Pflichtverteidigung: Polizeiliche Ermittlungen gegen mich – Recht auf sofortige Bestellung eines Pflichtverteidigers?

  • 3 Minuten Lesezeit

In etlichen im Internet kursierenden Beiträgen wird die Frage behandelt, unter welchen Voraussetzungen ein Fall der "notwendigen Verteidigung" anzunehmen ist bzw. ein Beschuldigter einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger hat  (§ 140 StPO). Dahingegen wird der zeitliche Aspekt, also die Frage, zu welchem Zeitpunkt im Verfahrenaverlauf die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfolgt bzw. verlangt werden kann, vergleichsweise selten thematisiert. Diese Lücke überrascht, da der Zeitpunkt der Beiordnung von kaum zu überschätzender praktischer Bedeutung ist. Strafverteidigung ist bekanntermaßen umso effektiver, je frühzeitiger sie im Verfahrensverlauf einsetzt. Das ist durch wissenschaftliche Studien eindeutig belegt. Der folgende Artikel möchte diese Lücke schließen und soll sich daher bewusst nicht mit dem "Ob", sondern ausschließlich mit dem "Wann" der Pflichtverteidigungbeiordnung beschäftigen.


Die Polizei ermittelt gegen mich – kann ich sofort einen Pflichtverteidiger verlangen oder muss ich erst den Abschluss des Ermittlungsverfahrens abwarten?

Handelt es sich bei Ihrer Sache um einen Fall der notwendigen Verteidigung, haben Sie ab dem Moment, in dem die Ermittlungen eingeleitet wurden – also noch vor der ersten Konfrontation mit der Polizei oder der Staatsanwaltschaft – das Recht, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu verlangen. 

Damit Ihnen schon im laufenden Ermittlungsverfahren ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt wird, der Sie frühzeitig beraten und gegenüber den Ermittlungsbehörden verteidigen kann, müssen Sie allerdings in vielen Fällen selbst aktiv werden und einen entsprechenden Antrag stellen. Denn aus der Notwendigkeit der Verteidigung – das ist leider die geltende Rechtslage – folgt nicht unmittelbar die Notwendigkeit der sofortigen Pflichtverteidigerbestellung. Ohne eigene Mitwirkung bzw. einen Antrag wird Ihnen ein Pflichtverteidiger in den allermeisten Fällen erst nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens und bereits erfolgter Anklageerhebung bestellt werden. Denn nur in bestimmten Sonderkonstellationen, insbesondere bei besonders einschneidenden vorläufigen Maßnahmen wie z.B., wenn ein Beschuldigter in Untersuchungshaft genommen werden soll, muss nach dem Gesetz sofort und unabhängig von einem Antrag ein Pflichtverteidiger bestellt werden.

Zu allem Übel werden Beschuldigte auf diese (missliche) Rechtslage nur in den seltensten Fällen hinreichend verständlich hingewiesen. Eine typische Floskel, die in Beschuldigtenschreiben gerne verwendet wird, lautet etwa: 

“Ein Verteidiger wird Ihnen in diesem Verfahrensabschnitt ohne Antrag nicht beigeordnet”. 

Hier muss man schon weitgehende rechtliche Vorkenntnisse mitbringen bzw. sehr genau zwischen den Zeilen lesen, um zu verstehen, was sich hinter dem unscheinbaren Satz mit seiner doppelten Verneinung eigentlich verbirgt, nämlich: 

“Sie haben das Recht auf einen Verteidiger! Wenn Sie einen möchten, rufe ich Ihnen sofort einen! Das kostet Sie nichts, und dann kann der Ihnen alles erklären und Sie beraten! Sie müssen es nur deutlich sagen!”.

Die Folge ist, dass Beschuldigte in der Praxis regelmäßig erst viel zu spät einen Verteidiger zur Seite gestellt bekommen, nämlich erst nachdem sie unverteidigt durch das besonders kritische Ermittlungsverfahren gegangen sind und ein Schaden nicht selten bereits angerichtet ist.


Ratschlag

Falls Sie sich die Kosten für einen Wahlverteidiger nicht leisten können, empfehle ich Ihnen nichtsdestotrotz frühzeitig einen Anwalt aufzusuchen. Suchen Sie gezielt nach Verteidigern, der zur Übernahme von Pflichtverteidigungen bereit (und auch tatsächlich willens!) ist. Vereinbaren Sie zumindest ein Erstgespräch. Das bieten viele Strafverteidiger sogar kostenlos an. Erkundigen Sie sich dabei aktiv, ob in Ihrer Situation möglicherweise ein Anspruch auf einen Pflichtverteidiger besteht.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Adriano Clausen

Beiträge zum Thema