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Säumniszuschläge auf Sozialversicherungsbeiträge – Neues BSG-Urteil zum Verschuldensmaßstab

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Werden Sozialversicherungsbeiträge nicht pünktlich gezahlt, fallen Säumniszuschläge an und zwar ein Prozent pro Monat ($ 24 Abs. 1 SGB IV). Diese Regelung wirkt sich besonders in den Fällen verhängnisvoll aus, in denen Beiträge über einen langen Zeitraum nicht gezahlt wurden.

Ein klassischer Anwendungsfall ist die nachträgliche Feststellung von Scheinselbstständigkeit, z. B. bei Betriebsprüfungen der Rentenversicherung oder im Zuge der Schwarzarbeitskontrolle der Hauptzollämter. Hier kann es – je nach Länge des Beitragszeitraums – zu hohen Nachforderungen kommen, bei denen der Anteil der Säumniszuschläge ein Viertel, teilweise sogar ein Drittel der Beitragsforderung und in Einzelfällen noch mehr ausmacht. 

Von der Pflicht zur Zahlung von Säumniszuschlägen gibt es allerdings eine Ausnahme. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV).

Um die Verschuldensfrage wird in zahllosen Sozialgerichts- und auch Strafverfahren gestritten. In der Vergangenheit ließen es die Gerichte häufig ausreichen, dass ein Arbeitgeber fahrlässig gehandelt hat. Mitunter wurde Fahrlässigkeit bereits dann festgestellt, wenn der Arbeitgeber keine Statusklärung beantragt hatte. 

Nunmehr hat sich das Bundessozialgericht in einem aktuellen Urteil vom 12.12.2018 dieser Frage angenommen und klargestellt, dass ein Verschulden mindestens bedingten Vorsatz verlangt. Im Ergebnis dürfte diese Entscheidung für einige betroffene Arbeitgeber günstige Auswirkungen haben, da Fahrlässigkeit alleine jetzt nicht mehr ausreicht.

BSG – Urteil vom 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R

Das Bundessozialgericht stellt im Einzelnen Folgendes fest: Die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 24 Abs. 2 SGB IV (d. h. keine Säumniszuschläge bei unverschuldeter Unkenntnis) setzt erstens voraus, dass der Beitragsschuldner keine Kenntnis von seiner Zahlungspflicht hat, zweitens seine Unkenntnis nicht verschuldet ist, drittens dem Beitragsschuldner auch die Kenntnis oder das Verschulden einer anderen Person (z. B. leitende Mitarbeiter des Betriebs) nicht zugerechnet werden kann und außerdem die unverschuldete Unkenntnis ununterbrochen bis zur Festsetzung der Säumniszuschläge durch Bescheid bestanden hat.

Sofern der säumige Beitragsschuldner Kenntnis von seiner Zahlungspflicht hatte, kann er sich auf keinen Fall entlasten. „Kenntnis“ bedeute – so das BSG – nach seinem Wortsinn zunächst einmal das Wissen von einer Tatsache. 

Der Begriff der „Zahlungspflicht“ verlange darüber hinaus allerdings zusätzlich eine rechtliche Wertung dahingehend, dass der Beitragsschuldner die konkreten Verhaltensanforderung erkennt. Kenntnis von der Zahlungspflicht nach § 24 Abs 2 SGB IV ist damit das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet zu sein. 

Eine Kenntnis in diesem Sinne liege bei einem zahlungspflichtigen Arbeitgeber vor, wenn er die seine Beitragsschuld begründenden Tatsachen kennt, weil er zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzieht, dass einerseits Beschäftigung vorliegt, die andererseits die Beitragspflicht nach sich zieht. 

Das Wissen um die (bloße) Möglichkeit der Beitragserhebung stehe jedoch dem sicheren Wissen um die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Beitragszahlung hingegen nicht gleich. Befinde sich der Beitragsschuldner in einem Irrtum über seine Arbeitgebereigenschaft, schließe dieser Irrtum die Kenntnis aus.

Unkenntnis von der Beitragszahlungspflicht alleine steht der Festsetzung von Säumniszuschlägen allerdings noch nicht entgegen. Säumniszuschläge sind nur dann nicht zu erheben, wenn die Unkenntnis unverschuldet ist. 

Davon sie dann auszugehen, wenn mindestens bedingter Vorsatz vorliegt. Das BSG begründet dies mit dem Zweck der Säumniszuschläge. Diese stellen eine Art Strafe für eine verspätete Beitragszahlung dar. Sie sollen – ähnlich wie ein Zwangsgeld – Druck auf den Zahlungspflichtigen ausüben, die fälligen Beiträge rechtzeitig zu zahlen und es den Sozialversicherungsträgern andererseits ermöglichen, ihre Leistungspflichten fristgerecht zu erfüllen. 

Diese Drucksituation könne jedoch gar nicht eintreten, wenn der Zahlungspflichtige keinen hinreichenden Anhaltspunkt für seine Beitragsschuld habe. Säumniszuschläge könnten – so das BSG – ihren Zweck nur dann erreichen, wenn der betroffene Arbeitgeber seine Zahlungspflicht zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.

Darüber hinaus solle die Ausnahmeregelung des § 24 Abs 2 SGB IV (keine Säumniszuschläge bei unverschuldeter Unkenntnis) unbillige Härten vermeiden. 

Für die Härtefallregelung bliebe aber kaum ein denkbarer Anwendungsbereich, wenn bereits fahrlässiges Verhalten, insbesondere das Unterlassen eines Statusfeststellungsverfahrens die unverschuldete Unkenntnis ausschließen würde. Das fakultativ ausgestaltete Statusfeststellungsverfahren würde entgegen dem Gesetzeswortlaut des § 7a Abs 1 S 1 SGB IV faktisch obligatorisch.

Das BSG hat in diesem Urteil zugleich klargestellt, dass bedingter Vorsatz auch für die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist sowie für die sog. Nettolohnfiktion zu fordern ist. Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Zur Nettolohnfiktion siehe die Fachinformation auf anwalt.de:

Die Nettolohnvereinbarung als Beitragsrisiko bei Scheinselbstständigkeit und Achtung Nettolohnvereinbarung! Zur Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen bei Scheinselbstständigkeit.

Der Verschuldensmaßstab ist somit in allen Fällen gleich.

Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.


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