Sachverständige beweisen: Einseitensensor ES 3.0 misst Geschwindigkeit bei LED-Scheinwerfern falsch!

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Der Einseitensensor ES 3.0 ist eines der am häufigsten in Deutschland eingesetzten Messgeräte zur Ermittlung von Geschwindigkeitsüberschreitungen. Nun haben mehrere hochdotierte Sachverständige den Beweis dafür erbracht, dass das Gerät Geschwindigkeitsmesswerte ermitteln kann, die zum Teil mehr als 10 km/h über der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit liegen, wenn ein Fahrzeug mit LED-Licht in den Sensorbereich einfährt

In Anbetracht der weiten Verbreitung dieser Lichttechnik im modernen Fahrzeugbau und angesichts der zahlreichen und flächendeckenden Messstellen, dürften nahezu unzählige Betroffene zu Unrecht beschuldigt worden sein und dieser Zustand setzt sich bis auf weiteres fort. 

Dies alles ist Grund genug für uns, mit diesem Beitrag über die Hintergründe und die Möglichkeiten der Betroffenen zur Verteidigung aufzuklären. 

1. Wie funktioniert der Einseitensensor ES 3.0?

Bei einem Einseitensensor handelt es sich um ein lichtempfindliches Geschwindigkeitsmessgerät. Dieses wird am Fahrbahnrand aufgestellt und registriert auf einer Länge von 50 cm beim Vorbeifahren von Fahrzeugen Helligkeitsunterschiede. 

Mittels einer Weg-Zeit-Rechnung wird anhand der bekannten Streckenlänge und aus dem zeitlichen Versatz des erstellten Helligkeitsdifferenzprofils dann die gefahrene Geschwindigkeit berechnet. Dabei besteht das besagte Profil aus Anteilen von reflektiertem oder abgeschattetem Umgebungslicht ebenso wie auch aus selbstleuchtenden Anteilen, wie z. B. Scheinwerfern. 

Die mobile Version ist meist auf einem Stativ aufgebaut, die stationäre Version hingegen ist regelmäßig in einem anthrazit-grauen Kasten verborgen. In beiden Fällen steht gesondert mindestens eine Kamera für die Erstellung von Beweisfotos. 

Charakteristisch sind für das Verfahren die insgesamt fünf Röhrchen mit integrierten Helligkeitssensoren, von denen drei Stück im Abstand von 25 cm rechtwinklig zur Fahrtrichtung ausgerichtet sind und nach obiger Methode die Geschwindigkeit ermitteln, wohingegen zwei Stück in einem Winkel zueinander ausgerichtet sind und zu Zwecken der Zuordnung eines Geschwindigkeitswertes zu einem bestimmten Fahrzeug (gerade bei mehrspurigen Strecken) den Abstand zu diesem ermitteln. 

2. Warum kommt es beim ES 3.0 wegen LED-Scheinwerfern zu fehlerhaften Geschwindigkeitsmesswerten?

LED-Scheinwerfer senden anders als herkömmliche Scheinwerfer keinen durchgehenden Lichtkegel aus, sondern sie werden häufig in schneller und für das menschliche Auge nicht zu erfassender Folge ein- und ausgeschaltet. Der Verdacht, dass diese Lichtpulse auch von den lichtempfindlichen Einseitensensoren detektiert werden, liegt somit nahe. 

Die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) hatte nach entsprechenden Forderungen aus Sachverständigenkreisen bereits 2018 Untersuchungen vorgenommen. In einer Stellungnahme vom 15.10.2018 wurde ausgeführt, dass es dort keine konkreten Anhaltspunkte dafür gäbe, dass es zu Fehlmessungen durch den Einseitensensor kommt, wenn das betreffende Fahrzeug mit LED-Leuchten ausgestattet ist. 

Man meint dort, dass es zu einer Fehlmessung durch LED-Licht nicht kommen könne, weil eine solche bei der geräteinternen Plausibilitätskontrolle auffallen und zur Annullation der Messung führen würde. 

Interessant ist, dass die PTB in der besagten Stellungnahme immerhin einräumt, „dass die Annullationsrate für manche Fahrzeuge mit LED-Leuchten ansteigen“ könne und dass „dies auch für intermittierende Blinker, also Fahrtrichtungsanzeiger mit Lauflichteffekt (‚Laufblinker‘, ‚Blinker mit Wischeffekt‘)“ gelte. 

Hieraus wird klar, dass auch diese oberste technische Bundesbehörde eine grundsätzliche Beeinflussung der Mess-Sensoren durch gepulstes Licht für möglich hält. Sie meint nur, dass das Messgerät Derartiges automatisch erkenne und die Messung dann selbsttätig annulliere, sodass es nicht zu fehlerhaften Anzeigen gegenüber Verkehrsteilnehmern kommen könne. 

Eben diese Behauptungen wurden nun von einem Zusammenschluss von namhaften Sachverständigen aus verschiedenen Büros überprüft und widerlegt. Die Ergebnisse wurden am 05.02.2019 in einer 28-seitigen Studie veröffentlicht (abrufbar unter https://vut-verkehr.de/aktuelles/53/es3-0-und-led--fehlmessung-bewiesen).

Neben dem Sachverständigen Roland Bladt und dem Ingenieur- und Sachverständigenbüro Schellenberg-Himbert (ISH) war an der wissenschaftlichen Untersuchung vor allem auch die Sachverständigengesellschaft VUT aus Saarbrücken beteiligt, die sich schon in den Jahren 2017 und 2018 intensiv mit der Thematik befasst hatte. 

Die Sachverständigen konnten in zwei Testreihen an unterschiedlichen Orten mittels mehrerer Methoden den Nachweis erbringen, dass um bis 12 km/h zu hohe Geschwindigkeiten ermittelt wurden als Fahrzeuge mit LED-Licht durchführten. 

Keines der in den Messgeräten integrierten Annullierungskriterien bemerkte die Fehlmessungen. Es kam gerade nicht zu einer automatischen Ausmusterung, sondern vielmehr zur Erstellung der Messdateien und in der Folge auch zu einer Anzeige gegen die Verkehrsteilnehmer.

Die Untersuchungen zeigen somit, dass es bei dem Einseitensensor 3.0 zu Fehlmessungen kommen kann, die durch die Beeinflussung von LED-Licht moderner Fahrzeuge herrühren und von dem Messgerät gerade nicht selbsttätig „aussortiert“ werden. Dies kann zum Nachteil eines Betroffenen ausfallen, weil eine unter Umständen sogar deutlich höhere Geschwindigkeit angezeigt wird, als sie tatsächlich gefahren wurde.

Die Mess- und Eichverordnung schreibt vor, dass Messgeräte im Hinblick auf den vorgesehenen Verwendungszweck geeignet, zuverlässig und messbeständig sowie gegen Verfälschungen von Messergebnissen geschützt sein müssen. Nach den veröffentlichten Erkenntnissen der Sachverständigen bestehen nun sachliche Gründe, an der Messrichtigkeit des Verfahrens im Allgemeinen zu zweifeln und die Zulassung des Messgeräts in Frage zu stellen. 

3. Welche Messstellen sind betroffen?

In Deutschland sind flächendeckend etwa 700 Einseitensensoren vom Typ ES 3.0 im Einsatz. Nachdem ein Gutteil hiervon nicht stationär aufgestellt ist, sondern mit unterschiedlichem Einsatzort mobil verwendet werden, ist eine exakte Benennung aller Messstellen schier unmöglich. 

Zu den bekanntesten und zugleich aktivsten Messstellen, an denen das besagte Gerät in stationärer Aufbauweise eingesetzt wird, gehören die nachfolgend benannten Örtlichkeiten: 

  • BAB 3, bei Neustadt / Wied, Kreis Neuwied / Rheinland-Pfalz, km 45,550, Fahrtrichtung Frankfurt am Main
  • BAB 3, bei Neustadt / Wied, Kreis Neuwied / Rheinland-Pfalz, km 48,050, Fahrtrichtung Köln
  • BAB 60, bei Mainz-Hechtsheim, vor dem Hechtsheimer Tunnel, Rheinland-Pfalz, km 15,1

Allein an diesen drei Stellen sollen im Durchschnitt pro Tag zusammengenommen etwa 150.000 (!) Fahrzeuge vorbeifahren und es ist sicher deutlich zu gering geschätzt, wenn man davon ausgeht, dass dabei wenigstens ein- bis zweitausend Verkehrsteilnehmer täglich auch geblitzt werden, würde dies doch bedeuten, dass etwa 99 von 100 Verkehrsteilnehmer mit korrekter Geschwindigkeit vorbeifahren. 

Denkt man noch an die unzähligen „kleineren“ Messstellen in Deutschland, wird das wahre Ausmaß der vorstehenden Ausführungen deutlich. 

4. Was können Betroffene tun, wenn sie mit einem Einseitensensor 3.0 geblitzt wurden?

In der Stellungnahme der Sachverständigen VUT / ISH / Bladt vom 05.02.2019 heißt es: 

„Wenn bis zu 12 km/h höhere Geschwindigkeiten gemessen werden, als das Fahrzeug tatsächlich gefahren ist, sind das sachliche Gründe genug, an der Messrichtigkeit zu zweifeln.“

Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Dabei ist anzumerken, dass aus unserer Sicht auch noch höhere Geschwindigkeitsüberschüsse technisch nicht auszuschließen sind – bei der Testreihe wurde aber eben kein höherer als der genannte Überschuss gefunden. 

Viele Betroffene wissen gar nicht, dass auch ihr Fahrzeug mit LED-Lichttechnik ausgestattet ist, was nicht selten schon in der Kleinwagen-Klasse der Fall ist, erst recht aber in der Fahrzeug-Mittel- und Oberklasse. 

Klar muss sein, dass ab sofort wirklich in jedem punkte-relevanten Fall eine Überprüfung der Messung mit dem Einseitensensor ES 3.0 durchgeführt werden sollte. 

In einigen Bundesländern erhalten wir die dafür erforderlichen Messdaten von den Behörden inzwischen zugeleitet. In anderen Bundesländern (z. B. Bayern) werden wir uns mit entsprechenden Schriftsätzen unter Bezugnahme auf die Untersuchungen der genannten Sachverständigen dafür einsetzen, dass uns auch dort die Messdaten zur Überprüfung zugehen, da wir inzwischen nicht mehr von einem sogenannten standardisierten Messverfahren ausgehen können. 

Nachdem unsere Kanzlei als eine von wenigen Kanzleien als „PartnerPlus“ von der Sachverständigengesellschaft VUT anerkannt ist und wir mit den dortigen Sachverständigen schon seit vielen Jahren intensiv und effizient zusammenarbeiten, stehen aus unserer Sicht die Chancen gut, dass beim Führen eines Fahrzeugs mit LED-Lichttechnik Auffälligkeiten bei der Messung mit dem Einseitensensor herausgearbeitet werden können und ein möglicherweise zu Unrecht überhöhter Geschwindigkeitswert nachgewiesen werden kann. 

Verschiedene der von uns geführten Verfahren wurden bereits eingestellt, in anderen konnte eine Verständigung auf eine Geldbuße in Höhe von 55 € ohne Punktefolge getroffen werden. 

Natürlich überprüfen wir in jedem Fall daneben auch alle anderen rechtlichen und technischen Aspekte, die schon in anderen Verfahren zu Erfolgen geführt haben. 

Dr. Sven Hufnagel

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Dr. jur. Sven Hufnagel hat sich auf die Verteidigung in Verfahren wegen Geschwindigkeits-, Abstands- und Rotlichtverstößen spezialisiert. In 15 Jahren der praktischen Berufstätigkeit hat er deutschlandweit mehrere tausend Betroffene in Bußgeldverfahren verteidigt. 

Die regelmäßig überprüften Einseitensensoren zur Geschwindigkeitsmessung gehören dabei zu seinen „Steckenpferden“. 

In „Deutschlands großer Anwaltsliste“ im „Focus-Spezial“ wird er seit vier Jahren in Folge (2015, 2016, 2017 und 2018) als „Top-Anwalt für Verkehrsrecht“ genannt.


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