Neues Gesetz zum Cybergroomimg wirklich nötig?

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Was ist neu?

Das neue Gesetzespaket zur Kinder- und Jugendpornografie, das am 30. März 2020 in Kraft trat, rührt an den moralischen und juristischen Grenzen bisheriger Ermittlungsarbeit.

Ermittler haben künftig die Möglichkeit, im Internet als Lockvogel zu agieren. Sie dürfen digital erstellte Kinderpornos hochladen, um auf Onlineforen zugreifen zu können, die Neumitglieder nur zulassen, wenn diese Kinderpornografie teilen. Zudem wird schon der Versuch des

Cybergrooming, das gezielte Ansprechen von Kindern im Internet, um sexuelle Kontakte anzubahnen unter Strafe gestellt. In Zukunft ist damit auch strafbar, wenn die Täter nur glauben, mit einem Kind zu kommunizieren – tatsächlich aber mit verdeckten Ermittlern oder den Eltern Kontakt haben.

Manche mögen nun vielleicht sagen, das ist doch in Ordnung. Der Schutz der Kinder geht über alles.

Der Staat als Agent Provocateur?

Die Gefahr dabei ist allerdings, dass hier eine gefährliche der „Zweck-heiligt-alle-Mittel“-Überzeugung Platz greift. Was bewirkt es, wenn der Staat selbst als Agent Provocateur auftritt und pornografisches Material her stellt? Er kann nicht ausschließen, dass von diesem Material weitere Gefährdung ausgeht. Für die Polizei wird das Hochladen zum moralischen Problem, denn damit bringt sie weiteres kinderpornografisches Material in Umlauf, das wiederum dazu provozieren kann, dass noch mehr und noch drastischere Bilder und Filme erzeugt und geteilt werden.

Es gäbe doch Alternativen...

Dass man im Darknet quasi als Eintrittskarte inkriminiertes Material hochladen muss – ist so, ja.

Aber dafür gab es ja auch bisher schon Ermittlungsmethoden des BKA, so dass der Staat nicht selbst als Lockvogel auftreten müsste.

Kritiker wenden mit Recht ein: Es gebe bereits bestehende Regeln in der Gefahrenabwehr der Polizei, die nur nicht genutzt würden. Oft werde Hinweisen nicht effektiv nachgegangen, auch aufgrund von Personalmangel. Konstantin von Notz, der Netzexperte der Grünen sagt: "Wir brauchen dringend mehr Beamtinnen und Beamten der Polizei, die online tätig sind und die bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten effektiv nutzen.“ Er habe "erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken" bei der Neuregelung. Den Versuch von Cybergrooming strafbar zu machen sei eine "Vorverlagerung der Strafbarkeit“.1

Cybergrooming: Der bloße Versuch ist jetzt schon strafbar?

Widerspruch gab es im Bundestag auch beim Thema Cybergrooming. Bislang blieb es folgenlos, wenn ein Täter lediglich glaubt, auf ein Kind einzuwirken, tatsächlich aber mit einem Erwachsenen chattet, also möglicherweise mit einem verdeckten Ermittler. Der staatliche Lockvogel wird damit also sanktioniert und als rechtmäßig anerkannt.

Um Missverständnissen auch hier vorzubeugen: Ja, der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch ist gerade im anonymen Netz enorm wichtig. Es sollte aber die Frage nach dem Sinn und der Verhältnismäßigkeit erlaubt sein bzw. nach Strategien, die dem Problem der Pädophilie besser gerecht werden.

Sind Pädophile wirklich das Kernproblem?

Das neue Gesetzespaket folgt einem Denken, das den Pädophilen von vorneherein zum Monstrum und Scheusal erklärt. Diese Denkart ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Kaum ein Vergehen wird mehr tabuisiert und mit mehr Abscheu und Widerwillen begegnet.

Sexualwissenschaftler, Therapeuten weisen darauf hin – und dem kann ich mich aus meiner Praxis als Fachanwältin für Strafrecht und überzeugte Strafverteidigerin spezialisiert auf Sexualdelikte nur anschließen – dass gerade eine solche unreflektierte und hysterische Denkart gegenüber der Pädophilie dazu beiträgt, dass Pädophile für sich selbst und andere zum Problem werden.

Therapie hilft mehr als Tabus

Woher die Vorliebe für den kindlichen Körper rührt, ist noch immer ungeklärt. Es heißt, dass sowohl entwicklungsbiologische, psychische und soziale Faktoren an der Entstehung von Pädophilie beteiligt sind. Hingegen ist wissenschaftlich bewiesen, ein Pädophiler kann zwar nicht „geheilt“ werden, aber durchaus lernen, seine Neigung zu kontrollieren. Der Sexualwissenschaftler Klaus Michael Beier von der Charité in Berlin sagt: "Eine Therapie kann den Betroffenen erwiesenermaßen dabei helfen ... und dazu beitragen, Missbrauch zu verhindern."2 Und es ist davon auszugehen: Nicht jeder, der pädophile Neigungen hat, ist automatisch ein „Kinderschänder“.

Untersuchungen zeigen, dass sich etwa sechs Prozent aller in Deutschland lebenden Personen zwischen 18 und 75 Jahren sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Studien zufolge hat ein Prozent der Bevölkerung pädophile Neigungen, 250.000 Menschen wären das allein in Deutschland, in der Hauptsache Männer.

Pädophil = Kinderschänder?

Aus meiner Tätigkeit als Strafverteidigerin und aufgrund jahrelanger und zahlreicher Bearbeitung von Verfahren und Anklagen wegen dem Vorwurf sexueller Missbrauch von Kindern sowie Besitz und Verbreitung von  Kinderpornographie weiß ich: Die meisten Pädophilen führen in der Mehrzahl der Fälle ein verzweifeltes Dasein.

Sie fechten einen permanenten schmerzlichen Kampf mit sich selbst aus, bei dem die meisten von ihnen alleingelassen sind und schon aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung sich in völliger emotionaler Isolation bewegen, was die Problematik nur verschärft. So könnten aus einer pädophilen Veranlagung weitaus weniger sexuelle Übergriffe auf Kinder- und Jugendliche entstehen, wenn in der Öffentlichkeit und in den Medien anstelle diffuser Angst ein Klima vorhanden wäre, das dem Pädophilen Hilfe und Unterstützung zubilligt.

Viele Pädophile wollen und suchen Hilfe, wagen aber oft nicht, diese einzufordern. Es gibt Hilfsangebote wie das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ mit nachweislichem Erfolg, doch zu wenige können sie in Anspruch nehmen. Uwe Hartmann, als Sexualmediziner der Medizinischen Hochschule Hannover für das Projekt tätig, sagt "Viele Pädophile fühlen sich als Kinderschänder stigmatisiert. 

Sie sind gehemmt und ängstlich, weil sie wissen, dass die Mehrheit der Gesellschaft sie mit Sexualstraftätern gleichsetzt und dafür ausgrenzt." Und zwar auch wenn sie noch gar nichts getan haben.3

Mehr Offenheit im Umgang mit der Pädophilie könnte hier sicher mehr helfen als eine drastische Verschärfung der Gesetze, die über das normale moralische Maß hinausgeht. Wie es das Präventionsnetzwerk beschreibt, kennzeichnet Pädophile der innere Widerspruch, dass sie Kinder mehr lieben, als ihnen selbst lieb ist.

Mit entsprechender Unterstützung können sie selbst es sein, die sich an der Ausübung ihrer Neigung hindern.

Pädophile sind also erstens nicht per se "Kinderschänder" und zweitens sind sie in der Regel gerade nicht die Produzenten der im Netz verbreiteten Kinder- und Jugendpornografie.

Warum dann so viel Kinderpornographie?

Vielmehr ist letztere ein skrupelloses Geschäft, das gewerbsmäßig betrieben wird. Hinzu kommt: Viele Konsumenten sammeln kinderpornografisches Material aus Langeweile und Unachtsamkeit, mitunter auch aus bloßer Einfältigkeit auf ihren PCs – unter anderem, weil sie beim Herunterladen legaler Pornografie nicht darauf achteten, dass sich auch illegale Bilder und Videos darunter gemischt haben.

Das Problem dabei ist, dass auf diese Weise eine Nachfrage erzeugt wird, die die gewerbsmäßigen Banden auf den Plan ruft, die kinder- und jugendpornografisches Material produzieren, im Darknet geschäftsmäßig vertreiben und dafür rücksichtslos Kinder und Jugendliche oft aus prekären Verhältnissen rekrutieren. Der emotionale Schaden für die Betroffenen ist immens. Das neue Gesetzespaket hat mit dieser katastrophalen Realität bedauerlicherweise wenig zu tun.

Und die neuen Gesetze?

Zurück zu den meiner Überzeugung nach völlig zu Unrecht verschärften, neuen Gesetzen:

Diese sind bereits deswegen nicht erforderlich, weil sich ihr Ziel und Zweck wesentlich einfacher realisieren ließe:

Denn insbesondere Eltern können schon einiges selbst tun, um ihre Kinder besser zu schützen. Es ist technisch einfach, zu differenzieren, was Kinder im Netz zu sehen bekommen und was nicht.

Zugleich wäre es durchaus möglich und sinnvoll, die Auflagen gegenüber den Betreibern entsprechender Plattformen, was die Legitimation der User angeht, zu erhöhen.

Digital erzeugte pornografische Bilder und die damit verbundenen Folgen sind also nicht erforderlich, um gegen Pädophilie wirksam vorzugehen, können allerdings das Problem verschärfen.

Generell Cybergrooming unter Strafe zu stellen, vorverlagert die Strafbarkeit und kann Möglichkeiten und Chancen unterbinden, dem Problem der Pädophilie jenseits des Strafrechts zu begegnen.

Die Strafverfolgung hat in einem solchen Fall also nicht tatsächlich eine Person im Visier, die nach realem Kontakt zu einem Kind sucht. 

Daher – die neuen Gesetze sind unnötig. Und bedenklich ist es, alles über weitere Strafbarkeiten lösen zu wollen!

1 Clara Lipkowski, Gesetzesänderung. Der Staat als Lockvogel, (Abruf: 5.04.2020)

https://www.sueddeutsche.de/politik/kindesmissbrauch-cybergrooming-bundestag-gesetz-1.4760925

2 Alina Schadwinkel, Pädophilie. Jede Therapie zählt, (Abruf: 7.04.2020) https://www.zeit.de/wissen/2016-

10/paedophilie-sexuelles-verlangen-kinder-missbrauch

3 Präventionsnetzwerk. Kein Täter werden (Abruf: 9.04.2020) https://www.kein-taeter-werden.de


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