Pflichtteil berechnen - Schritt für Schritt

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Das Pflichtteilsrecht birgt zahlreiche Probleme. Häufig streiten der Enterbte und der Erbe nicht darum, ob Pflichtteilsansprüche bestehen, sondern um die Höhe des Pflichtteils. Im nachfolgenden Beitrag finden Sie eine Anleitung zur Berechnung des Pflichtteils – von den Fachanwälten für Erbrecht und Pflichtteilsexperten der Kanzlei ROSE & PARTNER.

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1. Das Grundprinzip

Die Basis der Pflichtteilsberechnung ist die folgende Gleichung:

Pflichtteilsquote x Pflichtteilsnachlass = Pflichtteilsanspruch

Noch einfacher:

Quote x Nachlass = Anspruch

Beispiel: Ihr Vater stirbt. Ihre Mutter ist bereits verstorben. Ihre Schwester bekommt alles und Sie wurden per Testament enterbt. Der Nachlass beträgt 1 Mio. Euro Nach der gesetzlichen Erbfolge teilen Sie sich eigentlich das Erbe hälftig mit Ihrer Schwester. Der Pflichtteil beträgt dann ¼.  Und ¼ von 1 Mio sind 250.000 Euro.

2. Pflichtteilsquote ermitteln

Zunächst einmal müssen Sie überhaupt zum erlesenen Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehören. Das sind sie regelmäßig dann, wenn Sie ein Kind oder Ehegatte des Verstorbenen sind. Aber auch Enkel oder Eltern können ausnahmsweise pflichtteilsberechtigt sein, wenn Sie auch zum Kreis der gesetzlichen Erben gehören.

 Wenn Sie pflichtteilsberechtigt sind und durch ein Testament enterbt wurden, beträgt Ihre Pflichtteilsquote genau die Hälfte Ihres gesetzlichen Erbteils. Und dieser gesetzlicher Erbteil richtet sich nach der gesetzlichen Erbfolge.

Die konkreten Erb- und Pflichtteilsquoten für „Ihren“ Erbfall können Sie ganz einfach mit unserem Erb- und Pflichtteils-Check online ermitteln: ROSE & PARTNER Erb- und Pflichtteils-Check

3. Der Nachlass und die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche

Mit welchem Nachlasswert muss ich nun die Pflichtteilsquote multiplizieren? Hierfür benötigen Sie ein Nachlassverzeichnis mit allen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten des Erblassers. Das ist regelmäßig mit Aufwand verbunden, aber glücklicherweise nicht für Sie. So ein Nachlassverzeichnis schuldet Ihnen nämlich der Erbe. Fordern Sie ihn einfach auf, Ihre Auskunftsansprüche zu erfüllen. Sie bekommen also eine vollständige Aufstellung des Nachlasses mit allen Vermögenswerten, also Immobilien, Geld, Wertpapiere, Unternehmensbeteiligungen, Forderungen, KFZ etc.

Bei Vermögenswerten wie Immobilien oder Firmenanteilen reicht es natürlich nicht aus, zu wissen, dass diese zum Nachlass gehören. Ebenso wichtig ist der Wert dieser Objekte. Und tatsächlich schuldet der Erbe Ihnen sogar Wertgutachten für diese Positionen, wenn Sie ihn dazu auffordern. Kleiner Wermutstropfen: Die Kosten für die Gutachten werden vom Nachlass getragen und mindern damit auch Ihren Pflichtteil.

4. Abzug von Schulden

Ausschlaggebend für die Höhe des pflichtteilsrelevanten Nachlasses ist natürlich nur das, was unterm Strich tatsächlich vorhanden ist. Abgezogen von den Vermögenswerten werden daher die Schulden des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes sowie die sogenannten Erbfallschulden. Das sind Verbindlichkeiten, die durch den Erbfall entstehen. Dazu gehören z.B. die Beerdingungskosten oder eine etwaige Zugewinnausgleichsforderung des Ehegatten. Keine abzugsfähigen Erbfallschulden sind dagegen Vermächtnisse oder Auflagen.

5. Pflichtteilsergänzung wegen Schenkungen

Ein großes Problemfeld bei der Berechnung des Pflichtteils sind Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten zulasten des Pflichtteilsberechtigten getätigt hat. Vielleicht stellt man nämlich fest, dass der Nachlass irgendwie ziemlich klein ist, und das vermutlich daran liegt, dass der Erblasser schon zu Lebzeiten etwa Immobilien oder größere Geldbeträge an den Erben oder andere Personen verschenkt hat.

Die Antwort des Gesetzgebers auf diese Strategie des „Armschenkens“ sind die sogenannten Pflichtteilsergänzungsansprüche. Dabei tut man so, als würde der verschenkte Vermögenswert, also z.B. ein Haus oder ein Geldbetrag, noch zum Nachlass gehören. Tritt der Erbfall innerhalb eines Jahres nach der Schenkung ein, gehören regelmäßig 100 Prozent des Schenkungswertes zum pflichtteilsrelevanten Nachlass. Ein Jahr später sind es noch 90 Prozent, nach einem weiteren Jahr 80 Prozent und erst nach 10 Jahren spielt die Schenkung bei der Pflichtteilsberechnung keine Rolle mehr. Es lohnt sich also, vom Erben auch Auskunft über solche Schenkungen zu verlangen.

Für die konkrete Berechnung erweitern wir einmal unser Berechnungsbeispiel:

Ihr Vater hatte Sie enterbt, Ihre Pflichtteilsquote betrug ¼, der Nachlass 1 Mio und Ihr Pflichtteilsanspruch demnach 250.000 Euro. Außerdem hatte Ihr Vater aber 4,5 Jahre vor seinem Tod Ihrer Schwester 100.000 Euro geschenkt. Da seit der Schenkung vier volle Jahre bis dem Erbfall vergangen sind, werden noch 60 Prozent bei der Pflichtteilsberechnung berücksichtigt. Mit jedem Jahr reduzieren sich die 100.000 Euro nämlich um 10 Prozent. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch beträgt demnach ¼ von 60.000 Euro, somit 15.000 Euro. Insgesamt können Sie somit 265.000 Euro Pflichtteil einfordern: die 250.000 für den noch vorhandenen Nachlass und die 15.000 für die Pflichtteilsergänzung wegen Schenkung.

Von diesem Grundprinzip der Pflichtteilsergänzung bei Schenkung gibt es eine ganze Reihe von Ausnahmen und Besonderheiten, zum Beispiel bei Schenkungen unter Eheleuten oder unter Nießbrauchsvobehalt. Und Bewertungsprobleme gibt es hier natürlich auch.

6. Anrechnung von Schenkungen an den Pflichtteilsberechtigten

Was ist jetzt aber, wenn nicht der Erbe oder ein Dritter zu Lebzeiten vom Erblasser beschenkt wurde, sondern Sie – der enterbte Pflichtteilsberechtigte? Dann müssen Sie sich gegebenenfalls diese Schenkung bei der Berechnung des Pflichtteils anrechnen lassen. Das gilt jedoch nur, wenn der Schenker diese Anrechnung auf den Pflichtteil angeordnet hat – es sei denn Sie machen selbst Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend. Gibt es einen Schenkungsvertrag, zum Beispiel bei der Übertragung einer Immobilie beim Notar, erfolgt so eine Anordnung regelmäßig ausdrücklich. Sie kann sich aber auch aus den Umständen ergeben also konkludent angeordnet werden. Da kann man also wunderbar drüber streiten.

Wie wird so eine anrechenbare Schenkung nun bei der Berechnung des Pflichtteils berücksichtigt? Nun, es ist nicht so, dass die Schenkung schlicht vom Pflichtteil abgezogen wird. Man schlägt vielmehr den Wert der Schenkung dem Nachlass hinzu und berechnet aus diesem fiktiven Nachlass den Pflichtteil. Von diesem zieht man dann die Schenkung ab.

Zum Verständnis noch mal eine Erweiterung des Rechenbeispiels:

Ihre Pflichtteilsquote als Kind betrug ¼, der Nachlass 1 Mio. und Ihr Pflichtteilsanspruch 250.000 Euro. Nun hatte Ihr Vater aber Ihnen zu Lebzeiten 200.000 Euro geschenkt und dabei gesagt, dass Sie sich das auf Ihren Pflichtteil anrechnen lassen müssen.

Wir ermitteln also im ersten Schritt den fiktiven Pflichtteil, indem wir den Wert der Schenkung – 200.000 Euro – zum Nachlass von 1 Mio Euro addieren. Fiktiver Pflichtteilsnachlass somit: 1.200.000 Euro. Bei einer Pflichtteilsquote von ¼ kommt man auf einen Pflichtteil von 300.000 Euro. Und von diesem Betrag muss ich jetzt die zu Lebzeiten erhaltenen 200.000 Euro abziehen. Und übrig bleibt dann ein Pflichtteil von 100.000 Euro.

7. Praxistipps

Wird über die Höhe des Pflichtteils gestritten, geht es nur in Ausnahmefällen um die Pflichtteilsquote. Die beträgt schließlich stets die Hälfte der gesetzlichen Erbquote, die in den meisten Fällen unproblematisch zu ermitteln ist.

Bei Konflikten in Sachen Pflichtteil geht es in der Praxis vielmehr um die Fragen:

  • Was gehört zum Nachlass?
  • Welche Schenkungen müssen wie berücksichtigt werden?
  • Und vor allem: Welchen Wert setzt man für die Vermögenswerte bei der Pflichtteilsberechnung an?

Vor Gericht stehen dann neben rechtlichen Fragen vor allem Beweisfragen und Sachverständigengutachten im Mittelpunkt. Häufig kommt es übrigens in den Fällen zum Streit, in denen der Erblasser zu Lebzeiten gezielt versucht hat, den Pflichtteil eines enterbten Angehörigen zu mindern. Neben lebezeitigen Schenkungen stehen ihm hierfür noch eine Reihe weiterer Instrumente zur Verfügung.

Wenn Sie es genau wissen wollen, welche Höhe der Pflichtteil hat bzw. wie man Pflichtteilsansprüche berechnet, besuchen Sie unsere Kanzlei-Website mit vielen Tipps unserer Fachanwälte für Erbrecht: 

https://www.rosepartner.de/pflichtteil-berechnen-hoehe-quote-anspruch.html


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