Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen

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Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen – Urteil des BGH vom 07.05.2014

Mit Urteil vom 07. Mai 2014 hat der Bundesgerichtshof gemäß den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) entschieden, dass die Lebensversicherung des Klägers ohne ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung auch heute noch wirksam widerrufen werden kann. Somit steht für jeden Verbraucher, der zwischen 1995 und 2007 eine Lebensversicherung abgeschlossen hat und nicht gesetzeskonform belehrt wurde, diese Möglichkeit ebenfalls offen. Nach Übermittlung der Widerspruchsbelehrung hat der Versicherungskunde Anspruch auf Rückerstattung sämtlicher gezahlter Beiträge durch die Versicherungsgesellschaft. Zudem ist wahrscheinlich, dass der Versicherungskunde ebenfalls nicht erhaltene Zinsen verlangen kann.

Rückabwicklung durch Ausübung des Widerspruchsrechts bei Lebens– und Rentenversicherungsverträgen

Versicherungsnehmer, die ihre Lebens- oder Rentenversicherung, zwischen dem 29.07.1994 und dem 31.12.2007 abgeschlossen haben, können diese rückabwickeln, wenn die dem Versicherungsvertrag zu Grunde liegende Widerspruchsbelehrung fehlerhaft ist. Es geht um Kapitallebensversicherungen und Rentenversicherungen, die nach dem sogenannten „Policenmodell“ abgeschlossen wurden.

Beim sog. Policenmodell handelt es sich um ein besonderes Verfahren zum Abschluss eines Versicherungsvertrages. Der Vertragsabschluss nach dem Policenmodell ist seit der Reform des Versicherungsvertragsgesetz (VVG) unzulässig (- IV ZR 76/11 - und - IV ZR 73/13 -).

Nach dem Policenmodell übermittelte das Versicherungsunternehmen dem Versicherungsnehmer die Pflichtinformationen für Verbraucher (Versicherungsbedingungen AVB, Belehrung über Widerrufsrechte usw.) erst zusammen mit der Police, also dem Versicherungsschein.

Nach dem Policenmodell wird der Versicherungsvertrag erst dann wirksam geschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen schriftlich widerspricht. Das bedeutet, der Versicherungsnehmer muss, anders als nach dem Antragsmodell, selbst aktiv werden, um zu verhindern, dass der Vertrag zu Stande kommt.

Pflichtinformationen, AVB und die Police wurden also zeitgleich an den Versicherungsnehmer übergeben.

Versicherungsnehmer können danach unter bestimmten Voraussetzungen die Versicherungsverträge widerrufen und so die bezahlten Beiträge sowie eine zusätzliche Verzinsung zurück erhalten.

Voraussetzungen für eine Rückabwicklung

Wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist, hat die Widerspruchsfrist nie begonnen und dem Vertrag kann nach vielen Jahren heute noch widersprochen werden (BGH Urteile vom 07.05.2014 – IV ZR 76/11 und vom 19.11.2014 - IV ZR 329/14).

Fehlerhaft ist die Widerrufsbelehrung, wenn:

  • In der Widerspruchsbelehrung steht nicht, dass es ausreicht, wenn Sie Ihren Widerspruch innerhalb der 30-Tage-Frist (14 Tage bei Verträgen mit Abschlussdatum vor dem 8.12.2004) absenden. Der Widerspruch muss nämlich nicht innerhalb der Frist beim Versicherer eingehen, sondern nur abgesendet werden.
  • Wenn Ihr Vertrag 2002 oder später abgeschlossen wurde, muss in der Widerspruchsbelehrung ausdrücklich auf die Textform, nicht auf die Schriftform des Widerspruchs hingewiesen sein. Das bedeutet, dass seit 2002 auch eine E-Mail als Widerspruch ausreicht.
  • Die Widerspruchsbelehrung muss sich deutlich vom übrigen Text abheben und darf nicht ohne Hervorhebung in den Versicherungsbedingungen stehen.
  • Die Belehrung muss optisch deutlich vom Vertragstext hervorgehoben sein. Sollte dies nicht der Fall sein, ist die Widerrufsbelehrung (BGH Urteil vom 07.05.2014 – IV ZR 76/11).

Gekündigte Lebensversicherungen

Wie der BGH in seinem Urteil vom Mai 2014 mitteilte, können auch bereits gekündigte Lebensversicherungen rückabwickelt werden, solange sie bis zum 01.01.2003 noch liefen.

Sogar Verträge, die schon gekündigt wurden und der Rückkaufswert von der Versicherung schon ausbezahlt wurde, können unter Umständen trotz Kündigung und Auszahlung rückabgewickelt werden und durch einen Widerruf noch wirksam beseitigt werden. Versicherungsnehmer erhalten dann nachträglich noch die Differenz zwischen dem Rückkaufswert, der Ihnen ausbezahlt worden ist, und der Summe aller Beiträge nebst Verzinsung.

Folgen des Widerrufs

Die Rückabwicklung der Versicherung bedeutet, dass der Versicherungsnehmer so gestellt wird, als wäre der Versicherungsvertrag nie geschlossen worden. Der Versicherungsnehmer erhält also sämtliche bezahlten Beiträge plus Zinsen zurück, ohne Abzug von Provisionen, Abschlussgebühren oder sonstigen Kosten (BGH Urteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 und IV ZR 448/14).

Der BGH hat entschieden, dass die Versicherer Abschluss- oder Verwaltungskosten nicht einbehalten dürfen. Die Abschlusskosten sind der Versicherung zuzurechnen. Der Verbraucher darf nach europäischem Recht nicht faktisch daran gehindert werden, sein Widerruf geltend zu machen. Abziehen darf der Versicherer nur die Kosten für den „genossenen Versicherungsschutz“, zum Beispiel die Risikobeiträge für den Todesfallschutz. Neben einem Abschlag für den Versicherungsschutz können die Versicherer noch die an das Finanzamt abgeführte Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag einbehalten.

Mit der Neufassung des Versicherungsvertragsgesetzes zum 01.01.2008 wurde das „Policenmodell“ abgeschafft. Seitdem hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer vor dessen Antragserklärung die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie weitere vertragsbezogene Informationen in Textform mitzuteilen. Nach dem heute verbreiteten „Antragsmodell“ müssen die Bedingungen sowie alle Vertragsinformationen grundsätzlich während des Verkaufsgespräches dem Kunden übergeben werden.

Der BGH hat seine Rechtsprechung auch hierauf erweitert (- IV ZR 260/11 -).

Nach diesem Urteil können auch Lebens- und Rentenversicherungen, die nach dem sog. „Antragsmodell“ abgeschlossen wurden, unter Umständen widerrufen werden. „Auch dann ist es entscheidend, ob der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über seine Widerrufsmöglichkeiten informiert wurde“.

Wie viel Geld bekomme ich zurück?

Wenn Sie Ihrem Vertrag erfolgreich widersprechen, erhalten Sie Ihre eingezahlten Beiträge wieder zurück.

Zusätzlich können Sie verlangen, dass der Versicherer Ihnen Zinsen zahlt, weil er sich an Ihren Beiträgen bereichert hat. Das bedeutet, dass der Versicherer Ihnen das, was er mit Ihren Beiträgen erwirtschaftet hat, erstatten muss. In der Regel kann der Verbraucher vom Versicherer seine Beiträge zuzüglich einer Verzinsung von 4 bis 7 Prozent pro Jahr zurückverlangen. Der Versicherer muss dann beweisen, dass er weniger Zinsen erwirtschaftet hat, als von Ihnen gefordert. Im vom BGH entschiedenen Fall hatte der Kläger 7 Prozent pro Jahr verlangt.

Von den eingezahlten Beiträgen werden allerdings die sogenannten Risikobeiträge abgezogen. Das sind die Kosten, die dem Versicherer für den Versicherungsschutz entstanden sind, den Sie während der Laufzeit des Vertrags hatten.

Was können Betroffene nunmehr unternehmen?

Auf Grund der Vielzahl an Verträgen unterscheiden sich die Formulierungen der jeweiligen Widerspruchsbelehrungen. Ihren Lebensversicherungsvertrag nebst Widerspruchsbelehrung überprüft Herr Dr. Rädecke. Insbesondere werden die Widerspruchsbelehrung und die Verbraucherinformationen auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft.
Nehmen Sie zu Herrn Dr. Rädecke Kontakt auf.


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