OLG Hamm: Indiz für Rechtsmissbrauch in der Hauptsache, wenn Reaktion im EV-Verfahren verschwiegen wurde

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Unterlassungsansprüche bei einer Abmahnung im Wettbewerbsrecht werden nach Fristablauf in der Regel durch ein Eilverfahren durchgesetzt. Bei dieser sogenannten einstweiligen Verfügung entscheidet das Gericht in der Regel ohne mündliche Verhandlung. Der Abgemahnte erfährt häufig erst durch Zustellung der einstweiligen Verfügung von dem Beschluss des Landgerichtes, mit dem ihm eine bestimmte wettbewerbswidrige Handlung unter Androhung eines Ordnungsgeldes untersagt wird.

Aufgrund der weitreichenden Folgen einer einstweiligen Verfügung, diese ist mit Zustellung sofort einzuhalten, hat das Bundesverfassungsgericht strengere Regelungen an die Rechtsstaatlichkeit dieses Verfahrens geknüpft: Das Gericht muss über alles informiert sein, was bis zum Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung geschehen ist. Dazu gehört insbesondere, ob es auf die Abmahnung eine Reaktion des Abgemahnten gab.


Wird die Reaktion des Abgemahnten bei Beantragung einer einstweiligen Verfügung verschwiegen, liegt Rechtsmissbrauch vor. Die einstweilige Verfügung ist dann aufzuheben.

Die einzige Möglichkeit, die dem Abmahner dann noch bleibt, ist, die Ansprüche dann im Wege einer normalen Klage, einer sogenannten Hauptsacheklage geltend zu machen.




OLG Hamm: Rechtsmissbrauch wegen Verschweigen der Reaktion im einstweiligen Verfügungsverfahren ist auch ein Indiz für Rechtsmissbrauch in der Hauptsache


Das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023, Az.: I 8 O 45/21) hat in einer derartigen Konstellation auch im Hauptsacheverfahren Rechtsmissbrauch angenommen.


Unsere Kanzlei hatte in diesem Verfahren den Abgemahnten und Beklagten vertreten.


Wir hatten den Abgemahnten bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Arnsberg vertreten. Da dort die Reaktion des Abgemahnten bei der Beantragung der einstweiligen Verfügung verschwiegen wurde, wurde die einstweilige Verfügung wegen Rechtsmissbrauchs aufgehoben. Diese Entscheidung wurde rechtskräftig.


In dem OLG-Verfahren, Az.: I – 8 O 45/21 verfolgte die Klägerin die Ansprüche weiter, wobei unter anderem Auskunfts- und Zahlungsansprüche geltend gemacht wurden, die Unterlassungsansprüche wurden nicht weiterverfolgt.


Bemerkenswerterweise sieht das OLG in einem Hauptsacheverfahren ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen im Sinne von § 8 c UWG, wenn im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren die Reaktion des Abgemahnten auf die vorgerichtliche Abmahnung verschwiegen wurde:


„Ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen im Sinne von § 8c UWG n.F. ergibt sich daraus, dass die Klägerin im einstweiligen Verfügungsverfahren gegenüber dem Landgericht die Reaktion der Beklagten auf die vorgerichtliche Abmahnung verschwiegen hat. ….


Danach verpflichtet die prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO den Antragsteller zu vollständiger Erklärung über die tatsächlichen Umstände. Kann dem Antragsteller eine planmäßig gezielte Gehörsvereitelung zur Erschleichung eines Titels vorgeworfen werden, kann ein Verfügungsantrag als rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.12.2020 – 1 BvR 2575/20, GRUR-RS 2020, 37381, Rn. 13). Vor diesem Hintergrund kann eine grobe Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht zu bejahen sein, wenn der Antragsteller seine Verpflichtung aus § 138 Abs. 1 ZPO, sich vollständig und wahrheitsgemäß zu erklären, dadurch verletzt, dass er lediglich vorträgt, der Antragsgegner habe auf Abmahnung keine Unterlassungserklärung abgegeben, und verschweigt, dass sich der Antragsgegner umfangreich dazu geäußert hat, weshalb die Abmahnung unberechtigt sei (vgl. OLG München, Urteil vom 08.06.2017 – 29 U 1210/17, WRP 2017, 1523 und vom 05.08.2021 – 29 U 6406/20, juris Rn. 4; OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.04.2021 – 3 U 700/21, juris Rn. 34f).


cc.) Nach dieser Maßgabe ist der Klägerin hier eine gezielte Vereitelung des rechtlichen Gehörs vorzuwerfen, aus der sich ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten schon bei Ausspruch der Abmahnung ergibt. Die Klägerin verschwieg bei Einreichung ihres auf den 11.03.2021 datierenden Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht am 12.03.2021 um 18:48 Uhr die ihr unstreitig am gleichen Tage zeitlich zuvor um 11.30 Uhr zugegangene Stellungnahme der Beklagten zu der Abmahnung. In diesem Schreiben führte die Beklagte aus, ………..


Anstatt diesen Schriftsatz vorzulegen, führte die Klägerin in ihrer Antragsschrift aus, auf ihr Abmahnschreiben hin sei innerhalb der gesetzten Frist keinerlei Reaktion erfolgt. Dieses Verhalten stellt einen groben Verstoß gegen die Verpflichtung zur vollständigen und richtigen Erklärung über die tatsächlichen Umstände dar, da die Klägerin das Antwortschreiben der Beklagten, wenn auch nur einige Stunden, so doch unstreitig vor Einreichung ihrer Antragsschrift bei Gericht erhalten hatte. Sie wäre daher verpflichtet gewesen, dem Gericht unter Vorlage des Schreibens vom 12.03.2021 mitzuteilen, dass die Beklagte die Ansprüche vorprozessual zurückgewiesen hatte.  Jedenfalls aber hätte die Klägerin die Antwort der Beklagten unverzüglich nachreichen und dem Landgericht auf diese Weise doch noch vor Erlass einer Entscheidung, welche erst mehrere Tage später erfolgte, zur Kenntnis bringen müssen (vgl. OLG München, Urteil vom 05.08.2021 – 29 U 6406/20, juris Rn. 8). Auch dies unterließ die Klägerin jedoch, so dass das Landgericht - in Unkenntnis des Antwortschreibens - am 17.03.2021 die einstweilige Verfügung antragsgemäß im Beschlusswege erließ, ohne die Beklagte zuvor am Verfahren beteiligt zu haben. Nachdem die Beklagte Widerspruch eingelegt und ihr vorgerichtliches Schreiben vom 12.03.2021 zur Akte gereicht hatte, bezeichnete die Klägerin die „unmittelbare Einreichung der bereits Tage vorher diktierten und am 11.03.2021 ausgefertigten Antragsschrift als zulässige Form der effektiven und nachdrücklichen Durchsetzung eigener Rechte“. Dass sie bewusst den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verkürzt hatte, kümmerte die Klägerin ersichtlich nicht; vielmehr negierte sie – wie das Landgericht in seinem Urteil vom 24.06.2021 zutreffend ausgeführt hat - weiterhin die aus § 138 Abs. 1 ZPO folgende Notwendigkeit, ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Das Landgericht wies den Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 11.03.2021 dann auch unter Aufhebung seines Beschlusses vom 17.03.2021 zurück. Dies beruhte maßgeblich auf der Erwägung, dass die Klägerin das als Reaktion auf die Abmahnung erfolgte Schreiben der Beklagten vom 12.03.2021 verschwiegen hatte und daher die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs wegen Verstoßes gegen die prozessuale Wahrheitspflicht gem. § 138 Abs. 1 ZPO rechtsmissbräuchlich war…..“


Entscheidend war für das OLG, dass darüber hinaus noch weitere Umstände vorlagen, die in einer Zusammenschau den Vorwurf des Rechtsmissbrauches begründeten.


Dazu gehörte z.B., dass der Unterlassungsanspruch nicht weiterverfolgt wurde und nach Ansicht des OLG ein deutlich übersetzter Streitwert der Abmahnung zugrunde gelegt wurde.


Verschweigen der Reaktion des Abgemahnten im einstweiligen Verfügungsverfahren als Indiz für Rechtsmissbrauch in der Hauptsache


Bemerkenswert an der Entscheidung des OLG Hamm ist, dass das Verhalten des Abmahners im einstweiligen Verfügungsverfahren auch ein Indiz für Rechtsmissbrauch in der Hauptsache sein kann. Ob ein derartiger Rechtsmissbrauch für sich genommen ausreichend ist, um auch einen Rechtsmissbrauch im Hauptsacheverfahren anzunehmen, dürfte nicht abschließend geklärt sein. Aus unserer Beratungspraxis heraus habe ich jedoch regelmäßig den Eindruck, dass in Fällen, in denen bei der Beantragung einer einstweiligen Verfügung nach einer Abmahnung eine Reaktion dem Gericht im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht vorgelegt wird, es häufig noch weitere Indizien gibt, die für Rechtsmissbrauch sprechen.


Zu mir und meiner Tätigkeit:


Ich berate als Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz in meiner Kanzlei Internetrecht-Rostock.de tagtäglich Abgemahnte gerichtlich und außergerichtlich und verfüge daher über Erfahrung aus einer Vielzahl von Abmahnverfahren.

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Johannes Richard

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz




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