sehr relevante Frage der Wohnsitzaufgabe bei Aufnahmebewerbern, die nach dem Abschluss des Studiums in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Arbeitssuche gem. § 16 Abs.4 AufenthG beantragen und erhalten. Hier dürfte es auf den Einzelfall ankommen, insb. falls eine Beschäftigung dann tatsächlich aufgenommen wird.

3. Asylbewerber, Flüchtlinge

Zu dieser Konstellation sei auf den Beschluss des BVerwG v. 26.08.2005, den Beschl. des OVG v. 31.05.2005, NW 2 A 4337/03 und das Urt. des VG Köln, 10 K 4974/14 v. 09.09.2015 verwiesen.

Es dürfte danach von einer Wohnsitzaufgabe auszugehen sein.

Dazu ein Hinweis: Möglicherweise besteht ein Anspruch auf Erteilung eines Härtefallaufnahmebescheids. Voraussetzung ist, dass die Übersiedlung nach Deutschland nicht nur aus anderen als vertriebenenrechtlichen Zwecken erfolgt, also nicht ausschließlich zum Zweck der Anerkennung als Asylsuchender bzw. Flüchtling. Der Aufnahmeantrag nach dem BVFG muss also vor (oder zumindest unmittelbar nach) der Wohnsitznahme in Deutschland gestellt worden sein. Erfolgt im Fall der Verneinung eines Härtefallgrunds die umgehende Rückreise ins Aussiedlungsgebiet, wird der fortbestehende bzw. ununterbrochene Wohnsitz dort gesetzlich fingiert. Anspruchsvernichtend ist also vor allem der Fall, in dem ein Asylsuchender keinen Aufnahmeantrag nach dem BVFG stellt oder erst (ggf. geraume Zeit) nach der Wohnsitzbegründung in Deutschland. Kehrt er sodann nach Ablehnung seines Asylantrages ins Aussiedlungsgebiet zurück und stellt erst von dort aus einen Aufnahmeantrag, wird das Bundesverwaltungsamt ihm die zwischenzeitliche Wohnsitzaufgabe wegen des Asylverfahrens vorhalten können.

II. Adoptivkinder

1. Einbeziehung eines adoptierten Kindes als Abkömmling in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers

Personen, die vom (späteren) Spätaussiedler vor dessen Aufnahme in Deutschland als Minderjährige adoptiert wurden, können als Abkömmlinge in den Aufnahmebescheid einbezogen werden. Insoweit besteht kein Streit.

Anders kann es bei der Adoption eines Volljährigen aussehen. Das BVerwG lässt diese Frage in der Entscheidung vom 21.11.2006, 5 C 19.05 (die Entscheidung erging noch zum alten Recht vor 1993, dürfte vom Rechtsgedanken her aber auch auf die seit 1993 mögliche Einbeziehung von Abkömmlingen anwendbar sein), teilweise offen. Jedenfalls sei eine erst lange Zeit nach Eintritt der Volljährigkeit erfolgte Adoption nicht zur Vermittlung der Abkömmlingseigenschaft (i.S.d. Art. 116 Abs.1 GG) geeignet, da dann typischerweise keine nach Art und Intensität vergleichbare Familieneinheit entstehe (im entschiedenen Fall war die Klägerin zum Zeitpunkt der Adoption bereits 55 Jahre alt und hatte auch ihre Kindheit nicht bei der deutschen Adoptivmutter verbracht).

2. Aufnahme eines adoptierten Kindes als Spätaussiedler

Das Merkmal der deutschen Abstammung in § 6 Abs.2 BVFG setzt die biologische Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen voraus, die Abstammung wird also nicht auch durch eine Adoption vermittelt (Oberverwaltungsgericht NW, Beschl. v. 18.11.2005, 12 E 838/05 m.w.N.).

III. Abstammung von deutschen Großeltern und Wiederaufgreifensanspruch

Seit dem Urt. d. BVerwG vom 25.01.2008, 5 C 8.07, ist geklärt, dass im Rahmen des § 6 Abs.2 BVFG auch die Abstammung von einem deutschen Großelternteil ausreicht.

Zuvor sind unzählige Aufnahmeanträge – insoweit zu Unrecht – quasi automatisch abgelehnt worden, wenn das Bundesverwaltungsamt zuvor oder zugleich auch den Aufnahmeantrag des deutschstämmigen Elternteils abschlägig beschied. Da die Rechtsprechung vor dem Urteil des BVerwG vom 25.01.2008 praktisch einhellig dahingehend ging, bei der Abstammung komme es nur auf die Abstammung von einem Elternteil (und nicht auch Großelternteil) an, sind die vor dem 25.01.2008 ergangenen negativen Bescheide des Bundesverwaltungsamts ganz überwiegend bestandskräftig geworden. Ein Wiederaufgreifensanspruch besteht in solchen Fällen jedoch nicht (BVerwG, Urt. v. 13.12.2011), auch nicht auf Grundlage des 10. BVFG-Änderungsgesetzes, da dieses bzgl. des Abstammungsmerkmals keine Änderung des Wortlauts des § 6 Abs. 2 BVFG enthält.


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